Vor 125 Jahren hat Ernst Abbe eine Stiftung gegründet, um die Zukunft von Zeiss zu sichern. Vor zehn Jahren wurde die besondere Konstruktion aufgegeben.

Stuttgart - Eigentlich kann die Carl Zeiss Stiftung derzeit gleich zwei Jubiläen feiern. 125 Jahre sind es her, dass der Mathematiker und Physiker Ernst Abbe die Stiftung gegründet hat. Am Montag findet dazu im Volkshaus Jena der Festakt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel statt. Die Konstruktion der Stiftung war außergewöhnlich: nach dem Willen von Abbe waren der Optikkonzern Zeiss und der Spezialglashersteller Schott, gegründet als Zulieferer für Zeiss, wie zwei siamesische Zwillinge miteinander verbunden. Sie standen als Teil der Stiftung in einem Haftungsverbund. Im Fall Zeiss war also die Stiftung selbst unternehmerisch tätig und nicht „nur“ Eigentümer des Unternehmens, wie zum Beispiel im Fall Bosch.

 

Das zweite Jubiläum: genau diese Konstruktion war es, die zu einem beispiellosen Streit innerhalb des Zeiss-Konzerns geführt hatte, der vor zehn Jahren, 2004, vor dem Bundesgerichtshof (BGH) sein Ende fand. Zeiss-Mitarbeiter hatten das Unternehmen verklagt, weil die Vorstände das alte Abbe’sche Stiftungsstatut ändern wollten. Das Management wollte aus Zeiss und Schott, die schon lange unabhängig auf den Weltmärkten agierten, zwei rechtlich selbstständige Unternehmen machen. Die klagenden Mitarbeiter sahen in solche Plänen das Erbe und damit die Werte des sozialpolitisch für seine Zeit außerordentlich fortschrittlichen Ernst Abbe verraten. Seit zehn Jahren sind Zeiss und Schott nun eigenständige Aktiengesellschaften; die Stiftung hält alle Anteile, operativ hat sie nichts zu sagen.

Die einstigen Widersacher regen sich noch

So erbittert der Streit geführt wurde, das Statut wurde letztlich „ohne Murren“ geändert, erinnert sich Roland Hamm, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Aalen, der auch im Aufsichtsrat der Carl Zeiss AG sitzt. Aber es habe das Unternehmen auf der Ostalb „emotional“ verändert (Hamm). „Die Mitarbeiter tragen das Thema Stiftung nicht mehr wie eine heilige Monstranz vor sich her“, sagt der Gewerkschafter. Beschäftigte, die innerhalb der vergangenen zehn Jahre eingestellt wurden, seien loyal zum Hightechunternehmen, weniger zu den Abbe’schen Vorstellungen, so Hamm.

Mundtot sind die einstigen Widersacher aber nicht. Der Verein „Erhalt Abbe’schen Gedankenguts“ existiert unverändert; rund 50 Mitglieder habe er, schätzt der Vorsitzende Adalbert Hanßen. Neben Ausflügen gibt es im Januar – zum Geburtstag des großen Physikers – immer eine Vortragsveranstaltung. Hanßen, der seit Anfang der 1980er Jahre bei Zeiss arbeitet, ist einer derjenigen, die damals an vorderster Front dabei waren. Probleme wegen der vergangenen Streitereien habe es nie gegeben, sagt Hanßen, der im Bereich Augenoptik arbeitet und jüngst wieder in den Betriebsrat gewählt wurde. „Mir ist kein Fall bekannt, dass Mitarbeiter deswegen gemaßregelt wurden“, sagt er. Kritisch sieht er die Entwicklung dennoch. Vor allem die Verlagerung von Produktion an billigere Standorte sei nicht im Sinne seines großen Vorbildes, sagt er. „Ernst Abbe hätte sich darüber Gedanken gemacht, wie man die Beschäftigung im Land hält“, sagt er. Aber hat das alte Statut die Stiftungsunternehmen tatsachlich gebremst und hat die neue Freiheit den Entwicklungsschub gebracht? „Die Frage ist müßig“, sagt Gewerkschafter Hamm, „nichts ist nachweisbar.“

Die Verschiebungen in der Belegschaft sind gravierend

Abbes Statut war die Grundlage, dass Unternehmensteile so gut wie nicht ausgegliedert und verlagert werden konnten, was das Management in den neunziger Jahren als Hemmnis betrachtete. Das ist nun seit der Reform leichter möglich, aber an der Praxis hat sich kaum etwas geändert. Ausgegliedert und verkauft wurde nur die Verteidigungssparte mit 150 Millionen Euro Umsatz und 250 Beschäftigten.

Beschäftigte Zeiss 2004 weltweit knapp 13 700 Mitarbeiter, so sind es heute mehr als 24 600. Die Verschiebungen sind gravierend: waren 2004 noch 71 Prozent der Belegschaft hierzulande angesiedelt, sind es zehn Jahre später gerade noch 44 Prozent. Aber: absolut sind auch in Deutschland mehr Mitarbeiter tätig. Überproportional hat sich der Umsatz entwickelt – von 2,2 Milliarden Euro (2004) auf nun 4,2 Milliarden Euro. Knapp 90 Prozent davon – 2004 waren es aber auch schon 80 Prozent – werden im Ausland erlöst.

Gehaltsbremse für Vorstände

Weniger günstig läuft es dagegen bei Schott. Die Mainzer waren 2004 sogar größer als heute. Damals wurden mit 18 400 Mitarbeitern (8500 davon in Deutschland) 2,0 Milliarden Euro umgesetzt, heute sind es mit 15 400 (5300 in Deutschland) noch 1,8 Milliarden Euro. Vor allem der Ausflug in die Fotovoltaik hat Schott stark belastet. Wäre dies nach dem alten Statut ein Fall für die gegenseitige Haftung? Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Freilich, Geld ist auch früher nie zwischen den Unternehmen geflossen; die Unterstützung beschränkte sich auf die Gewährung von Sicherheiten, um günstiger an Kredite zu kommen.

Finanzielle Einbußen hatten Mitarbeiter durch die Änderung des Statuts wohl nicht. Früher wurden die Beschäftigten in den Stiftungsunternehmen mit Pensionszusagen und Gehaltsnachschlägen hofiert, die Beschäftigten bei den Töchtern hatten das Nachsehen. Heute werden alle gleich behandelt – Zeiss schüttet pro Jahr zwischen 1000 und 1800 Euro aus. Die Vorstände haben allerdings noch mehr profitiert. Abbe wollte, dass Vorstände höchstens das Zehnfache eines Durchschnittsverdienstes erhalten, davon sind die Zeissianer heute meilenweit entfernt. Aber für dieses Geld würde heute kein Vorstand arbeiten.