Seit 20 Jahren ermöglicht der Bio-Markt Plattsalat im Stuttgarter Westen auch einkommensschwächeren Kunden den Kauf biologischer Lebensmittel. Zu verdanken ist das einem Verein, dem es um mehr geht als um den wöchentlichen Einkauf.

S-West - Eigentlich ist er nicht zu übersehen. Vor einem Hoftor an der Gutenbergstraße prangt ein riesiger gepfählter Kopfsalat. Kein Street-Art-Exponat etwa, sondern ein Wegweiser zu einem kleinen, aber bemerkenswerten Laden ganz hinten in dem unscheinbaren Hof. Dennoch wissen noch immer viele nicht, was es damit auf sich hat.

 

Sollte man aber: Seit fünf Jahren hat der Bio-Markt Plattsalat hier seinen Sitz, ein selbstverwaltetes und von einem Verein geführtes Ladenkonzept, dessen Idee bis 1998 zurückreicht: Wer Mitglied im Verein wird und seine Beiträge zahlt, bekommt fast die gesamte Palette biologischer Lebensmittel günstiger. Damit sind auch einkommensschwächere Kunden in der Lage, Bio-Produkte einzukaufen ohne dafür das Haushaltsbudget gnadenlos zu torpedieren.

Einer der Hauptverantwortlichen hinter dem Verein ist Thomas Becker. Er ist fast seit Anfang des Projekts dabei und schätzt die Idee Plattsalat vor allem für die Möglichkeit der direkten Einflussnahme. „Mein ganzes Leben dreht sich um Partizipation“, sagt der 54-jährige Geschäftsführer. „In den Achtzigern wurde bei sozialen Projekten erstmals die Frage gestellt, wie man die lokale Bevölkerung daran beteiligen kann – also ein direkter Ansatz statt arroganter Top-Down-Strategie. Es sollte erreicht werden, dass es die Projekte der Betroffenen sind, die sie selbst in die Hand nehmen können.“

Das stellte sich als roter Faden in seinem Leben heraus, weshalb es kein Zufall war, dass er irgendwann beim Plattsalat landete. Aus der Taufe gehoben wurde das Projekt von alleinerziehenden Müttern und anderen einkommensschwachen Konsumenten nicht weit entfernt vom jetzigen Standort. „Damals gab es keine Bio-Supermärkte und auch kein Bio in den normalen Supermärkten. Bio-Produkte war damals unsagbar teuer. Da konnte man sich vielleicht mal eine Milch leisten“, sagt Becker im Rückblick. Also eröffneten die Muttis eben selbst einen Laden.

Aus dieser kleinen Idee wuchs in den letzten Jahren eine Bewegung, die zwischenzeitlich drei selbstverwaltete Läden führte. Die Hallschlag-Niederlassung musste kürzlich wieder schließen, neben dem Laden im Westen mit rund 600 Mitgliedern gibt es noch einen in Kernen mit etwa 100 Mitgliedern. „Beide Läden laufen unter dem Verein, sind aber unabhängige Mini-GmbHs“, erklärt Becker. „Das ist wichtig, weil wir nicht abhängig voneinander sind. Dennoch kann ich als Mitglied in beiden Läden vergünstigt einkaufen.“

Wenn man ihn nach seinem Antrieb fragt, geht es Becker aber um etwas anderes. „Natürlich sind mit biologische Produkte sehr wichtig“, beginnt er, „noch wichtiger ist für mich aber die Frage, wie man passive Konsumenten wieder zu den aktiven Akteuren ihres eigene Einkaufs machen kann.“ Bei Plattsalat will man erreichen, dass die Menschen wieder darüber nachdenken, was sie einkaufen und woher die Ware kommt. „Ich will, dass die Leute auch gemeinsam darüber diskutieren, ob es wirklich nötig ist, dass wir Äpfel aus Südamerika im Sortiment haben.“ Das ist auch genau so passiert, es gibt regelmäßige Diskussionen, Treffen und Synergieeffekte mit Wohnprojekten oder der Mission Lastenfahrrad.

Seit einigen Jahren steht der Plattsalat auch Nichtmitgliedern offen, die für ihren Einkauf allerdings höhere Preise zahlen. Die ersten rund 15 Jahre konnten nur indes Mitglieder einkaufen. „Unser alter Laden war noch mehr Hinterhof als wir jetzt schon sind“, erzählt Becker. „Die Öffnung für Nichtmitglieder wurde sehr kontrovers diskutiert, doch spätestens nach dem Umzug mussten wir den Laden öffnen. Dreifache Miete, doppelte Lohnkosten, dreifache Fläche, das war schon ein großer Sprung.“ Dennoch war der Laden weiterhin vor allem von den Mitgliedern für die Mitglieder. „Und das hat sich bewährt. Der Umsatz wird überwiegend von den Mitgliedern generiert.“

Die, so Becker, haben alle ihre ganz eigenen Gründe, weshalb sie Mitglied sind. „Aber die meisten schätzen einfach auch das entspannte Einkaufen bei uns.“ Das – und die Tatsache, dass Plattsalat einer der letzten unabhängigen Bio-Läden in der Region ist. „Es gibt praktisch keine unabhängigen Bio-Läden mehr. Das ist wirklich dramatisch“, so Becker. „In Stuttgart gibt es fast nur noch Bio-Ketten, die sich stark am konventionellen Großhandel orientieren: Preiskampf der Erzeuger, Verdrängung der Konkurrenz  . . . eben die gleiche Strategie wie große Discounter.“ Und auf einmal wirkt der kleine Laden in der Gutenbergstraße wie ein ganz bestimmtes gallisches Dorf.