Das Theaterhaus Stuttgart feiert. Seit 20 Jahren produziert die Kulturmaschine am Pragsattel Träume und Einsichten. Wo steht das Theaterhaus heute? Dessen Lenker Werner Schretzmeier antwortet.

Am 29. März 2003 öffnete sich für Stuttgart eine neue Kulturwelt. Das Theaterhaus, zuvor 18 Jahre in Stuttgart-Wangen zu Hause, verwandelte die umgebauten Rheinstahlhallen in eine spartenübergreifende Kulturmaschine. Viel Zeit zum Jubeln aber hat die Mannschaft um den Gründer und Lenker Werner Schretzmeier nicht – das Theaterhaus hat einen personellen Umbruch eingeleitet, ringt mit den Folgen immer neuen Verschiebungen für die Fertigstellung des Erweiterungsbaus und mit finanziellen Engstellen. Anlass genug für ein Gespräch mit Werner Schretzmeier.

 

Herr Schretzmeier, 20 Jahre Theaterhaus Prag – das wäre eigentlich ein Grund zu feiern. Stattdessen verkündeten Sie am Sonntag die Absage der Jazztage. Ist das – wieder einmal – ein Weckruf hinsichtlich der Gesamtlage des Theaterhauses?

Na, die frohe Botschaft ist doch, dass wir am 29. März 38 Jahre bestehen. Und die längere Zeit davon am Pragsattel. Die Jazztage mussten wir nur deshalb schweren Herzens absagen, weil Sponsorengelder ausgeblieben sind. Dadurch hätten wir unserem Publikum nicht das Programm anbieten können, das es zurecht von den Theaterhaus Jazztagen erwartet. Wir wissen, dass die ausbleibenden Sponsorengelder eine Auswirkung des wirtschaftlichen Schleudertraumas in Folge der Pandemie, der befürchteten Rezession und des Angriffskriegs von Putin auf die Ukraine sind. Das Theaterhaus hat in diesen 38 Jahren diese Stadt interessant gemacht und den Menschen viele unvergessliche Momente geschenkt.

Stimmt, das Theaterhaus war Stuttgarts andere Kulturmaschine, eine Art Gegenentwurf. Das Publikum heute nutzt schlicht einen Veranstaltungsort. Was macht also heute das Theaterhaus-Gefühl aus?

Das Theaterhaus strahlt mit all seiner Vielfalt eine enorme Wärme, Offenheit, Gastlichkeit und kommunikatives Flair aus. Erst am Wochenende haben wir wieder sehr schöne Mails von Besuchern bekommen, die zum ersten Mal bei uns zu Gast waren. Sie sind begeistert über die tolle Atmosphäre, die vom Theaterhaus ausgeht und freuen sich, dies in Stuttgart zu erleben. Das Theaterhaus ist also auch ein Aushängeschild für die Landeshauptstadt. Außerdem finden die Menschen bei uns eine Programmvielfalt, wie sonst fast nirgends. Trotzdem können wir uns natürlich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen, sondern müssen jeden Tag unser Publikum neu erobern und überzeugen.

Werner Schretzmeier – noch immer kämpferisch Foto: lichtgut

Mit welchen Mitteln?

Erst mal – eine Kulturmaschine sind wir ohne jeden Zweifel immer noch. Das heißt: Wir bieten in der Spitze wie in der Breite ein ungemein vielfältiges Programm. Aber das ist ja nur die eine Seite. Welches Privattheater hat zwei feste Ensembles – Schauspiel und Tanz –, die beide hochkarätig produzieren. Welches Privattheater unterhält eine Theaterpädagogik-Abteilung, die mit zehn Partnerschulen kooperiert und jährlich zwei Produktionen mit Schülerinnen und Schülern diesen Schulen anbietet?

All das ist richtig, und dennoch gibt es eine Art Dauer-Vertrauenskrise. Das Ringen um den Erweiterungsbau mit Verzögerungen und Verteuerungen trägt auch nicht zur Entlastung bei. Wie kommt das Theaterhaus da wieder raus?

Eine Dauer-Vertrauenskrise kann ich nicht bestätigen. Eine immer wiederkehrende Vertrauenskrise aber allemal. Im Moment sind wir wieder in einer positiven Phase und wie es mit besagtem Erweiterungsbau weiter geht, wird an anderer Stelle entschieden. Wichtig ist, dass die Stadt im Blick behält, dass Publikumsmagneten wie das Theaterhaus den Gästen auch ausreichend Parkmöglichkeiten zur Verfügung stellen können. Und damit sind wir beim Problem: Da wir viele Besucher aus dem Umland haben, die oft mit dem Pkw anreisen müssen – Stichwort Öffentlicher Nahverkehr nach 22 Uhr –, wird das Theaterhaus dieser Magnetfunktion nicht mehr gerecht.

Weil es nicht genügend Parkplätze gibt?

Während in den letzten zehn Jahren um uns herum jede Baulücke geschlossen wurde, hat sich die Parksituation dramatisch verschlechtert. Damit das nicht missverstanden wird: Wir fordern unsere Gäste auf, wann immer möglich den Öffentlichen Nahverkehr, Carsharing und ähnliche Angebote zu nutzen, um die Verkehrs- und Umweltbelastung so gering wie möglich zu halten. Aber hier sind wir auf die Hilfe der Stadt allerdings sehr stark angewiesen.

Kulturmaschine am Pragsattel: Theaterhaus Stuttgart Foto: Theaterhaus

Positioniert wurde das Theaterhaus an diesem Standort einst als Türöffner, als Anker eines neuen städtischen Areals. Dies ist auch entstanden, aber wiederum als deutlicher Gegenentwurf zur Theaterhaus-Idee. Ist es vielleicht schlicht Zeit, die Segel einzuholen?

Auf keinen Fall. Eine Stadt wie Stuttgart braucht soziokulturelle Zentren wie das Theaterhaus. Und wenn diese in direkter Nachbarschaft zu Unternehmen wie der Mercedes-Benz Bank und eingerahmt von gehobener Wohnbebauung sind, dann sollte sich darin auch die Offenheit der Stadt spiegeln. Also nein, für mich ist das kein Widerspruch. Auch deshalb, weil ein totes Europaviertel genug ist!

Die Stadt hat vor drei Jahren ziemlich unmissverständlich eine Neuordnung an der Theaterhaus-Spitze gefordert. Passiert ist – zumindest nach außen spürbar – wenig bis nichts. Eher beunruhigen Abgänge im fachlichen Verwaltungsbereich. Wie weit ist die Neuordnung?

Natürlich gab es einen Wandel und auch personellen Wechsel. Aber mit Beunruhigung hat das alles nichts zu tun. Für alle Positionen haben wir zwischenzeitlich gute und langfristige Lösungen gefunden und sind und bleiben ein verlässlicher Partner. Sämtliche entscheidenden Funktionen sowie die Gremien sind entsprechend perspektivisch besetzt.

Dennoch: 20 Jahre Pragsattel – das wäre auch ein guter Zeitpunkt für eine Staffelübergabe gewesen. Sie muss offensichtlich ausbleiben. Sind es einfach zu viele Baustellen für eine mögliche neue Mannschaft?

Das ist sicher eine Lesart. Aber nicht unsere. Wenn wir nach vorne schauen, und das haben wir im Theaterhaus immer gemacht, dann gibt es noch weitere geeignete Wegmarken in der kommenden Zeit, an denen Staffelstäbe übergeben werden können. Die Zeit wird kommen, aber die bestimmen wir sinnvollerweise selbst.

Imer auch einnehmend: Werner Schretzmeier Foto: Horst Rudel

Theaterhaus – das ist immer noch eine Idee. Welche Kraft hat diese Idee heute? Wen elektrisiert sie?

Ganz klar: Mehr als 300 000 Gäste, die wir mit unseren jährlich rund 850 Veranstaltungen begeistern können. Wir spüren nach der Corona-Delle eine deutliche Erholung und nähern uns immer mehr dem Besucherniveau vor 2020. Alleine im März haben mehr als 11000 Menschen die „15 Years Alive“ und „Kamuyot“ Aufführungen der Theaterhaus Tanzcompany Gauthier Dance besucht. Die Freude an Kunst und Kultur teilzunehmen nimmt zu, obwohl gleichzeitig viele mit den Folgen der hohen Inflation und steigenden Energiekosten zu kämpfen haben.

Kultur als Kraft der Verbindung wie als Kraft der Vielfalt – das war und ist ganz offensichtlich bis heute Ihre Motivation. Wie kann diese Kraft heute wirken?

Mit unserem Programmangebot, das den weiten Bogen von Hochkultur zur Unterhaltung spannt. Wir stehen für kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt, vor 38 Jahren genauso wie heute. Ganz aktuell: Bei uns finden Benefizveranstaltungen für die Ukraine oder die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien statt, das Colours-Festival setzt Zeichen für die Vielfalt. Comedy, Kabarett und Konzerte unterhalten, während wir mit Aufführungen wie den Produktionen „Kamp“ oder „Tanz der Wut“ ernste Themen im Programm anbieten.

Kultur bleibt für Sie eine gesellschaftliche Kraft?

Gesellschaftspolitische Fragen werden in den Schauspielproduktionen „Frauensache“, „Furor“ und „Die deutsche Ayse“ behandelt. Mit „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ treten wir dem Antisemitismus entgegen. Kunst und Kultur war immer wichtig, bleibt wichtiger denn je. Unsere Arbeit macht die Menschen reicher an Wissen, an Gefühl, an Zusammensein. Das Theaterhaus verbindet und spaltet nicht.

Werner Schretzmeier und das Theaterhaus

Die Anfänge
 1944 in Schorndorf geboren, macht Werner Schretzmeier eine Ausbildung zum Industriekaufmann. 1964 gründet er die politische Kabarettgruppe „Die Widerständler“, 1968 den Club Manufaktur in Schorndorf.

Theaterhaus
 Nach Mit-Gründung des United Jazz + Rock Ensembles (1975) und des Plattenlabels Mood Record (1976), ist er 1985 Mitgründer des Theaterhauses Stuttgart und seitdem dessen Leiter. 2003 zieht das Theaterhaus an den Pragsattel. 2004 mit dem Stihl-Preis ausgezeichnet, wird Schretzmeier 2009 mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg geehrt. Er ist seit 1978 verheiratet mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Gudrun Schretzmeier.