Durch 3-D-Druck können Entwickler aus Daten passgenaue Bauteile oder Modelle erzeugen. Jetzt steht der Sprung aus der Entwicklungabteilung in die Fabrik bevor.

Stuttgart - An dieser filigranen Struktur bleibt jedes Auge hängen. Der Korpus mit seinen bizarren Verästelungen, eine Art Schlauch, führt nach unten, wo er sich immer weiter verzweigt. Was wie ein Kunstwerk daherkommt, ist das Modell einer Aorta. Es zeigt originalgetreu menschliche Blutgefäße – die Hauptschlagader, bis hin zu den dünnsten Gefäßen. Chirurgen der Uniklinik Heidelberg haben das Modell in Auftrag gegeben. Eine Patientin litt an einer Bindegewebserkrankung, vor der Operation wollten sich die Ärzte ein plastisches Bild der Erkrankung machen.

 

Der Entwicklungsdienstleister Bertrandt in Ehningen hat das dreidimensionale Modell hergestellt. Was heißt hergestellt? Bertrandt hat das komplizierte Gebilde schlicht ausgedruckt. Die Computerdaten dafür lieferte die Uniklinik. Additive Manufacturing nennen Fachleute das Verfahren, umgangssprachlich 3-D-Druck. Es gibt nicht die eine 3-D-Druck-Technik, sondern mehrere Varianten. Das Aortamodell wurde – vereinfacht ausgedrückt – schichtweise aufgebaut, von unten nach oben. Dafür wurde zunächst eine hauchdünne Schicht Polyamid-Pulver auf eine quadratische Fläche gleichmäßig aufgebracht. Dort, wo Blutgefäße sind, hat ein Laser das Pulver punktgenau geschmolzen, erläutert Michael Wetzstein, Teamleiter Rapid Technologies bei Bertrandt. Dann wurde die nächste Pulverschicht aufgetragen – jede Schicht ist gerade mal 0,2 Millimeter stark. Bis das Modell fertig war, musste der Vorgang einige Tausend Mal wiederholt werden. Der Ausdruck zieht sich über Stunden hin, teilweise dauert es zwei, drei Tage.

Seit Februar gibt es eine eigene Arbeitsgemeinschaft

Während der 3-D-Druck schon lange zum Alltag von Entwicklungsabteilungen gehört – quasi zu jedem Auftrag bei Bertrandt wird irgendwann auch ein Ausdruck erstellt –, zieht er erst jetzt allmählich in die häuslichen Arbeitszimmer ein. Grund ist der Preisverfall, die Geräte sind teilweise für deutlich weniger als 1000 Euro im Handel zu haben. Für einen Industriedrucker dagegen muss der Kunde schon mal 700 000 Euro zahlen. Und auch in der Produktion dürften die Druckverfahren jetzt mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. „In allen Industriebranchen wird das Thema diskutiert“, sagt Rainer Gebhardt. Er ist beim Branchenverband des Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA) der Experte für den 3-D-Druck. Anfang Februar hat der VDMA denn auch eine Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing gegründet, die bereits 50 Mitglieder zählt. Nicht nur die Hersteller sind vertreten, sondern auch tatsächliche und potenzielle Anwender, die Erfahrungen austauschen wollen.

Bertrandt hat bereits Erfahrung. Seit mehr als 20 Jahren setzt der Entwickler, der vor allem Autohersteller zu seinen Kunden zählt, unterschiedliche Verfahren ein. Wetzstein zeigt auf ein selbst entwickeltes Modell eines Frontscheinwerfers. Es sieht täuschend echt aus, ein Laie würde keinen Unterschied erkennen. Es funktioniert ja auch, die Scheinwerfer leuchten auf, wenn Wetzstein den Schalter betätigt. Und die Stellen, die künftig verchromt sein werden, sind auch hier verchromt. In ein Serienfahrzeug gelangen die Leuchten dennoch nicht, denn einzelne Bauteile sind „nur“ ausgedruckt. Das bedeutet freilich nicht, dass sie nicht auch auf der Straße zu finden sind. „In Erlkönigen befinden sich teilweise in 3-D gedruckte Teile“, sagt Wetzstein. Unter Erlkönigen versteht die Autoindustrie Prototypen von Fahrzeugen, die meist bis zur Unkenntlichkeit verklebt auf der Straße fahren.

Das Weltmarktvolumen beträgt nur 1,7 Milliarden Euro

Der 3-D-Druck hat nicht zuletzt die Arbeit der Entwickler beflügelt. Die Modelle werden – natürlich dreidimensional – am Computer erstellt und dann ausgedruckt. Im Vorcomputerzeitalter mussten Prototypen aufwendig am Zeichenbrett erstellt und dann von Hand gefertigt werden. Handarbeit ist auch heute noch gefragt – etwa wenn der Kunde ein Design- oder ein Funktionsmodell haben will. Wetzstein zeigt auf eine zu Demozwecken entwickelte Autotür. Ihre Innenseite ist mit den gleichen Materialien bezogen wie das Serienpendant – in Handarbeit. Bertrandt kann Teile mit einer maximalen Größe von 500 mal 500 mal 400 Millimetern ausdrucken.

Auch wenn viel über 3-D-Druck geredet wird, seine wirtschaftliche Bedeutung ist gering. 1,7 Milliarden Euro beträgt das Marktvolumen – weltweit, hat die Unternehmensberatung Roland Berger errechnet. Den größten Anteil daran haben die Kunststoffausdrucke, auf die Herstellung metallener Strukturen entfallen etwa zehn Prozent. „Der weltweite Anteil des 3-D-Drucks gemessen an den gesamten Fertigungsstunden im Maschinen- und Anlagenbau ist kleiner als ein Promille“, erläutert Roland-Berger-Experte Bernhard Langefeld. „Das ist eine sehr kleine Nische“. Aber mit hohen Wachstumsraten. Gebhardt vom VDMA rechnet pro Jahr mit Wachstumsraten zwischen 20 und 25 Prozent.

Trumpf arbeitet mit Sisma in Italien zusammen

Nicht zuletzt deswegen hat der Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf das Geschäft für sich wieder entdeckt. Wohlgemerkt: wieder entdeckt. Anfang der 1990er Jahre hatten die Ditzinger schon einmal 3-D-Drucker hergestellt. „Wir hatten zwar eine technologisch gute Lösung, die dem Markt jedoch weit voraus war. Der Markt war damals erst in der Entstehung und zu klein für Trumpf“, erläutert Daniel Lichtenstein, der für die Entwicklung des Additive-Manufacturing-Geschäftes zuständig ist. Also zog sich Trumpf wieder zurück. Jetzt ist der Markt anscheinend so weit. Etwa 300 industrielle Metalldrucker würden pro Jahr weltweit verkauft, sagt Lichtenstein. Trumpf will davon einen gehörigen Anteil abhaben. Zahlen nennt Lichtenstein nicht. Die Ditzinger gehen das Thema gemeinsam mit einem Partner an, dem italienischen Laserhersteller Sisma. Sie haben ein Joint Venture gegründet. Trumpf hat mit einem Anteil von 55 Prozent die unternehmerische Führung, das Gemeinschaftsunternehmen hat seinen Sitz in Italien. Derzeit beschäftigt es eine kleine zweistellige Zahl an Mitarbeitern. Auf einen Zeitpunkt für die Markteinführung der ersten Trumpf-Maschinen möchte sich Lichtenstein noch nicht festlegen. Doch der Werkzeugmaschinenhersteller will schnell sein, und er will ein möglichst breites Spektrum an Lösungen bieten – nicht zuletzt deshalb hat er sich für einen Partner entschieden.

Dabei nimmt Trumpf die „anspruchsvollen Industriemärkte“ (Lichtenstein) ins Visier. Dazu gehört zum Beispiel die Flugzeugindustrie. Mit der neuen Technologie können Strukturen hergestellt werden, die bisher technisch gar nicht möglich gewesen sind. Bereits heute „reparieren“ Lasermaschinen von Trumpf Flugzeugturbinen. Sie erfüllen dabei die hohen Anforderungen der Luftfahrtindustrie. Auch in der Medizintechnik ist 3-D-Druck etabliert – nicht nur beim Aortamodell. Viele Zahntechniker drucken Kronen und Implantate einfach aus. Gleiches gilt für Knochen- und Schädelimplantate. Der Vorteil liegt auf der Hand: es sind Einzelstücke, die auf Anhieb passgenau hergestellt werden können. „Mit traditionellen Verfahren wäre die Herstellung sehr aufwendig und teuer“, so Roland-Berger-Mann Langefeld. „Mit dem 3-D-Druck werden die Daten des Scans direkt in individuelle und passgenaue Bauteile umgewandelt.“

In diesem Jahr laufen einige Kernpatente aus

Verbraucher, die sich das Ausgefallene leisten wollen, finden beim Duo Trumpf/Sisma ein Angebot – sie können sich individuelle Schmuckstücke aus Gold oder Platin oder Manschettenknöpfe mit dem Bild des Liebsten drucken. Auch Gürtelschnallen oder Brillengestelle – etwa vor einer Modenschau – sind schnell hergestellt. In diesem Markt verfügt Sisma über sehr gute Kontakte, sagt Lichtenstein. Gedruckt werden Einzelstücke oder Kleinserien. Dies gibt den Freiraum für Individualisierung – wie bei den Zahnkronen. Experten sind sich einig: für größere Serien oder gar eine Massenproduktion sind die Verfahren nicht geeignet, es dauert zu lange, und die Kosten sind zu hoch.

Gerade im wachsenden Geschäft mit den Metalldruckern räumen Experten den deutschen Maschinenbauern gute Chancen ein. Zwischen 70 und 80 Prozent der 3-D-Geräte für metallische Bauteile kommen heute von deutschen Herstellern, sagt Langefeld. Dazu gehören in der Branche bekannte Namen wie die börsennotierte SLM Solutions in Lübeck, Concept Laser im bayrischen Lichtenfels oder Eos in Krailling bei München. Doch die Konkurrenz wird zunehmen und damit der deutsche Marktanteil sinken. Dies hat auch damit zu tun, dass einige Kernpatente in diesem Jahr auslaufen. „Ab jetzt wird der Wettbewerb härter werden für die etablierten Hersteller“, sagt Bernhard Langefeld salopp. Hinzu kommt, dass Chinesen das Geschäft für sich entdeckt und eine – staatlich verordnete – Initiative gestartet haben. Langefeld ist zuversichtlich: „Deutsche Anlagenbauer haben im Bereich metallischer Bauteile augenblicklich noch einen deutlichen Knowhow-Vorteil gegenüber Herstellern aus anderen Ländern.“

Ist Trumpf nicht zu spät dran? Lichtenstein lässt solche Bedenken nicht gelten: „Der Markt fängt gerade erst an, sich vom Prototypen- zum industriellen Massenmarkt zu entwickeln. Mit unserer Kompetenz sowohl im Maschinenbau als auch in der Lasertechnik werden wird bald solide, industrietaugliche Lösungen für die Herstellung größerer Stückzahlen anbieten.“