Es wird wieder getanzt, die Nazis steigen auf – und eine der zentralen Figuren entpuppt sich als SA-Mann: Auch die düstere vierte Staffel von „Babylon Berlin“ beeindruckt durch enorme Schauwerte, ein prominentes Ensemble und eine vorzügliche Regieleistung.

Diese Serie hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: den Deutschen Fernsehpreis in vier Kategorien, mit 14 Grimme-Preisen die meisten Auszeichnungen für eine Einzelproduktion und schließlich als erste Serie überhaupt den Europäischen Filmpreis. „Babylon Berlin“, eine Koproduktion des Bezahlsenders Sky mit der ARD und im Ersten 2018 erstmals zu sehen, ist die teuerste Serie der deutschen Fernsehgeschichte; allein die ersten beiden Staffeln à acht Folgen haben angeblich 40 Millionen Euro gekostet.

 

Zwischenzeitlich hat sich Sky, das sich keine eigenen Serien mehr leisten kann, aus der Finanzierung verabschiedet; die fünfte Staffel muss die ARD alleine stemmen. Zunächst zeigt das Erste jedoch die vierte, die sich bereits nach wenigen Minuten erneut als preiswürdig erweist. Es ist zwar verständlich, dass Jurys nicht dauernd „Babylon Berlin“ auszeichnen wollen, aber allein Szenen- und Kostümbild sind herausragend, von Buch und Regie ganz zu schweigen. Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten haben erneut exzellente Arbeit geleistet, die Bildgestaltung (wie zuletzt Bernd Fischer, Philipp Haberlandt, Christian Almesberger) ist von einer nahezu konkurrenzlosen Qualität.

Charlotte wird zur Arbeitslosen

Basis der Geschichten sind die bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Romane von Volker Kutscher. Die Drehbücher des Regietrios (ergänzt um die Autorinnen Bettine von Borries und Khyana el Bitar) erlauben sich die eine oder andere Abweichung, aber die Meriten für Gerüst und Figuren gebühren Kutscher. Staffel vier (nach dem Roman „Goldstein“) beginnt Silvester 1930. Entsprach die Atmosphäre bis dahin einem Tanz auf dem Vulkan, so beginnt der Berg nun zu brodeln, und Gereon Rath (Volker Bruch), Mitglied der Mordkommission, steckt mittendrin: Ausgerechnet die Identifikationsfigur der Reihe entpuppt sich als SA-Mann, der munter mittut, als die braunen Horden auf dem Kurfürstendamm jüdische Geschäfte zerstören und deren Inhaber auf offener Straße halb totprügeln.

Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) ist genauso schockiert wie das Publikum und kündigt dem Kollegen umgehend die Freundschaft. Als ihre Schwester Toni (Irene Böhm) kurz darauf beim Kaufhausdiebstahl erwischt wird, scheitert die Kriminalassistentin bei dem Versuch, Toni zu decken, kläglich. Kriminalrat Gennat (Udo Samel), der größte Stücke auf sie hält, muss sie schweren Herzens und zutiefst enttäuscht entlassen; nun gehört auch Charlotte zum riesigen Heer der Arbeitslosen, die in langen Schlangen an den Suppenküchen anstehen. Toni wiederum wird von der Polizei gejagt, weil sie Zeugin war, wie ein besonders niederträchtiger Schupo (Ronald Kukulies) dafür gesorgt hat, dass ihr Komplize vom Kaufhausdach stürzt. Bei ihren Nachforschungen findet Charlotte heraus, dass in letzter Zeit auffällig viele obdachlose Jugendliche unter ominösen Umständen ums Leben gekommen sind.

Tanzen bis zum Umfallen

Natürlich wird auch wieder getanzt, schließlich gehören Musik und Gesang (diesmal von Max Raabe und Meret Becker) zum Markenkern der Serie: Charlotte macht bei einem Tanzmarathon für Frauen mit; die Teilnehmerinnen müssen sich buchstäblich bis zum Umfallen bewegen. Erlöst wird sie ausgerechnet durch Rath, der selbstverständlich ein Ehrenmann geblieben ist und die SA bloß unterwandert hat. Außerdem sucht er den Mörder eines städtischen Beamten, der für die Vergabe von Wettlizenzen zuständig war; es geht, wie sich schließlich zeigt, um verschobene Boxkämpfe, hinter denen womöglich eine Wettmafia steckt. Die teils grotesken Mitglieder der Unterwelt wirken auch dank des Maskenbilds wie Comicfiguren. Ähnlich überzeichnet ist der von Lars Eidinger verkörperte Fabrikantenspross Nyssen, der als erster Deutscher auf dem Mond landen will; aber die dafür nötige Raketentechnik ließe sich natürlich auch gegen Feinde des Reichs einsetzen.

Wie in den anderen Staffeln gibt es eine Vielzahl von Nebenfiguren, die allesamt eigene Pläne verfolgen. Trotzdem besteht keinerlei Gefahr, den Überblick zu verlieren, zumal in den wichtigen Rollen vertraute Gesichter mitwirken. Der optische Aufwand ist ohnehin enorm, allein 4000 Komparsen mussten eingekleidet werden. Angeblich hat jede Folge 2,5 Millionen Euro gekostet, also eine Million mehr als ein doppelt so langer durchschnittlicher Fernsehfilm. Aus Sicht der ARD ist das Geld gut investiert: Mit bislang 55 Millionen Mediathek-Abrufen dürfte „Babylon“ eine der erfolgreichsten deutschen Produktionen sein.

Das Erste zeigt am So. die ersten vier Episoden ab 20. 15 Uhr und ab 23.15 Uhr „Babylon Berlin in Concert“. Der Rest folgt Mo., 20.15 Uhr, Di. (22.10 Uhr) und Mi. (21.45 Uhr). Die Serie steht bereits komplett in der ARD-Mediathek.