Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Dort ist dem Staatsgast eine Premiere vergönnt. In Frankreich darf der Präsident vor dem Parlament keine Reden halten. In Deutschland schon. Dazu wurde eigens der Plenarsaal umgebaut, damit auch jene 400 französischen Abgeordneten, die aus Paris angereist sind, Platz finden. Hollande ist nicht der erste französische Präsident, der vor dem Bundestag spricht. Aber der erste, dem hier ein Publikum zuhört, das mehr als 1000 Köpfe zählt. Doch zunächst kommt ein anderer Präsident zu Wort: Norbert Lammert, der Hausherr. Er erinnert daran, dass der Bundestag sich nicht an diesem Ort versammeln könnte, wenn aus Erzfeinden nicht Erbfreunde geworden wären. Lammert umschreibt den akuten Zustand des Verhältnisses zwischen den Nachbarstaaten präziser als alle anderen, die noch zu Wort kommen. In jeder stabilen Beziehung, so sagt er, gebe es Phasen der Leidenschaft und Phasen der Vernunft. Die deutsch-französischen Beziehungen befänden sich „eher in einer Phase der leidenschaftlichen Vernunft als der romantischen Verliebtheit“.

 


Als Präsident Hollande zum Mikrofon schreitet, verirrt er sich zunächst, da er an-nimmt, von gleicher Stelle aus sprechen zu dürfen wie Lammert. Doch der sitzt auf dem Podium des Präsidiums. Für alle anderen ist das Rednerpult eine Etage tiefer vorgesehen – auch für besondere Gäste. Dem gleichen Irrtum wie Hollande war auch der Papst schon erlegen. Der französische Präsident wirbt für den Export der Idee, die dem Élysée-Vertrag zugrunde liegt. Ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Deutschland und Frankreich müsse allen Ländern in Europa angeboten werden. Die Freundschaft beider Länder sei „nicht exklusiv, sondern offen“.

Nicht alle treffen den richtigen Ton

„Wir sind noch nicht am Ende des Weges“, sagt Kanzlerin Merkel. Sie verspricht eine gemeinsame Initiative zur Reform der EU. „Wir werden auch in Zukunft noch große Aufgaben zu erledigen haben.“

Nicht alle nachfolgenden Redner treffen stets den richtigen Ton. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier schwärmt in einer Weise von seinem alten Deux-Chevaux, dass man heraushören könnte, Franzosen seien nicht im Stande, ordentliche Autos zu bauen. Und Rainer Brüderle, neuerdings „Gesicht und Kopf“ der FDP, doziert über Geldwertstabilität, als übe er für künftige Wahlkampfauftritte.



Merkel wird direkt

Merkel beendet den gemeinsamen Auftritt brüsk – in einer Manier, die sich Franzosen kaum deutscher ausmalen könnten. Als ein Journalist aus Hollandes Tross der Kanzlerin langatmige Fragen stellt, antwortet sie kurz angebunden, es sei jetzt Zeit, in Richtung Bundestag aufzubrechen, wo gleich die Feierstunde beginne. In Deutschland gebe es die Regel, pünktlich vor dem Parlament zu erscheinen.

Eine Première für den Staatsgast

Dort ist dem Staatsgast eine Premiere vergönnt. In Frankreich darf der Präsident vor dem Parlament keine Reden halten. In Deutschland schon. Dazu wurde eigens der Plenarsaal umgebaut, damit auch jene 400 französischen Abgeordneten, die aus Paris angereist sind, Platz finden. Hollande ist nicht der erste französische Präsident, der vor dem Bundestag spricht. Aber der erste, dem hier ein Publikum zuhört, das mehr als 1000 Köpfe zählt. Doch zunächst kommt ein anderer Präsident zu Wort: Norbert Lammert, der Hausherr. Er erinnert daran, dass der Bundestag sich nicht an diesem Ort versammeln könnte, wenn aus Erzfeinden nicht Erbfreunde geworden wären. Lammert umschreibt den akuten Zustand des Verhältnisses zwischen den Nachbarstaaten präziser als alle anderen, die noch zu Wort kommen. In jeder stabilen Beziehung, so sagt er, gebe es Phasen der Leidenschaft und Phasen der Vernunft. Die deutsch-französischen Beziehungen befänden sich „eher in einer Phase der leidenschaftlichen Vernunft als der romantischen Verliebtheit“.



Als Präsident Hollande zum Mikrofon schreitet, verirrt er sich zunächst, da er an-nimmt, von gleicher Stelle aus sprechen zu dürfen wie Lammert. Doch der sitzt auf dem Podium des Präsidiums. Für alle anderen ist das Rednerpult eine Etage tiefer vorgesehen – auch für besondere Gäste. Dem gleichen Irrtum wie Hollande war auch der Papst schon erlegen. Der französische Präsident wirbt für den Export der Idee, die dem Élysée-Vertrag zugrunde liegt. Ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Deutschland und Frankreich müsse allen Ländern in Europa angeboten werden. Die Freundschaft beider Länder sei „nicht exklusiv, sondern offen“.

Nicht alle treffen den richtigen Ton

„Wir sind noch nicht am Ende des Weges“, sagt Kanzlerin Merkel. Sie verspricht eine gemeinsame Initiative zur Reform der EU. „Wir werden auch in Zukunft noch große Aufgaben zu erledigen haben.“

Nicht alle nachfolgenden Redner treffen stets den richtigen Ton. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier schwärmt in einer Weise von seinem alten Deux-Chevaux, dass man heraushören könnte, Franzosen seien nicht im Stande, ordentliche Autos zu bauen. Und Rainer Brüderle, neuerdings „Gesicht und Kopf“ der FDP, doziert über Geldwertstabilität, als übe er für künftige Wahlkampfauftritte.

Auch Kretschmann mischt mit

In der vergangenen Woche waren die gewöhnlichen Parlamentarier zu Wort gekommen, für die das Protokoll am Jubiläumstag keine Zeit ließ. Während dieser Bundestagssitzung herrschte eine ungewöhnliche Harmonie. „Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen“ ist in der Mitschrift an  vielen Stellen vermerkt. Die Sozialdemokraten fühlten sich bemüßigt, den CDU-Kanzler Konrad Adenauer zu loben. Selten geht es an diesem Ort so kultiviert zu. Die Redner überboten sich dabei, literarische Kronzeugen für die deutsch-französische Aussöhnung anzuführen. Der Schriftsteller Romain Rolland fand Erwähnung, Erich Maria Remarque und sogar Karl Marx. Der Linke-Parlamentarier Wolfgang Gehrcke bekannte, dass er das Nachbarland über einen weiten Umweg lieben gelernt habe: „Noch immer berühren mich die wundervollen Gedichte, die Ho Chi Minh über Frankreich geschrieben hat.“



Eine diplomatische Rolle ist auch dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zugedacht. Als aktuell erster Mann im Bundesrat leitet er eine gemeinsame Sitzung der Länderkammer mit dem französischen Senat. Auf ihren Plätzen finden die Gäste Produkte made im Ländle vor: Freundschaftsbänder in den Farben Schwarz-Rot-Gold und denen der Trikolore, die in den Werkstätten auf der Karlshöhe in Ludwigsburg geflochten wurden, wo Behinderte arbeiten. Auf den Zuhörerrängen sitzen Schüler des deutsch-französischen Gymnasiums in Freiburg. Ihnen ruft Kretschmann zu, was man als Vermächtnis des Élysée-Vertrags verstehen könnte: Er sei „überzeugt, ihr werdet es nicht zulassen, dass das Rad der Geschichte zurückgedreht wird“.

Wenn der François mit der Ongela

Am Vorabend des Jubiläumstages nehmen sich Hollande und Merkel anderthalb Stunden Zeit, um mit 200 jungen Menschen aus beiden Ländern über die Perspektiven zu diskutieren, die der Élysée-Vertrag heute bietet. Die Regierungschefs sind ihrem Publikum gegenüber im Nachteil. Wenn sie miteinander reden, dann in einer Sprache, die ihnen fremd ist. Merkel sagt, sie sei ein wenig neidisch auf die jungen Leute, weil die sich deutsch oder französisch verständigen könnten. Sie fügt hinzu: „Ich würde das vielleicht einmal lernen, wenn ich nicht mehr so viel zu tun habe.“ Hollande verrät, dass er mit „Ongela“ gelegentlich auf Englisch kommuniziere – ein Dolmetscher übersetzt das.

Eine 24-jährige Französin erzählt, sie sei Akademikerin, aber arbeitslos. Die Kanzlerin bittet sie, von ihren Erfahrungen mit Bewerbungen im europäischen Ausland zu berichten. „Ich würde wahrscheinlich in Frankreich nicht sofort genommen“, sagt Merkel. Hollande fürchtet die drohende Konkurrenz offenbar nicht. Er erwidert entspannt: „Wir prüfen das mal.“