Für die einen war Horst Herold die Verkörperung des erfolgreichen Kampfs des Staates gegen die RAF, für die anderen die Personifizierung des Überwachungsstaats. Als BKA-Chef revolutionierte er die Überwachungstechnik

Stuttgart - Verbrechensbekämpfung bedeutet Informationsgewinnung und -verarbeitung. Mit dieser Erkenntnis begann der an Kriminalsoziologie interessierte Nürnberger Staatsanwalt und Landrichter Horst Herold in den sechziger Jahren, Daten über Orte des Verbrechens zu sammeln und sie mit Hilfe von Computern auszuwerten. So entstand eine Kriminalgeografie, die es ermöglichte, die Polizei an den jeweiligen Schwerpunkten einzusetzen. Herold wurde schließlich Polizeipräsident von Nürnberg. Der damalige Bundesinnenminister Genscher hörte von Herolds Bemühungen, die elektronische Datenverarbeitung in den Dienst der Verbrechensbekämpfung zu stellen und berief ihn 1971 zum Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA).

 

Herold machte gegen viel internen Widerstand aus der bis dahin vor sich hin dümpelnden Bundesbehörde eine effektive Einrichtung, die weltweit Anerkennung fand. Die EDV wurde, wie er sagte, „zur Lupe des modernen Kriminalisten“. Rasterfahndung, das Erfassen von Bewegungen verdächtiger Personen sowie das Sammeln von Merkmalen und Objekten wurden zum Kennzeichen des BKA. Informationen über den zu dieser Zeit einsetzenden RAF-Terrorismus wurden in die Systeme BEFA und PIOS gespeichert und konnten sekundenschnell abgerufen werden. Damit hatte das BKA wesentlichen Anteil an der Zerschlagung der ersten RAF-Generation 1972.

Mit 57 Jahren ging Herold in den Ruhestand

Aber es entstand eine neue Generation, die Herold mit immer ausgeklügelteren Methoden observieren ließ. Später sagte er: „Ende 1976 wussten wir mehr über die Terroristen als diese selbst.“ Herold legte nahe, sich bei der Fahndung auf Hochhäuser zu konzentrieren: „Nur diese gestatten ein anonymes Wohnen, das rasche Erreichen von Parkplätzen, Transporte mit Liften, die Lage der Fenster ohne Gegenüber.“ Mit dieser Rasterfahndung hätte Herold bei der Suche nach dem entführten Hanns Martin Schleyer fast seinen größten Erfolg erzielt. Es gab einen Hinweis auf eine Hochhauswohnung in Erftstadt-Liblar, in der Schleyer versteckt gehalten wurde, aber dieser Hinweis ging „auf dem Dienstweg verloren“.

Diese Panne nahm der FDP-Bundesinnenminister Gerhard Baum zum Anlass, gegen Herold vorzugehen. Er verdächtigte ihn, bürgerliche Freiheiten einschränken zu wollen, der Datenschutz sei beim Bundeskriminalamt nicht hinreichend gewährleistet. Der Minister veröffentlichte einen Datenprüfbericht, der dem BKA unterstellte, Personendaten rechtswidrig erhoben zu haben. Der Innenausschuss des Bundestages konnte diese Vorwürfe aber nicht bestätigen. Als Herold davon erfuhr, dass Baum am Bundeskriminalamt vorbei die Terroristen Christian Klar und Adelheid Schulz durch den Verfassungsschutz hatte observieren lassen, übrigens erfolglos, da machte Herold die Folgen einer Kriegsverletzung geltend und ging mit 57 Jahren in den Ruhestand. Die Bundesrepublik hatte ihren besten Polizisten eingebüßt. Als Herold das Amt verlassen hatte und seine Fahndungssysteme umbenannt, entschärft und eingeschränkt wurden, blieben die Fahndungserfolge aus.

Gewiss, Herold war übereifrig und datensüchtig, und möglicherweise gefährdete er mit seinen immer weiter ausgreifenden Dateien unabsichtlich den Primat der Politik. Aber dieser Konflikt hätte sich auch anders lösen lassen. Doch Baum war dazu nicht bereit. Als Herold daran dachte, seine Erfahrungen mit der RAF in einem Buch niederzulegen, verweigerte ihm der wenig liberale Minister den Zugang zu den Akten. Es hätte ein wichtiges Buch werden können. Am 21. Oktober wird Horst Herold neunzig Jahre alt.