Verschiedene Vertreter aus der deutschen Wirtschaft haben nach dem Abbruch der Jamaika-Sondierungen Kritik geäußert. Sie befürchten eine Verunsicherung, die Investitionen bremsen kann.

Berlin - „Schlamassel“, „Tiefpunkt“, „Enttäuschung“: Die deutsche Wirtschaft spart nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen für eine Regierungsbildung zwischen Union, FDP und den Grünen nicht mit Kritik. Sie befürchtet eine Verunsicherung, die Investitionen bremsen kann. Führende Verbände erinnerten die Parteien an ihre staatspolitische Verantwortung und forderten, rasch für stabile Verhältnisse in Deutschland zu sorgen. Top-Ökonomen rechnen aber nicht damit, dass der deutsche Aufschwung abrupt endet. An Europas Börsen drückten die Ereignisse in Berlin zeitweise die Stimmung. Größere Kursverluste blieben aber aus.

 

„Was für ein Schlamassel“, sagte der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Holger Bingmann, am Montag. Es scheine die Sehnsucht zu grassieren, die Oppositionsrolle statt den Gestaltungsauftrag anzunehmen. „Das ist geradezu demokratieschädlich.“ Nach diesem „Tiefpunkt“ sollten sich alle Beteiligten 14 Tage Zeit nehmen, um sich zu besinnen.

Kein gutes Signal für Wirtschaft und Gesellschaft

„Es ist fatal und kein gutes Signal für Wirtschaft und Gesellschaft, dass die sondierenden Parteien nicht in der Lage waren, sich auf tragfähige Kompromisse zu verständigen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen“, kritisierte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Peter Wollseifer. „Damit haben die sondierenden Parteien Deutschland einen Bärendienst erwiesen.“

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer mahnte: „Deutschland braucht eine stabile Regierung.“ Denn das Land und Europa ständen vor großen Herausforderungen. Sein Kollege vom Industrieverband BDI, Dieter Kempf, warnte ebenfalls, Deutschland brauche mehr als eine bloß geschäftsführende Regierung, um drängende Entscheidung im Lande und in Europa treffen zu können.

Wirtschaft sieht Chance vertan

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Das Scheitern sei eine Enttäuschung, werde doch damit eine Chance verpasst, ideologische Grenzen zu überwinden und sachgerechte Lösungen zu finden. „Deutsche Unternehmen müssen sich nun auf eine möglicherweise längere Phase der Unsicherheit einstellen“, warnte er. „Das Ende der Sondierungen ist eine schwere Enttäuschung“, meinte der Präsident des Bankenverbandes und Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Privatbank Berenberg, Hans-Walter Peters: „Jetzt geht wertvolle Zeit verloren, um Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Bildung und die Weiterentwicklung Europas schnell anzupacken“.

Auch der Maschinenbauverband VDMA warnte: „Eine Hängepartie kann sich Deutschland in keiner Weise leisten.“ Der Verband „Die Jungen Unternehmer“ sprach von einer „unprofessionellen Verhandlungsführung“ aller Beteiligter, die ein schlechtes Licht auf Deutschland werfe.

Volkswirte bleiben zuversichtlich

Ein Ende des acht Jahre währenden Aufschwungs erwarten führende Volkswirte durch das Jamaika-Aus allerdings nicht. „Der daraus erwachsende volkswirtschaftliche Schaden dürfte gering sein, denn die Fundamentaldaten sind stark und die Konjunktur hat viel Rückenwind“, sagte der Chefvolkswirt der Nordea Bank, Holger Sandte. Commerzbank-Chef Martin Zielke sprach zwar von einer „politisch schwierigen Situation“, die es nun gebe. „Für die deutsche Wirtschaft bleibe ich aber zuversichtlich“, fügte er hinzu. Die deutsche Wirtschaft werde stark bleiben.

Der Chefvolkswirt seiner Bank, Jörg Krämer, äußerte sich ähnlich. „Natürlich ist die Unsicherheit Gift für die Wirtschaft“, sagte er. Doch befinde sich Europas größte Volkswirtschaft in einer äußerst robusten Verfassung. „Die Wettbewerbsfähigkeit ist noch immer hoch, die lockere EZB-Politik facht die Nachfrage an.“

Auch Rufe nach neuem Anlauf für Jamaika

Wie es auf politischer Ebene nun weitergehen soll, darüber sind Experten uneins. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht Chancen in einer Minderheitsregierung. „Das größte ökonomische Risiko besteht in der wachsenden Unsicherheit über den Kurs der Wirtschaftspolitik und die Stabilität der Regierung“, sagte Fuest. „Die Chance besteht darin, dass die Rolle des Parlaments gestärkt wird und über einzelne politische Entscheidungen ausführlicher und offener diskutiert wird.“ Die skandinavischen Länder und Kanada hätten mit Minderheitsregierungen oft gute Erfahrungen gemacht.

Der Präsident des Berliner DIW, Marcel Fratzscher, schreibt dagegen Jamaika noch nicht ab. „Noch sind hoffentlich nicht alle Stricke gerissen“, betonte er. „Die Jamaika-Parteien müssen einen neuen Anlauf machen, denn sie wissen, für keine von ihnen würden Neuwahlen Erfolg versprechen.“ Deutschland brauche eine handlungsfähige Regierung mit klaren Zielen und Visionen.