Abenteuer Fertighausbau Was man beim Bau eines Fertighauses erleben kann

Viele Fertighaushersteller werben mit Bauen ohne Sorgen, dem Bauherren werde alles abgenommen. Die Realität sieht ein wenig anders aus. Foto: 146241169

Vor allem im Süden Deutschlands boomt der Fertighausbau. Die Branche verspricht Bauen ohne Sorgen, vom Keller bis zum Dachziegel. Löst sie ihr Versprechen ein? Ein Bautagebuch gibt Einblicke.

Stuttgart - Der Fertighausbau boomt vor allem im Süden Deutschlands. Ein Bautagebuch gibt Einblicke.

 

Spätherbst 2018 – der Brief von der Stadt

Das Abenteuer beginnt mit einem Brief von einer Großstadt, die sich kinderfreundlich nennt, ihre wenigen Baugrundstücke für Familien aber gerne im Verfahren des Höchstpreisgebots vergibt: „Glückwunsch, Sie haben den Zuschlag für ein Grundstück bekommen.“ Ein Brief, der dein Leben verändern wird. Plötzlich liegen da 420 Quadratmeter vor dir, du fährst raus, um dieses Land zu besichtigen. Grauer Himmel, stachlige Disteln, Matsch, der an Gummistiefeln hochquillt. Ein Immobilienmakler würde in diesem Neubaugebiet vermutlich von „einer Menge Gestaltungsspielraum“ reden.

Winter 2018 – die Fertighauswelt

In Deutschland gibt es viele Parallelwelten: Spielotheken, Whatsapp-Gruppen von Kita-Eltern, Nagellackstudios und Matratzendiscounter. Irgendwo am Stadtrand steht die Fertighauswelt. In der Fertighauswelt läufst du auf dem Trampelpfad deiner Eigenheimträume von einem Muster-Haus in das nächste, jeder Hersteller umschmeichelt die Suchenden: Holzbauweise statt Beton, brutalstmöglich gedämmt und klimafreundlich. Quasi Einfamilienhausbauen ohne Anton Hofreiter und schlechtes Gewissen. Du lernst dort neue Begriffe, ohne die du bisher gut leben konntest: Kniestock, Nettogrundfläche, viertelgeführte Treppe. Die Fertighauswelt ist der Treffpunkt für diejenigen, denen beim Bohren die Hände zittern, für Hausbau-Angsthasen. Bin dabei.

Irgendwo bleibt man hängen. Das Versprechen des Anbieters lautet: „Spielplatz. Traumschloss. Glücksort. Paradies.“ Wer Häuser verkauft, beschwört Fantasien von einer möglichen Zukunft – Kinder, die im Sandkasten spielen, Grillgeruch in der Nase, Weißwein auf der Terrasse, freundliche Nachbarn nebenan.

Winter 2018 – der Verkäufer

Herr B. kommt zu Besuch in die Mietwohnung. Herr B. ist eine Waffe für sein Unternehmen: gewinnendes Lächeln, kinderfreundlich und ein Erklärbär, der auch in der „Sendung mit der Maus“ auftreten könnte. Eine Vertriebsgranate. Aus seiner Aktentasche zieht Herr B. sein bestes Argument: ein Teil der Hauswand des Unternehmens. Herr B. erzählt vom Holz und der Wärmedämmung. Dann rechnet er die Hauskosten hoch. Die Kundschaft fragt mehrfach nach: „Was kommt da am Ende noch an Kosten dazu?“ Herr B. setzt seinen Bernhardiner-Blick auf: Da komme nicht mehr hinzu.

Sein entscheidendes Versprechen lautet: „Schlüsselfertig.“ Das Haus habe die „höchste Ausbaustufe“. Man kümmere sich schlichtweg um alles. Vom Keller über die trittschallgedämmte Decke bis zum letzten Dachziegel. Wann der Bau fertig werde? Herr B. lächelt, im Herbst 2020 werde man einziehen können. Falls es im Ablauf mal stocken sollte, würde er mit den Mitarbeiterinnen reden. Seine Schokolade bewirke so manches. Am Ende steht eine Unterschrift – er hat uns in der Tasche.

Frühjahr 2019 – die Architektin

Frau A. ist Architektin – und der zweite Versuch. Der erste Architekt hatte Lieferschwierigkeiten mit Schlafzimmer, Wohnzimmer und Essbereich – beziehungsweise damit, wo all diese Bereiche im Haus platziert werden könnten. Seine Vorstellung des Versprechens von „Glücksort“ und „Paradies“: „Ich liefere Ihnen Entwurf A oder B, Sie können dann entscheiden.“ Mal kurz den vom Anbieter vermittelten Architekten gegoogelt: Alle Häuser, die der Mann jemals gebaut hatte und die auf seiner Website stehen, sehen genau so aus wie Häuser, in denen man persönlich nicht leben will. Die Wege trennen sich, bevor es richtig losgeht. Frau A. kommt ins Spiel und macht es besser – viel besser, und so entsteht mit viel Gestaltungsspielraum nach und nach ein dreidimensionales Bild von einem anderthalbgeschossigen Gebäude mit Satteldach,in das man gerne einziehen würde. Möglichst bald. Ein naiver Wunsch.

Sommer 2019 – das Baurechtsamt

Mit den fertigen Plänen beim Baurechtsamt. Das Baurechtsamt selbst muss ein schwermütiger Architekt geplant haben. Beton, braune Verschalung, auf langen Gängen flackerndes Neonlicht. Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür und ein „Jaha?!“, das sich eher nach „Heraus!“ als nach „Herein!“ anhört. Der Mitarbeiter teilt sich sein Büro mit einer halb toten Zimmerpalme. Frau A. erklärt ihm mit höchstem diplomatischen Geschick, dass bei den Plänen alle Vorgaben des Bebauungsplans eingehalten worden seien. Der Amtmann weiß es besser: „Ich habe noch jedes Mal was gefunden!“

Winter 2019 – das Wartezimmer

Der Bauantrag ist endlich genehmigt, und auch die Fertigbaufirma ist flott unterwegs. Zumindest dann, wenn es darum geht, den Kunden auf seine Anzahlungen hinzuweisen. Beim Termin für die Hausaufstellung – so der Fachjargon beim Fertigbau – wird man jedoch einsilbig. Man könne den Termin noch nicht nennen, mit der Baugenehmigung habe sich der Kunde schließlich Zeit gelassen. Plötzlich sind Ansprechpartner im Urlaub; einen Projektleiter, der alle Fäden in den Händen hält, gibt es nicht. Jetzt muss der gute Herr B. mit seiner Bestechungsschokolade weiterhelfen. Doch von Herrn B. kommt eine Mail, dass er leider momentan nichts für einen tun könne. „Bitte um Verständnis!“ Vermutlich öffnet er in diesem Moment andernorts seine Aktentasche.

Inzwischen gibt es auch einen Bauleiter, der die Sache am Laufen halten soll. Der Mann ist so wortkarg, wie man sich einen mongolischen Pferdezüchter vorstellt. Er meldet sich nur dann, wenn die Bauherrschaft mal wieder etwas für ihn regeln soll: „Hend ihr euch ned drum kümmert?“ Der Bauleiter ist in Wahrheit ein Bauweiterleiter. Für ihn hat längst der fachkundige Schwiegervater einen Großteil des Projektmanagements übernommen. Er berät, stellt Kontakte zu Handwerkern her und schaut, dass die Sache vorangeht.

Sommer 2020 – die Hauptbemusterung

Ein Haus mit vier Wänden wirkt doch ein wenig kahl, höchste Zeit für die Innenausstattung. Zu Besuch am Firmensitz auf der Schwäbischen Alb, es ist der Tag der sogenannten Hauptbemusterung. Du hast 48 Stunden Zeit, um dich für den Boden zu entscheiden, über den deine Kinder toben, um die Duscharmaturen auszuwählen, die Fenstergriffe, die Haustür, einfach alles. Durch diese Schöner-wohnen-Wunderwelt führt Herr S. hindurch, der den Titel eines „Ausstattungsberaters“ führt.

Herr S. zeigt die hauseigenen Lichtstrahler, die pro Stück 50 Euro teurer sind als die Konkurrenzprodukte, die er rein zufällig links liegen lässt. Zusatzkosten bei 50 Strahlern: 2500 Euro. In diesen zwei Tagen musst du hellwach sein, weil dir sonst leicht die Kosten für dein Haus um die Ohren fliegen.

Aber irgendwann bist du nur noch furchtbar müde, weil Herr S. Stärken bei den Fachbegriffen, aber Schwächen beim Erklären hat. Am Ende der beiden Tage zeichnet er auf einem DIN-A4-Blatt von Hand einen krakeligen Elektrikplan mit Lichtschaltern, Steckdosen und Internetanschluss auf. Das Blatt erinnert entfernt an eine altägyptische Hieroglyphenschrift.

November 2020 – die Hausaufstellung

Die Stunde der schweren Geräte: Auf einem Tieflader kommen im Werk fertiggestellte Wände mit bereits eingebauten Fenstern am Bauplatz an. Ein Kran wuchtet die Wände an gewaltigen Haken in die Höhe und lässt sie zentimetergenau an den für sie vorbestimmten Platz schweben. Hausbauen wie bei einem Lego-Bausatz, nur im XXL-Maßstab. Auftritt von Herrn K., der das Haus fertig bauen soll – Herr K. ähnelt optisch Meister Proper, Hirn hat er auch. Herr K. misst Wände aus, passt Fensterbretter an, er verlegt Böden. Herr K. ist der „Truppführer“ eines dreiköpfigen Bautrupps, in den nächsten vier Monaten nimmt das Haus unter seinem Kommando Formen an. Er sägt und spachtelt, zimmert und fugt.

Je näher die Fertigstellung rückt, desto klarer wird, wie dehnbar das Wort „schlüsselfertig“ sein kann: Der Keller ist fertig. Mal abgesehen davon, dass es sich am Ende erweist, dass er keine Türen hat, kein Licht und keinen Boden. Die Regenrinne ist vorhanden – aber nicht an die Kanalisation angeschlossen. Das Haus steht auf einem Sockel – aber der muss in Eigenleistung angestrichen werden.

Schlüsselfertiger Fertighausbau ist in manchen Punkten so all-inclusive wie ein Urlaub ohne Frühstücksbüfett und Sitzplatz im Flieger. Was sagte noch gleich Herr B. eingangs zu den Kosten? „Da kommt nichts mehr dazu.“ Von wegen. Zwischen erstem Angebot und Endpreis sind die Kosten um 20 Prozent gestiegen.

März 2021 – die Hausübergabe

Wo einst Ödnis war, Disteln piksten und Matsch quoll, steht ein Haus. Sieht gut aus, ähnelt doch sehr jenem Haus, von dem man mal geträumt hat. Zum Schluss ein Rundgang mit dem Bauleiter – da muss noch eine Macke in der Treppe ausgebessert werden, dort fehlt tatsächlich ein Heizelement und ein Lichtschalter ist tot. Alles werde ganz bald ausgebessert, verspricht der Bauweiterleiter, der sich darum kümmern will. Es klingt wie eine Drohung. Die Schlussrate will das Unternehmen natürlich sofort. Bekommt es aber nicht vollständig.

Am Ende könnte man das Fazit mit Giovanni Trapattoni ziehen. Ich habe fertig. Fertighaus. Und ein bisschen fertig ist man als Bauherr am Ende auch selbst.

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