Die Insolvenz der Wirsol AG ist peinlich für den CDU-Bundestagsabgeordneten Olav Gutting: Er diente der Solarfirma als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist. Nun gibt es kritische Fragen zu seiner Doppelrolle.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein großer Tag für die Wirsol Solar AG. Ein Solarpark der Unternehmensgruppe aus Waghäusel (Kreis Karlsruhe) bildete die Kulisse, als die Spitzenkandidaten der Opposition kurz vor der Landtagswahl 2011 demonstrativ gemeinsam auftraten. Bei strahlendem Sonnenschein ließen sich Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD) durch die Anlage führen, begleitet von mehreren Dutzend Reportern, Fotografen und Kamerateams. Die Medienleute kamen voll auf ihre Kosten: In Sichtweite der Kühltürme des Kernkraftwerks Philippsburg besichtigten die Wahlkämpfer eine Vorzeigefirma für erneuerbare Energien – das hatte hohen Symbolwert. Hier könne man sehen, „wie nahe Vergangenheit und Zukunft beieinander liegen“, frohlockte der örtliche SPD-Abgeordnete. Immer wieder wurden Kretschmann und Schmid vor einem bewusst mehrdeutigen Wirsol-Transparent abgelichtet: „Neue Energie für Baden-Württemberg.“ Sechs Tage später gewannen sie die Wahl, es kam zum historischen Machtwechsel.

 

Drei Jahre danach ist der Glanz von Grün-Rot deutlich verblasst – aber der von Wirsol ungleich mehr. Im Juli 2013 feierte der international tätige Dienstleister für Planung, Finanzierung, Bau und Wartung von Sonnenkraftwerken noch sein zehnjähriges Bestehen. Mit 250 Mitarbeitern hatte er zuletzt 290 Millionen Euro umgesetzt und ein Ergebnis von 17 Millionen Euro erwirtschaftet. Zum Firmenjubiläum schickte Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) eine Videobotschaft, in der er den Einsatz der „Wirsolaner“ für die Energiewende lobte. „Ich wünsche Ihnen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg“, verblieb er.

Doppelrolle als Lobbyist und Chefkontrolleur

Es half nichts. Keine drei Monate später geriet Wirsol in schwere Turbulenzen. Weil die Kreditlinie über 65 Millionen Euro auslief und die Anschlussfinanzierung ungewiss war, beantragte das Unternehmen beim Amtsgericht Karlsruhe zunächst ein Schutzschirmverfahren; wenig später folgte der Insolvenzantrag. Der Firmengründer Markus Wirth und andere Manager schieden aus der Führung aus, das Regiment übernahm der Insolvenzverwalter. Zumindest für das Deutschland-Geschäft gibt es inzwischen eine Perspektive: dank dem Engagement des SAP-Gründers Dietmar Hopp soll es unter der Marke Wirsol weitergeführt und neu positioniert werden.

Kretschmann, Schmid und Altmaier dürften die Krise von Wirsol bedauern. Für einen anderen Politiker aber ist sie auch persönlich unangenehm: den CDU-Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Bruchsal-Schwetzingen, Olav Gutting. Der 43-jährige Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei ist dem Unternehmen seit langem eng verbunden – und das nicht nur, weil seine Ehefrau dort von 2009 bis 2010 Leiterin der Rechtsabteilung war. Seit 2007 gehört Gutting dem Aufsichtsrat der Wirsol Solar AG an, seit 2008 ist er dessen Vorsitzender. Nun muss er sich fragen lassen, welchen Anteil er am Niedergang der Firma hat und ob seine Mehrfachrolle als Politiker, Lobbyist und Chefkontrolleur nicht problematisch ist.

„Die Insolvenz schmerzt mich persönlich“

„Sie dürfen mir glauben, dass die Insolvenz der Gesellschaft mich persönlich schmerzt“, sagt Gutting. Zu möglichen Versäumnissen des Aufsichtsrates, etwa bei der Einschätzung von Risiken, äußert er sich nicht. Auskünfte könne alleine der Insolvenzverwalter geben – doch der schweigt. Geredet wird über die Pleite unter den Augen des CDU-Mannes natürlich trotzdem, zumal sie Zweifel an dessen Wirtschaftskompetenz weckt. Ein Bruchsaler Internetmagazin gratulierte ihm spöttisch zur Wiederwahl in den Bundestag: Nun habe er ja wieder mehr Zeit, sich der „erquicklichen Aufgabe“ als Wirsol-Aufseher zuzuwenden. „Glauben Sie, dass Ihre Tätigkeiten als Bundestagsabgeordneter und Rechtsanwalt Ihnen nicht genug Zeit ließen, um die Geschäftsführung der Wirsol AG wirksam zu überwachen und es daher zu diesen Problemen kam?“, erkundigte sich ein Bürger via Abgeordnetenwatch.de. „Nein, das glaube ich nicht“, antwortete Gutting leicht säuerlich.

Wichtiger denn als Kontrolleur war der Parlamentarier für Wirsol wohl ohnehin als Lobbyist. Das Geschäft des Solarprojektierers ist stark von gesetzlichen Vorgaben abhängig – und die werden überwiegend in Berlin gemacht. Ob es um die Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare Energien-Gesetz geht, um die Höhe der Förderung von Solaranlagen oder die 2013 diskutierte „Strompreisbremse“ – bei dem Unternehmen schlägt sich jede Änderung sofort in Euro und Cent nieder. Immer wieder wunderten sich Fraktionskollegen, wie vehement sich Gutting in energiepolitische Diskussionen einschaltete; dabei ist sein Fachgebiet eigentlich die Finanzpolitik. Die zuständigen Experten, hört man aus Berlin, habe er auch im kleineren Kreis bearbeitet – gerne im „Grill Royal“, einem exklusiven Steakrestaurant. Doch der Erfolg blieb überschaubar, deren Skepsis gegen eine allzu üppige Förderung konnte er nicht ausräumen. Die Bürgerfrage, ob auch Bremser bei der CDU an der Wirsol-Krise schuld seien, wies der Abgeordnete allerdings scharf zurück: Ihm sei „von maßgeblichen Strömungen“ gegen die Erneuerbaren in der Union „nichts bekannt“.

Im Spitzenjahr 80 000 Euro für die Aufseher

An seiner Lobbyarbeit für Wirsol kann Gutting nichts problematisch finden. Das Unternehmen habe sich „zu einem der größten Gewerbesteuerzahler im Wahlkreis und Jobmotor entwickelt“, auch Handwerks- und Baubetriebe hätten davon profitiert. Wenn es um Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gehe, sagte er der StZ, „setze ich mich immer dafür ein“. Unternehmen nach Berlin einzuladen, Kontakte zu Ministerien und Fachpolitikern zu vermitteln – das sei absolut üblich. Neben Wirsol ist er freilich nur einem weiteren Unternehmen unmittelbar verbunden: der Volksbank in Oberhausen-Reinhausen, als Vizechef des Aufsichtsrates.

Zu Guttings Bezügen von der Solarfirma ist nichts Genaues zu erfahren. Für die vorige Legislaturperiode gab er sie mit „Stufe drei“ an, was mehr als 7000 Euro bedeutet. Es dürfte zeitweise deutlich mehr gewesen sein: 2011 erhielt der dreiköpfige Aufsichtsrat laut Geschäftsbericht insgesamt 80 000 Euro, im Folgejahr dann nur noch 20 000 Euro. Zu den Gründen der Reduzierung erhält man ebenso wenig Auskunft wie zur Frage, inwieweit Guttings Kanzlei (der auch seine Ehefrau angehört) von Wirsol-Aufträgen profitierte. Deren Schwerpunkt: die „rechtliche Beratung kleiner und mittlerer Unternehmen“.

Neues Engagement bei Gaststätten-Firma

Bei der neuen Wirsol wird der Abgeordnete „aus heutiger Sicht“ wohl keine Funktionen übernehmen. Das Sagen in der Muttergesellschaft Wircon haben der Ex-Wirsol-Vorstand Markus Wirth und der frühere EnBW-Manager Peter Vest. „Ich freue mich aber, dass es gelungen ist, einen guten Teil der Arbeitsplätze zu erhalten“, teilte Gutting mit. Er selbst ist derweil unter die Existenzgründer gegangen, als Gesellschafter einer im Februar eingetragenen „Brunnen Restaurant Unternehmergesellschaft“ mit Sitz in Oberhausen-Rheinhausen. Deren Gegenstand: „Betrieb einer Gaststätte sowie Catering“.