In Großbritannien hält sich die Empörung über die Datenabschöpfung durch die Geheimdienste in engen Grenzen. Die Berichterstattung über heikle Überwachungsthemen unterliegt hier der freiwilligen Vorzensur der Medien.

London - Im Nationalen Gesundheitssystem gibt es einen Skandal um tote Babys. Und die Londoner Polizei soll versucht haben, der unschuldigen Familie eines schwarzen Mordopfers Rauschgifthandel anzuhängen, um vom eigenen Versagen abzulenken. Im Kabinett gibt es endlich Einigung über die neuesten Sparmaßnahmen. Alles Mögliche fanden die britischen Medien gestern wichtiger als die Enthüllungen von Edward Snowden, ehemals Mitarbeiter der US-amerikanischen National Security Agency. Demnach soll Großbritannien beim Abschöpfen von weltweiten Daten „schlimmer als die Vereinigten Staaten“ agiert haben. So sei das eben, bestätigt Anthony Glees, der an der Buckingham-Universität das Zentrum für Geheimdienst-Studien leitet: „Die meisten Briten wissen, dass Spione spionieren.“

 

Während die groß angelegte Überwachung mit dem Codenamen „Operation Tempora“ nicht zuletzt in den Medien der britischen EU-Partner breit diskutiert wird, findet auf der Insel lediglich Snowdens Flucht über Hongkong und Russland in Richtung Ecuador breite Beachtung. Sein angestrebter Asylstandort sei ja „kein freies Land“, höhnte ein Moderator der angesehenen BBC-Magazinsendung „Today“. Tatsächlich leiden dort Journalisten unter Repressionen, Präsident Rafael Correa liegt seit Jahren mit den Zeitungen der Oligarchen-Familien über Kreuz. Immerhin durfte der Lateinamerika-Korrespondent des öffentlich-rechtlichen Senders mitteilen, dass Correa bereits zwei Mal in demokratischer Wahl in seinem Amt bestätigt worden ist.

Die Kooperation mit den USA ist intensiv

In Großbritannien dagegen unterliegt die Berichterstattung über heikle Geheimdienstthemen der freiwilligen Vorzensur der Medien. Dazu hat das Verteidigungsministerium ein Komitee eingerichtet, dessen Mitteilungen (D-Notices) als Empfehlungen an die Redaktionen gehen. Laut der Richtlinie 5 soll etwa bei der Berichterstattung über die Geheimdienste, darunter auch „die Tatsache sowie die Zielpersonen von Abhöraktionen“, vor einer Veröffentlichung das Einverständnis der Experten eingeholt werden. Dafür steht der Leiter des Komitees, Vize-Luftmarschall a.D. Andrew Vallance, Tag und Nacht zur Verfügung. Der enge Datenaustausch mit den US-Geheimdiensten sowie den früheren Kolonien Australien, Kanada und Neuseeland, unter dem Namen „Echelon“ bekannt, geht auf die Waffenbrüderschaft im Zweiten Weltkrieg zurück. Seit dem Kalten Krieg werden auch die Geheimdienste wichtiger Nato-Partner, darunter der deutsche Bundesnachrichtendienst, in die Zusammenarbeit einbezogen, ohne aber die gleiche Intensität zu erreichen wie die Kooperation mit den USA.

Die besondere Beziehung zu der einstigen Kolonie jenseits des Atlantiks gilt auf der Insel als nationales Interesse und wird von allen großen Parteien verteidigt. Die zuletzt nötigen Kürzungen im Verteidigungshaushalt – unter anderem soll die Armee auf 82 000 Soldaten schrumpfen – haben das Gefühl noch verstärkt, wenigstens die Nachfolger und Helfershelfer von Superagent James Bond müssten den globalen Anspruch des einstigen Empire aufrecht erhalten. „Wir sollten stolz auf unsere Leute sein“, argumentiert etwa der konservative Unterhausabgeordnete und ehemalige Nachrichtenoffizier Ben Wallace: „Mit Informanten und elektronischer Überwachung sind wir in der Nachrichtenbeschaffung Weltklasse.”

Die größte Abhöreinrichtung der Welt

Der Abhördienst GCHQ (Government Communications Headquarters) im westenglischen Cheltenham trägt zum gemeinsamen Informationspool der anglofonen Staaten ebenso bei wie die Spezialisten, die in Bute (Grafschaft Devon) die transatlantischen Glasfaserkabel anzapfen. Von zentraler Bedeutung ist daneben die US-Spionageeinrichtung von Menwith Hill in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire. Auf dem dortigen Stützpunkt der Royal Air Force arbeiten 1200 NSA-Leute eng mit rund 400 britischen Kollegen zusammen. Die größte Abhöreinrichtung weltweit ist in den letzten zehn Jahren noch erheblich aufgerüstet worden. Soweit britische Dienste sich die Informationen zunutze machten, hat Premierminister David Cameron beteuert, handelten sie „stets im Rahmen der Gesetze“.Ohnehin hätten gesetzestreue Bürger von der staatlichen Überwachung nichts zu befürchten. Vielmehr gehe es um den „Kampf gegen Terroristen und organisierte Kriminelle sowie Kinderpornographen“, argumentiert der Geheimdienstexperte Glees. Ob die deutsche Kritik besonders überzogen ausfalle? Natürlich habe Deutschland mit Gestapo und Stasi seine ganz eigene Geschichte, meint Glees dazu: „Aber in der DDR kam auf sieben Bürger ein Stasi-Mitarbeiter. GCHQ beschäftigt einen Analysten pro 6980 Briten. Die Vorgehensweise ist gesetzlich genau geregelt.“ Die liberale Demokratie werde nicht durch einen effektiven Verfassungsschutz gefährdet, sondern durch islamistischen Terrorismus: „Das Abhören sollte uns nicht beunruhigen. Schlimm wäre nur, wenn die Geheimdienste untätig blieben.“

Besserer Zugriff zur Bekämpfung des Terrors

In der konservativ-liberalen Londoner Koalition wird schon seit einiger Zeit darüber diskutiert, ob Polizei und Geheimdienste zur Bekämpfung von Schwerkriminalität und Terrorismus besseren Zugriff auf Telefon- und Internetdaten brauchen. Dabei soll es, wie beim US-System „Prism“, zunächst nicht um den Inhalt der Kommunikation gehen, sondern darum, wer mit wem via E-Mail, Telefon und soziale Netzwerke in Kontakt steht. Einen entsprechenden Gesetzentwurf der konservativen Innenministerin Theresa May hat der liberale Vizepremier Nick Clegg unter Hinweis auf Datenschutz und Bürgerrechte blockiert, wogegen eine Phalanx früherer Innenminister, darunter auch Labour-Politiker, protestiert. Brisanz erhält die Debatte durch den jüngsten Mord an einem Soldaten auf offener Straße in London. Einer der beiden mutmaßlichen Täter hatte zuvor als muslimischer Extremist unter Beobachtung des Inlandgeheimdienstes MI5 gestanden.