Das Unbegreifliche lässt sich auch drei Wochen nach ihrem Tod nicht verstehen. Viel ist darüber spekuliert worden, warum Boxweltmeisterin Alesia Graf so früh mit 43 Jahren starb. Bei der Beerdigung äußert sich ihr Manager Heinz Schulz erstmals öffentlich dazu.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Am früheren Morgen ist der Himmel bewölkt, ein kalter Wind weht. Doch kaum gehen die Trauergäste auf dem Friedhof von Kornwestheim hinter der Urne von Alesia Graf in Richtung Baumgräber, meldet sich die Sonne und strahlt immer stärker, wie sie es kaum schöner tun könnte. „Wie das doch passt“, ist zu hören auf dem letzten Weg der Boxerin, „Alesia war ein Sonnenschein.“

 

Heinz Schulz, ihr Manager, sagt, er habe mit ihr „noch so viel vorgehabt“. Bei der Beerdigung ist er der einzige aus dem Freundkreis der früheren Boxweltmeisterin mit belarussischer Herkunft, der die Kraft hat, zu reden. Das, was er erwähnt in ruhigen und eindringlichen Worten, sorgt immer wieder für Gänsehaut.

Es klingt wie ein Märchen: vom Waisenkind zur Weltmeisterin

Der Promoter erzählt von einem Märchen. Dieser Geschichte könnte man folgende Überschrift geben: vom Waisenkind zur Weltmeisterin. Heinz Schulz erinnert daran, wie vor etwa 25 Jahren eine junge Weißrussin plötzlich in seinem Boxstall stand. Als Aupair-Mädchen war die Frau, die ohne Eltern in einem Waisenhaus aufwuchs, nach Deutschland gekommen, hatte beschlossen, hier zu bleiben und sich ganz nach oben zu kämpfen.

„Sie sagte, sie wolle Boxweltmeisterin werden“, erzählt Schulz, „ich sagte, werde erst mal württembergische Meisterin.“ Mit Disziplin und Talent habe sie viel mehr erreicht, als sich dies ihr späterer Manager jemals vorstellen konnte. „Weltmeisterin ist sie geworden“, sagt er heute, „württembergische Weltmeisterin war sie nie.“ Als der Universum-Boxstall bei ihr anrief, um ihr einen Vertrag als Profi-Sportlerin anzubieten, sei das für sie gewesen, „wie wenn bei einer Schauspielerin Hollywood anruft“.

Nachdem die Zusammenarbeit mit Branchenprimus Universum vorbei war, organisierte Schulz für sie weltweit Schaukämpfe. „Man muss auch von etwas leben“, sagt er, „von Ruhm allein geht es nicht.“

Ein Plüschtiger erinnert daran: Man nannte sie Tigerin

Der Promoter spricht am Baumgrab. Dort stehen – zum Teil auf mitgebrachten Stühlen – ein Bild der lächelnden Graf, die zuletzt mit ihrer Liebe und zwei Hunden in Kornwestheim gelebt hat, ihre Boxhandschuhe, ihre Auszeichnungen und ein Plüschtiger. Die Boxwelt nannte sie „die Tigerin“. Über 100 Trauernde haben sich bei diesem würdevollen Abschied unter dem sonnigen Himmel versammelt. Viele sind gespannt, was Heinz Schulz zur Todesursache sagen wird. Ihre Freunde hatten gebeten, nicht darüber zu spekulieren, warum sie so früh gestorben ist, erst bei der Beerdigung wolle man sich dazu äußern.

Als Kind wuchs sie in der Nähe von Tschernobyl auf

Heinz Schulz kommt rasch auf Tschernobyl zu sprechen. Als Kind ist Alesia Graf in der Nähe des Reaktors aufgewachsen. Im April 1986, da war sie fünf Jahre alt, kam es zur Atomkatastrophe. Ein radioaktiver Niederschlag ging nieder, der noch viele Jahre später für Leid sorgt. „Alesia spielte draußen auf kontaminiertem Boden“, sagt der Boxmanager. Strahlen sind hochgefährlich. Die Krebsfälle steigen extrem. Die Todesursache war also: sie war krank.

Über ihre Krankheit hat Alesia Graf, die meist Gutgelaunte, nie gesprochen. „Sie wollte auch nie zum Arzt“, sagt ein Freund. Ihrem Manager Schulz, der selbst gegen Krebs kämpfen musste, habe sie mal gesagt, sie freue sich, wenn sie 40 werde, das reiche ihr. Ein intensives und überwiegend schönes Leben hat sie geführt.

In guter Erinnerung behalten

Über weitere Einzelheiten oder gar Details ihrer Erkrankung will Heinz Schulz nicht reden. Dadurch werde sie nicht wieder lebendig. Viel wichtiger sei es, Alesia Graf in guter Erinnerung zu behalten, ihr dankbar dafür zu sein, was sie Gutes für so viele Menschen bereitet habe.

Die Trauergäste werfen Blumen und Erde zur Urne am Baum hinab. Der Himmel schickt Sonnenstrahlen – für Alesia, den Sonnenschein.