Zum Abschluss des Stuttgarter Festivals Jazz-Open wird der amerikanische Saxofonist Lee Konitz mit der German Jazz Trophy geehrt – und bedankt sich mit einem sagenhaften Konzert.

Stuttgart - Ob es wohl Fans gibt, die sämtliche Platten von Lee Konitz besitzen? Es müssten wirkliche Fans mit vielleicht schon leicht pathologischen Zügen sein, denn der Musiker, der im Oktober seinen 86. Geburtstag feiern wird, soll grob geschätzt 140 Alben als Leader und noch weitere als Sidemen eingespielt haben, darunter Klassiker mit einschlägigen Titeln wie „Tranquility“, „Very Cool“, „Motion“ oder „Deep Lee“. Um 1950 schuf Konitz einen Kontrapunkt zum hitzigen Bebop eines Charlie Parker, als er an der Seite von Lennie Tristano wirkungsmächtig insbesondere in Europa den „Cool Jazz“, nun ja, in die Welt setzte.

 

Man liest, dass Konitz trotz seines künstlerischen Erfolges immer wieder bürgerlichen Berufen nachgegangen sei, um sich seine Freiheit zu bewahren. Und man hörte und sah an diesem Abend im Stuttgarter „Event-Center“ der Sparda Bank, dass Konitz sehr großes Gefallen daran findet, mit viel jüngeren Musikern zu musizieren. Vor Jahren sorgte er mit dem Trio Minsarah an der Seite des Pianisten Florian Weber für Furore, am Donnerstagabend wurde er beim Preisträgerkonzert von Dan Tepfer (Klavier), Jeremy Statton (Bass) und George Schuller am Schlagzeug begleitet. Gespielt wurden Stücke von Miles Davis („Solar“) oder Lennie Tristano („317east32nd“), dazu Standards wie „All the things you are“ oder „You don´t know what love is“.

Konitz hat sich nie groß um Moden bekümmert, sondern eher daran versucht, einem hundertmal gespielten Standard beim hundertundersten Mal durch Improvisation und gemeinsam mit anderen Musikern eine überraschende und im emphatischen Sinne neue Wendung abzugewinnen. In der Laudatio wurde ein schön galliger Kommentar Konitz´ zum Modischen im Jazz zitiert: Er benötige bei seiner Kunst keine Hilfe aus der indischen oder chinesischen Musik – und die meiste Pop-Musik verabscheue er ohnehin. Große Worte, selbstbewusst vorgetragen – im Rahmen eines Festivals, dessen Kuratoren genau wissen, warum sie einen ganz anderen Weg gehen müssen.

Der coolste Hund im Saal

Aber Lee Konitz war an diesem Abend trotz seines Alters und leichter Gehprobleme mit Abstand der coolste Hund im Saal. Er war freundlich und zuvorkommend auf eine Art, die stets eine selbstsichere Bockigkeit präsent hielt. Und als er dann zum Saxofon griff, um sich auf seine Art für die von Otto Herbert Hajek gestaltete Skulptur zu bedanken, da spielte er eine unerhört geschmeidige, sehr elegante Musik, die dem so vielfältigen Gesamtprogramm der Jazz-Open nicht nur das Sahnehäubchen verpasste, sondern ihm zugleich einen Spiegel vorhielt.

Vielsagend, aber cool und souverän präsentierte Lee Konitz die Essenz dessen, worum es im Jazz seit 1950 geht, ohne Show und Zitate. Es war der reine Genuss, präsentiert nicht ohne eine Spur von Ironie, wenn der 85-Jährige beim Preisträgerkonzert für sein Lebenswerk nach fünf Stücken auf die Uhr guckt und murmelt, man sei eigentlich lange genug zusammen. Um dann noch fünf wunderbare Improvisationen draufzusetzen.