Abschlusskonzert Musikfest Stuttgart Stimmt die Chemie bei den Thomanern?

Junge Sänger des Thomanerchors im Stuttgarter Beethovensaal Foto: Holger Schneider

Mit einem gemeinsamen Konzert des Thomanerchors Leipzig und der Gaechinger Cantorey ist das Musikfest Stuttgart zu Ende gegangen. Wie war das Abschlusskonzert?

Es passiert nicht so selten, wie man glaubt, dass sich in klassischen Konzerten die Qualität der Musizierenden erst in der Zugabe, wenn die eigentliche Arbeit getan ist, voll entfaltet. Heinrich Schütz’ quicklebendige Motette „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ jedenfalls sangen die Leipziger Thomaner sehr schön: intonationssicher, lebendig und innerlich beteiligt.

 

Anfangs wirkten die Knaben müde und schüchtern

Zuvor hatte auf der Bühne des Beethovensaals eine merkwürdige Atmosphäre geherrscht. Die Knaben und jungen Männer des Chors wirkten müde, in der eingangs gesungenen Motette „Der Gerechte kömmt um“ BWV 1149 klang ihr Gesang gar unbeteiligt, verhalten, fast schüchtern. Sicher ist diese düstere Karfreitagsmotette nicht gerade das passende Stück für das Ende eines Sommerfestivals. Denn mit ihrem Konzert, in dem die Thomaner gemeinsam mit dem Orchester der Gaechinger Cantorey Kantaten und Motetten Johann Sebastian Bachs aufführten, beschloss die Bachakademie ihr diesjähriges Musikfest sowie deren zentrale siebenteilige Reihe „Sichten auf Bach“. Als Kernstück ihres Konzerts interpretierten die Thomaner die A-cappella-Meistermotette für Doppelchor „Singet dem Herrn ein neues Lied“ BWV 225. Sie wurden dafür bejubelt, aber es war wohl auch die Komposition selbst, von der sich das Publikum euphorisieren ließ.

Toll, wie sich die Chöre in den dialogischen Abschnitten zu überbieten schienen in ihrem virtuosen, koloraturfreudigen Gotteslob. Hörte man genauer hin, wirkte die Ausführung aber zu angestrengt, die zahlreichen langen Koloraturen klangen nicht sauber, geschweige denn genau. Es schien, als sei das Werk zum derzeitigen Stand für den Knabenchor zu anspruchsvoll. Ob die Chemie zwischen dem Chor und Thomaskantor Andreas Reize, der 2021 gegen den Widerstand einiger Thomaner ins Amt kam, mittlerweile stimmt? Hörbar wurde das nicht unbedingt.

Akustisch ungünstige Aufstellung im Beethovensaal

Zudem war die Aufstellung des 70-köpfigen Chores in vier weit auseinander stehenden Gruppen – zwei hinter dem Orchester, je eine links und rechts davon – für den Beethovensaal aufführungstechnisch und akustisch hörbar ungünstig. Einzelne Stimmen setzten sich oft deutlich aus dem Chorgefüge ab, an polyfon vertrackten Stellen fanden die Stimmen häufig nicht genau zusammen. Eine spezielle Sicht auf Bach lässt sich in Thomaner-Konzerten in der Regel nicht verorten. Sie zehren nach wie vor von der Berühmtheit ihres ehemaligen Chorleiters. Und natürlich fragt man sich in Zeiten fortschreitender Gleichstellung, ob solche mit öffentlichen Mitteln finanzierte Knabenchöre noch zeitgemäß sind, liegt ihr Ursprung doch in einer Kultur der Diskriminierung, die Frauen das Singen am Altar verbot. Weiterhin werden Mädchen von einer umfassenden musikalischen Ausbildung, wie sie Jungen in diesen Chören zuteilwird, ausgeschlossen. In Leipzig haben die Thomaner mit dem Gewandhausorchester zusammenzuarbeiten – gut also, dass ihnen nun in Stuttgart das historisch informiert interpretierende Orchester der Gaechinger Cantorey zur Seite stand.

Engagierte Solisten

Deren sehr lebendiges, inspiriertes Spiel befeuerte am stärksten die aufwendig komponierte, zweiteilige Kantate „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ BWV 76 – entstanden in Bachs erstem Leipziger Jahr. Innig gespielt bereicherten die vielen Instrumentalsoli das Geschehen, ob vom Konzertmeister Jonas Tschenderlein, vom Oboisten Daniel Lanthier oder von der Gambistin Heidi Gröger. Und auch die vier Soli Singenden fügten sich engagiert ins Ganze ein – ob Christina Roterberg (Sopran), Elvira Bill (Alt), Michael Mogl (Tenor) oder Dominik Wörner (Bass).

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