Die Krankenhausgesellschaft Baden-Württemberg und andere Verbände fordern eine Begrenzung der Leiharbeit in der Pflege. Sie sei zu teuer und spalte die Belegschaften.

Seit zwölf Jahren arbeitet die Krankenschwester in einem Stuttgarter Klinikum, aber was sie seit der Coronapandemie erlebt hat, das ist ihr neu: „Wir haben immer mehr Zeitarbeiter – und die arbeiten, wie sie wollen.“ Und sie spalteten so die Belegschaft. Jahrelang lag ihr Einsatz in der Pflege in Deutschland unter drei Prozent, in den allgemeinen Krankenhäusern von Baden-Württemberg im Jahr 2020 sogar nur bei 2,7 Prozent, sagt Matthias Einwag, der Hauptgeschäftsführer der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir gehen aber davon aus, dass es in den letzten zwei Jahren zu einem deutlichen Anstieg der Leasingzahlen gekommen ist.“

 

Kritik an Leiharbeitsfirmen

Die Leiharbeiter in Kliniken und Heimen seien erforderlich, um Belastungsspitzen und unerwartete Personalengpässe auszugleichen. „Aber im Moment erleben wir etwas ganz anderes: Da wird die Situation des Fachkräftemangels und der erhöhten Krankheitsquoten durch Leasingfirmen ausgenutzt und zum Teil verschärft.“ So werde von einigen Firmen „aktiv“ in Kliniken oder Pflegeheimen angerufen, um Mitarbeiter in die Zeitarbeit „abzuwerben“ mit Konditionen, die die Krankenhäuser nie bieten könnten. „Hier ist das Leasing nicht mehr die Lösung eines Problems, sondern Mitverursacher“, sagt Einwag. Bei Zeitarbeit entstehen den stationären Einrichtungen „mindestens die doppelten Kosten“ wie bei einer normalen Festanstellung. Da die zum Teil nicht gedeckt seien, müssten die Kliniken an anderer Stelle sparen. Weil die Not derzeit so groß sei, drehe sich nun eine Preisspirale, bei der von Leasingfirmen immer höhere Preise abgerufen werden. Für Einwag ist die Lage klar: „Der Gesetzgeber sollte das Personalleasing im Gesundheitsbereich deutlich begrenzen.“

Die Analyse wird von Bernhard Schneider, Geschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung und Sprecher der bundesweiten Bewegung „Pro Pflegereform“, geteilt. Die derzeitige Zwangslage werde von den Leiharbeitsfirmen „schonungslos“ ausgenutzt, sagt er: „Mitarbeiter werden mit dem Versprechen auf bessere Bezahlung und feste Arbeitszeiten von den Pflegeheimen weggelockt und dann für teures Geld zurückgeliehen.“ Die Heime seien dem „hilflos ausgeliefert“. Schneider tritt für ein „komplettes Verbot der Leiharbeit in der Pflege“ ein.

Betriebsfrieden ist gestört

Boris Strehle, Geschäftsführer der Stiftung St. Franziskus und Sprecher des Netzwerks Alter und Pflege im Caritas-Verband der Diözese Rottenburg-Stuttgart, will nicht ganz so weit gehen. Aber auch er sagt, dass die Zahl der Leiharbeitnehmer in der Altenhilfe „seit Jahren kontinuierlich und bedrohlich“ ansteige. Die Zeitarbeiter seien von bestimmten Aufgaben befreit – etwa Angehörigengesprächen – und könnten sich ihre Schichten und Dienstzeiten aussuchen. Für das Stammpersonal blieben die weniger beliebten Schichten, das störe den Betriebsfrieden und führe zu Frust in der Stammbelegschaft. „Zeitarbeit muss reglementiert und eingedämmt werden“, sagt Strehle, so wie es ein Gleichstellungsgebot aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gebe, brauche man auch ein „Schlechterstellungsverbot“ fürs Stammpersonal.

In seinen 13 Einrichtungen habe er in der Altenhilfe bereits in diesem Jahr bis Oktober 2,55 Millionen Euro für Leiharbeit ausgegeben – sie koste mittlerweile das Zweieinhalbfache von regulären Mitarbeitern: „Das Geld ist weg.“ Das Angebot einer Firma, eine Fachkraft für 14 500 Euro im Monat zu entsenden, habe er kürzlich abgelehnt. Da würden pro Nachtschicht 900 bis 1000 Euro fällig – das könne keiner mehr bezahlen. Auch Strehle ärgert sich über die aggressive Lockwerbung der Anbieter, so habe eine Firma beispielsweise „pfiffigeres Arbeiten“ versprochen, sie wende sich an „Freizeitfreuer“ und „Monetenmöger“. Die Franziskus-Stiftung baut mittlerweile einen eigenen Springerpool mit sechs Leuten auf, um Engpässe selbst zu bewältigen.

Regierung plant keine Einschnitte

Für die SPD-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexpertin Heike Baehrens aus dem Kreis Göppingen ist das der richtige Weg: „Große Träger können Pools aufbauen, kleinere eher nicht.“ Auch Baehrens hat bei vielen Gesprächen in Einrichtungen und mit Betriebsräten vom Problem der Leiharbeit erfahren. „Ich persönlich trete nachdrücklich dafür ein, dass man sie begrenzt“, sagt Baehrens, auch andere Abgeordnete sähen das so. Bei Leiharbeit in großem Stil seien die Auswirkungen aufs Stammpersonal gravierend. Derzeit plant die Bundesregierung allerdings keine Einschnitte bei der Leiharbeit. Baehrens sagt, es sei auch schwierig, die Zeitarbeit in den verschiedenen Branchen einheitlich zu regeln. Keinen Regelungsbedarf sieht der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsfirmen: „Für die Lage in der Pflegebranche ist die Zeitarbeit nicht verantwortlich, sondern die Gesundheitspolitik der letzten 20 Jahre“, sagt Wolfram Linke, ihr Pressesprecher. Es grenze an Utopie, „Zeitarbeit jetzt als Buhmann für die eigenen Versäumnisse darzustellen“. Die Zeitarbeitsbranche biete nur an, was sie seit je anbiete: „Flexible Einsätze bei fairer Bezahlung auf Basis eines gemeinsamen Tarifwerks mit den DGB-Gewerkschaften.“ Gerade für junge Eltern sei Zeitarbeit interessant, sie könnten damit Arbeits- und Familienzeit besser aufeinander abstimmen.