Eine rechtsextreme paramilitärische Parade sorgt in Italien für politischen Streit. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bleibt stumm.

Es waren gruselige Bilder: Angeführt von der neofaschistischen Organisation Casa Pound haben sich am Sonntagabend Hunderte Rechtsextremisten an der Via Acca Larenzia in Rom vor dem ehemaligen lokalen Parteibüro des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) in rechteckiger Formation aufgepflanzt, die Hand zum „römischen Gruß“ (der dem Hitlergruß in Deutschland entspricht) ausgestreckt und „presente!“ gerufen, wie einst die Schlägerbanden des Diktators Benito Mussolini in den Zwanziger- bis Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Die gespenstische nächtliche Szene wurde von Fackeln beleuchtet – aber nicht von Blaulicht: Die Polizei ist nicht eingeschritten, obwohl die „Verherrlichung des Faschismus“ in Italien seit Jahrzehnten ein Straftatbestand ist.

 

Anschlag wegen Mitgliedschaft in Organisation

Mit dem Aufmarsch wollten die „Faschisten des 3. Jahrtausends“, wie sich die Mitglieder von Casa Pound nennen, sowie andere neofaschistische „Kameraden“ ihren drei „Gefallenen“ gedenken, die an der Via Acca Larenzia im Osten Roms am 7. Januar 1978 bei einem Überfall durch eine linksextremistische Terrorgruppe ums Leben gekommen waren. Es hatte sich um einen besonders feigen Anschlag gehandelt: Die Linksterroristen kannten ihre Opfer nicht; diese mussten allein deshalb sterben, weil sie der MSI-Jugendorganisation „Fronte della Gioventù“ (Jugendfront) angehörten – wie später auch Giorgia Meloni. Das erste Opfer starb sofort, das zweite versuchte noch verletzt zu fliehen und wurde durch Schüsse in den Rücken getötet. Das dritte Opfer wurde bei den anschließenden Tumulten durch eine Polizeikugel tödlich am Kopf getroffen. Es wurden zwar Täter ermittelt und verurteilt, aber sie gingen nie ins Gefängnis – das Verbrechen ist nach 46 Jahren immer noch ungesühnt.

Der Aufmarsch der Neofaschisten hat in Italien eine heftige Debatte ausgelöst. Die Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, erinnerte daran, dass beim jüngsten Eröffnungskonzert der neuen Saison an der Mailänder Scala sofort die Polizei aktiv geworden sei, als ein Zuschauer „es lebe das antifaschistische Italien“ gerufen habe. „Aber wenn Hunderte Neofaschisten den ,römischen Gruß’ zeigen, passiert nichts“, empörte sich Schlein. Sie forderte Innenminister Matteo Piantedosi auf, im Parlament darzulegen, wie so etwas passieren konnte, und fügte an: „Hat Giorgia Meloni dazu eigentlich nichts zu sagen?“ Auch die zweitgrößte Oppositionspartei, die Fünf-Sterne-Protestbewegung, kritisierte das Schweigen der Ministerpräsidentin und forderte zusammen mit dem PD, dass die offen verfassungsfeindliche Organisation Casa Pound verboten werde.

Auch Mitte-Links-Regierungen ließen Faschisten gewähren

Während die Regierungschefin weiterhin stumm blieb, reagierte inzwischen immerhin ihre Partei auf die Kritik. Die Fratelli d’Italia betonen, dass die Parteiführung alle Mitglieder aufgefordert habe, derartigen Veranstaltungen fernzubleiben. Der Opposition wirft die größte Regierungspartei Heuchelei vor: „An der Via Acca Larenzia finden seit 1978 jedes Jahr Gedenkveranstaltungen für die drei Jungs statt – und nun tut die Linke so, als entdecke sie dies erst heute.“ Seit dem Anschlag waren in Rom mehrere Mitte-Links-Regierungen am Ruder gewesen – und in der Tat hatte sich keine von ihnen veranlasst gefühlt, gegen die Gedenkveranstaltungen einzuschreiten. Auch gegen die alljährlichen Aufmärsche von Neofaschisten und Duce-Nostalgikern in Predappio, dem Geburtsort Mussolinis, wurde nie etwas unternommen.

Die Kritik der Linken an Melonis Schweigen und Untätigkeit wirkt somit tatsächlich etwas vorgeschoben – die Opposition bezweckt damit vor allem eines: Sie will damit die Regierungschefin in Bedrängnis bringen, die vor einem offensichtlichen Dilemma steht: Einerseits hat Meloni mit den ganzen Duce-Nostalgikern nichts am Hut. Das gilt auch für den größten Teil der 26 Prozent Italienerinnen und Italiener, die 2022 Meloni und ihren Fratelli d’Italia ihre Stimme gegeben hatten. Gleichzeitig will Meloni aber ein halbes Jahr vor den Europawahlen auch nicht den harten Kern ihrer postfaschistischen Stammwähler vor den Kopf stoßen.