Nach mehr als anderthalb Jahren Zwist will die Deutsche Bahn den Achsenstreit mit dem Zughersteller Alstom noch in dieser Woche beigelegen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)
Berlin - Nach mehr als anderthalb Jahren Zwist will die Deutsche Bahn den Achsenstreit mit dem Zughersteller Alstom noch in dieser Woche beigelegen. Die Einigung wird für beide Seiten teuer, denn bei 70 ICE-T-Neigezügen müssen rund 2100 rissanfällige Radsatzwellen ausgetauscht werden. Mit dem Kompromiss wird aber ein drohender Gerichtsprozess abgewendet.

Nach Informationen dieser Zeitung gab es am Montagabend ein Spitzentreffen beider Konzerne. Dabei verständigten sich Bahnchef Rüdiger Grube und Alstom-Chef Patrick Kron erstmals auf eine rasche Lösung des Konflikts. Im vergangenen Herbst war eine erste Zusammenkunft noch weitgehend ergebnislos verlaufen.

Offiziell ist Stillschweigen vereinbart, daher werden weder das Spitzentreffen noch die Grundsatzeinigung bestätigt. "Wir sind auf gutem Weg und streben im Interesse der Fahrgäste eine rasche Lösung an", sagte Alstom-Sprecher Immo von Fallois dieser Zeitung. Etwas defensiver klingt die Stellungnahme Bahn: " Die Verhandlungen laufen weiter, es gibt noch keine endgültige Einigung", erklärte ein Sprecher.

Der Achsentausch kostet mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag. Dazu müssen Ersatzwellen entwickelt, geprüft, zugelassen und eingebaut werden. Beide Seiten haben Interesse, das peinliche Qualitätsdesaster möglichst ohne weiteren Imageschaden zu lösen. Über die letzten Details des Kompromisses wie die exakte Kosten- und Aufgabenverteilung laufen derzeit noch die Abschlussgespräche. Spätestens am Freitag soll die Einigung offiziell verkündet werden.

Alstom baut den französischen Schnellzug TGV und ist auch einer der drei großen Lieferanten für die deutsche ICE-Flotte. Bei der Neigezugvariante waren die Franzosen fürs Fahrwerk zuständig und lieferten über eine italienische Firma die problematischen Radsatzwellen. Beim ICE-T wurden bisher zwei Achsrisse entdeckt. Die Franzosen betonen weiterhin, einwandsfreie Achsen geliefert zu haben. Bei der Abnahme der Züge sei die Mängelfreiheit bestätigt worden. Das sei eindeutig belegt.

Bahn und Industrie schieben sich seit Jahren gegenseitig die Schuld für Risse und Achsbrüche zu. Die Bahn wirft den Herstellern vor, keine dauerfesten Radsatzwelllen geliefert zu haben. Die ICE-Produzenten dagegen sind der Ansicht, dass die Probleme erst im Betrieb durch zu große Belastungen und nachlässige Wartung verursacht wurden.

Mitte 2008 brach während der Fahrt nach Köln eine Achse am ICE 3 "Wolfsburg". Der Zug entgleiste schließlich beim Richtungswechsel im dortigen Hauptbahnhof, der Unfall verlief glimpflich. Mehrere hundert Fahrgäste entgingen damals nach Einschätzung des Eisenbahnbundesamts aber nur mit Glück einer Katastrophe wie in Eschede, wo vor elf Jahren ein ICE 1 wegen eines defekten Radreifens entgleiste und 101 Menschen starben.

Die Bahn muss seit dem Kölner Unglück die problematischen ICE-Achsen zur Sicherheit bis zu zehn Mal häufiger kontrollieren als zuvor, was hohe Kosten verursacht und die Einsatzfähigkeit der Flotte stark mindert. Der Konzern bezifferte den Gesamtschaden schon voriges Jahr auf mehr als 350 Millionen Euro. Wegen der Achsenprobleme wurden 137 Züge zeitweise ganz aus dem Verkehr gezogen, die Folge waren viele Verspätungen und verärgerte Fahrgäste. Das Image des Konzerns leidet bis heute gewaltig unter den Problemen.

Mit Siemens und Bombardier, die den ICE 3 bauen, hatte sich die Bahn vor vier Monaten geeinigt. Die beiden Konzerne erklärten sich bereit, 1200 problematische Radwellen bei 67 ICE 3 auszutauschen. Bahnchef Grube, für den das Thema Chefsache ist, zeigte sich damals sehr erleichtert. Schon sein Vorgänger Hartmut Mehdorn hatte der Industrie vergeblich mehrere Fristen gesetzt und wiederholt mit Schadenersatzklagen gedroht.

Der Staatskonzern ist einer der wichtigsten Kunde der Bahnindustrie in Europa und kann so viel Druck ausüben. Vor wenigen Wochen wurden Siemens und Bombardier als bevorzugte Bieter für den größten Auftrag der Bahngeschichte ausgewählt. Bei dem ICX genannten Projekt geht es um den Bau von 300 Schnellzügen in mehreren Varianten, die ab Ende 2014 die Intercity- und ICE-1-Flotte ablösen sollen. Auftragsvolumen: bis zu 6 Milliarden Euro in vierzehn Jahren. Derzeit laufen die Preisverhandlungen. Siemens will die Züge im Werk Krefeld-Uerdingen bauen.

Auch Alstom hatte sich große Hoffnungen gemacht, erstmals Schnellzüge in Deutschland liefern zu können. Die Franzosen haben in Salzgitter ein großes Werk, sind besonders bei Regionalzügen hierzulande gut im Geschäft und hoffen auf weitere Aufträge. In der ICX-Ausschreibung war Alstom mit dem brandneuen und sehr flexiblen TGV-Nachfolger AGV der schärfste Konkurrent von Siemens.