Die Wissenschaft hat das Gen für Schussligkeit gefunden. Warum manche Menschen den Eingang der Post nicht finden, erklärt das allerdings nicht. Schön blöd, meint unsere Kolumnistin Adrienne Braun.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Ich habe im Leben schon viel geküsst. Kratzige, glatte, picklige und haarige Wangen. Brillenträger und Nichtbrillenträger. Aber wenn eine Bekannte und ich versuchen, uns mit Küsschen auf die Wangen zu begrüßen, verhaken wir uns regelmäßig in den Brillen. Und das seit Jahren. Jetzt frage ich mich: Ist sie ungeschickt? Oder bin ich es? Ist einer von uns linkisch, dappig, ungelenk oder unbeholfen? Ungewandt oder gar unbedarft?

 

Vielleicht sind wir einfach nur schusslig. Das kann vorkommen. Psychologen haben jetzt festgestellt, dass Schussligkeit genetisch bedingt ist. Wer eine bestimmte Variante des Gens DRD2 trägt, ist häufiger unaufmerksam. Signale, die in den Stirnlappen weitergeleitet werden sollen, kommen auf Abwege. Deshalb leckt man eine Briefmarke ab – und hat sich auch schon in die Zunge geschnitten.

Niemand weiß, warum sich Menschen verlaufen

Ein Bekannter ist mal ans Telefon gerannt. Leider war eine Glastür dazwischen. Nun frage ich mich: Ist er schusslig, deppert, tollpatschig oder leichtsinnig? Unbesonnen, minderbegabt – oder einfach nur saumäßig blöd?

Wahrscheinlich trägt er das DRD2-Gen in sich. Dagegen kann die Wissenschaft bis heute nicht erklären, warum manche Menschen so einen elend schlechten Orientierungssinn haben. Man kann ein Raumschiff so programmieren, dass es mitten im All elegant auf der Raumstation einparkt. Warum aber manche Menschen fünfmal an der Post vorbeilaufen und den Eingang trotzdem nicht finden – das weiß niemand.

Eine Freundin ist schon mehrfach mit zwei verschiedenen Schuhen aus dem Haus gegangen. Ich behaupte: Mit etwas mehr Ordnung im Schuhschrank könnte sie ihrer Schussligkeit erfolgreich begegnen. Wobei ein allzu ausgeprägter Ordnungssinn wiederum zu einer ausgeprägten Dämlichkeit führen kann. Ich persönlich bin sehr ordentlich. Wenn ich wichtige Dokumente mal nicht finden kann, muss ich nur in die Papiertonne steigen. Da ist eigentlich immer alles drin, was archiviert werden muss.

Eine neue Job-Studie hat übrigens ergeben, dass die Intelligenz durch Überstunden abnimmt. Sogar das Vokabular schrumpft. Wenn man also schon viele Überstunden gemacht hat, muss man sich nicht wundern, dass man nicht weiß, ob man dämlich, deppert oder eher doof ist. Bei mir liegt es glücklicherweise nicht an den Genen – sondern an den Überstunden. Aber die machen nicht schusslig, sagen die Forscher, sondern nur dumm.