Gut 4000 Menschen sind durch die Straßen von Stuttgart gezogen, überwiegend schweigend. Sie demonstrierten gegen die blutige Niederschlagung der Proteste in Ägypten. Nicht alle erlebten die Demo friedlich.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Gut 4000 Menschen sind am Samstag durch die Straßen gezogen, überwiegend schweigend, von gelegentlichen „Alluha akbar“- Rufen abgesehen. Sie waren dem Aufruf der „Initiative für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie in Ägypten“ gefolgt. Die Teilnehmer demonstrierten gegen die blutige Niederschlagung der Proteste gegen die Militärregierung. Riad Ghalaini, einer der Initiatoren, gab sich alle Mühe zu erklären, dass die Veranstalter nicht politisch und nicht unbedingt religiös motiviert seien. Zwar wurde die Einladung über die muslimischen Gemeinden in der Region gestreut. „Wir haben keine anderen Beweggründe als die menschlichen“, sagte Ghalaini, der früher Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Baden-Württemberg war. Eine Zusammenarbeit mit der islamistischen Gruppe Milli Görüs, die vom Verfassungsschutz aufgrund ihrer antidemokratischen Tendenzen beobachtet wird, stritt er ab. „Wir wollen keine extremen Gruppen in unseren Reihen. Wenn jemand Sprüche sagt oder Transparente zeigt, die etwas falsches fordern, dann werden wir einschreiten“, sagte er. Man habe sich sogar eine breitere Verankerung in der Gesellschaft gewünscht, fügte Ghalaini hinzu. „Ich habe alle Parteien und die Gewerkschaften angeschrieben, ob sie sich beteiligen wollen. Geantwortet hat niemand.“ Darüber sei er enttäuscht.

 

Nicht alle erlebten die Demo so friedlich, wie Ghalaini sie darstellte. Bittere Erfahrungen machten zwei Studenten, die von der friedlichen Ausrichtung der Teilnehmer nicht überzeugt waren. Ein 25-jährige muslimischer Stuttgarter Student, der mit einer Kunststudentin aus Ägypten in der Lautenschlagerstraße die Aufstellung des Demozuges beobachtet hatte, sagte: „Das hat uns nicht gefallen. Zum einen sind sie den Muslimbrüdern nahe, und die sind nicht nur friedlich.“ Seine ägyptische Freundin ist der Ansicht, wenn man für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintrete, „kann man sich in Ägypten nicht auf eine Seite stellen.“ Die Lage sei kompliziert, und es sei schwer zu durchschauen, wer für welche Ziele stehe.

Spontan besorgten sich die beiden Beobachter Pappschilder und schrieben ihre Meinung darauf: „Die vier Finger = Muslimbrüder = kein Frieden zwischen den Religionen“ stand auf einem, „Wir sind gegen islamistischen Faschismus“ auf einem anderen. Das habe den Veranstaltern offenbar nicht gefallen. Am Rotebühlplatz seien sie von Ordnern angegriffen worden. „Sie zerrissen unsere Plakate“, berichtete der 25-jährige Stuttgarter. Die Polizei habe dann ihn und seine Freundin festgehalten. „Wohl zu unserem eigenen Schutz, aber ob uns etwas vorgeworfen wird, wissen wir noch nicht.“

Vier Finger als Victory-Zeichen

Die Veranstalter des Schweigemarsches zählen sich zur R4bia-Kampagne, die ihren Ursprung im Protest der Ägypter gegen die Militärregierung hat. Rabia heißt vier – daher ist das Zeichen der Bewegung eine mit vier Fingern erhobene Hand. „Auch wenn viele Unschuldige gestorben sind, wir werden siegen, und die vier Finger sind dann unser Victory-Zeichen“, sagte ein Teilnehmer. Den Namen Rabia trage die Bewegung in Anlehnung an einen Platz vor der Rabia-Moschee in Ägypten, wo viele Menschen vom Militär ermordet worden seien. Der Verfassungsschutz ordnet die Bewegung den Muslimbrüder zu und erkennt antizionistische Tendenzen. Daher hatte er am Samstag auch ein Auge auf die Demo.

Vereinzelt waren Teilnehmer zu erkennen, die mit Schriftzügen auf ihren Taschen oder T-shirts für Milli Görüs warben. „Das habe ich nicht gemerkt – und bei 4000 Menschen kann ich auch nicht verhindern, das einzelne die Kundgebung für ihre Zwecke nutzen“, sagte Riad Ghalaini dazu. Die Demo endete mit einem Gebet auf dem Marienplatz. Und mit dem Aufruf zur nächsten Rabia-Demo am 21. September.