Das Ehepaar Klöss wollte nur sein Eigenheim verschönern. Seitdem die beiden einen Geräteschuppen im Garten beantragten, verfolgt sie die Baurechtsmacht. Sie müssen für eine Verfehlung des Vorbesitzers nach der anderen zahlen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Das Vordächlein über der Eingangstür ist genehmigt. So bleibt bei Regen das aus Stoff gewebte „Willkommen“ trocken, mit dem Aurelia und Alfred Klöss Besucher empfangen. Allerdings kann das Ehepaar über derlei Scherze nicht lachen. Schon der Kampf ums Vordach war hart. „Seit drei Jahren plagen wir uns rum.“ Diesmal spricht Alfred Klöss diesen Satz – nicht zum ersten Mal, und Aurelia Klöss ergänzt nicht zum ersten Mal: „Wir fühlen uns diskriminiert.“

 

Sie plagen sich mit dem Baurechtsamt und fühlen sich diskriminiert im Vergleich zu ihren Nachbarn. Die Besonderheiten ihres Wohngebiets beginnen damit, dass hier acht Straßen Rotbühlstraße heißen. Sieben von ihnen sind Stichstraßen. Weil das Gebiet schon in den Nachkriegsjahren entstand, werkelt so gut wie jeder an seinem Haus. In nächster Nachbarschaft arbeiten an diesem Freitagabend auf zwei Baustellen Handwerker. Alle Rotbühlstraßen haben den Charme des seit Jahrzehnten Gewachsenen – nicht für Ordnungsliebhaber, für Freunde des gepflegten Chaos.

Die Prüfung des Schuppens ergab eine Reihe von Verfehlungen am Haus

Auch die Klöss‘ wollten ihr rotes Reihenhaus verschönern. Der Ordnung halber reichten sie am 30. Januar 2017 einen Bauantrag für einen Geräteschuppen ein, statt ihn einfach in ihren Garten zu stellen. Seitdem verfolgt sie die Bauordnungsmacht als „Zustandsstörer gemäß Polizeigesetz“. Die Prüfung des Antrags ergab etliche Verfehlungen am und ums Haus. Im September werden deshalb die Bagger anrücken, um den Garten zu verkleinern. Das Baurechtsamt hat mitgeteilt, der Einfahrtradius zu den beiden Parkplätzen davor sei zu eng. Die Klöss‘ könnten beim Rangieren den Verkehr behindern. Beim Ortstermin will eine halbe Stunde lang kein Autofahrer die Sackgasse passieren.

Über solche Anordnungen – aus ihrer Sicht Schikanen – erbosen sich die beiden stundenlang. „Wir haben alles getan, was die Stadt wollte“, sagt Alfred Klöss, aber die Stadt scheint immer mehr zu wollen. Sie haben ihren Wintergarten geschrumpft auf ein Maß, das dem Wort nicht mehr gerecht wird. Sie haben bei Eiseskälte eine Tonne Steine weggeschleppt, die ihnen als Zaun gedient hatten. „Meine Arme waren bis hierher blau“, sagt Aurelia Klöss und zeigt auf ihre Schulter. Die Stadt hatte Sofortvollzug angeordnet und mit Geldstrafe gedroht. Geld hatten schon die anderen Anordnungen gekostet. Den Betrag wollen sie nicht verraten. Er dürfte deutlich fünfstellig sein.

Das Ehepaar hatte sein Haus erst vor fünf Jahren gekauft

Aus Nachbars Garten gegenüber der Haustür ragt eine acht Meter hohe Antenne. „Die leuchtet bei Nacht“, sagt Alfred Klöss. Daneben haben öko-bewegte Bewohner Solarpaneele an ihr Balkongeländer geschraubt. Auf der Rückseite überrascht der Nachbar zur Rechten mit einer Garage von der Größe eines Einzimmerappartements, deren Fassade Rotholz und Metall ziert. Der Nachbar links begnügt sich mit einem grauen Wellblechdach. Zwei Gärten weiter steht eine Telefonzelle hinter der Hecke. Mal frieden Bretterzäune Gärten ein, mal Hecken, mal gestapeltes Holz. Die Häuser haben Gauben oder nicht, Eternitfassaden oder keine.

Das Baurechtsamt schrieb ihnen, es habe seine Entscheidungen nach einem Rundgang gefällt – wegen des Vergleichs mit den Nachbarn. Die Klöss‘ argwöhnen, „dass hier jahrzehntelang nicht kontrolliert wurde“. Der Verdacht liegt nahe. Erst vor fünf Jahren hatten sie ihr Eigenheim gekauft, Baujahr 1954, 155 Quadratmeter Wohnfläche, angeboten für 295 000 Euro, vermittelt von der Agentur Hantke Immobilien. Sie hätten besser das Kleingedruckte beachtet: „Die Angaben beruhen auf Informationen des Verkäufers. Für die Richtigkeit übernehmen wir keine Haftung.“

Auch die professionelle Hilfe eines Architekten brachte keine Änderung

Der Verkäufer ist gestorben. Baugenehmigungen waren ihm wohl unwichtig. So gut wie alle baurechtlichen Verfehlungen „haben wir genau so gekauft“, sagt Alfred Klöss. Nachdem sich offenbarte, dass ihre Verschönerungspläne zu verwirklichen ein Amtshürdenlauf würde, holten sie sich professionelle Hilfe. Der Architekt Heinz Hornikel zeichnete nicht nur maßstabsgetreue Pläne für scheinbar nichtige Umbauten, er pflegt auch beste Kontakte ins Rathaus. Hornikel sitzt für die Freien Wähler im Gemeinderat. Nachdem er scheiterte, besuchten sie Ämter, schrieben Briefe, baten um Termine bei Bürgermeistern, alles vergeblich.

Der Architekt „konnte mir am Ende gar nicht mehr in die Augen schauen“, sagt Alfred Klöss. Das Ergebnis seiner Mühen war eben: „Sie stehen auf und müssen plötzlich alles abreißen.“ So formuliert es Aurelia Klöss, wenn auch nicht ganz korrekt. Schließlich wurde das Vordächlein nachträglich genehmigt.