Von den 390 Hausärzten in Stuttgart sind mehr als ein Drittel 60 Jahre und älter. Schon jetzt finden Allgemeinmediziner keine Nachfolger mehr. Und die Situation könnte sich noch verschlimmern.

Stuttgart - Johannes Fechner zeigt das Foto eines Bürgermeisters, der eine Schärpe um die Brust trägt mit markanter Aufschrift: Land sucht Arzt. Was folgt, ist eine Telefonnummer. „In Stuttgart sind wir noch weit von einem solchen Szenario entfernt, aber in ein paar Jahren könnte auch hier ein Mangel an Hausärzten herrschen“, erklärte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV) am Montag den Mitgliedern des Sozial- und Gesundheitsausschusses. Hintergrund ist die Altersstatistik der Stuttgarter Hausärzte:. Von den derzeit 390 in der Landeshauptstadt praktizierenden Allgemeinmedizinern sind 139 und damit mehr als ein Drittel älter als 60 Jahre. „Viele kümmern sich bereits um Nachfolger, finden aber keine, da der ärztliche Nachwuchs ausbleibt“, sagte Fechner.

 

Was die Situation aus Sicht des KV-Vorsitzenden weiter verschärfen könnte, ist das so genannte Versorgungsstärkungsgesetz, dessen Entwurf Ende vergangenen Jahres vom Bundeskabinett beschlossen wurde. „Wenn das Gesetz so kommt, dann werden in Stuttgart in den nächsten Jahren beispielsweise neun Kinderarztpraxen und 51 Psychotherapeuten wegfallen müssen“, erläuterte Fechner. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kassenärztliche Vereinigung in Gebieten, in denen rein rechnerisch eine Überversorgung besteht, Praxen aufkaufen muss, wenn ein Kollege altershalber aufhört. Diese Sitze sollen dann an andere Gebiete gehen, in denen laut Statistik eine ärztliche Unterversorgung besteht.

Selbst gut gehende Praxen müssen schließen

Aber selbst wenn das Versorgungsstärkungsgesetz in abgeschwächter Form kommen sollte, sieht Markus Klett, der Vorsitzende der Stuttgarter Ärzteschaft, Engpässe voraus. „Ich habe in den vergangenen drei Jahren erlebt, dass vier Stuttgarter Hausärzte keine Nachfolger gefunden haben, obwohl es gut gehende Praxen waren.“ Tatsache sei, dass viele Jungmediziner den Schritt in die Selbstständigkeit nicht mehr machen wollen. „Viele junge Mediziner scheuen sich vor der zunehmenden Bürokratie“, stellt Klett fest. Außerdem seien die Nachwuchsmediziner nicht mehr bereit, zwölf bis 14 Stunden am Tag in der eigenen Praxis zu arbeiten. „Aus den Universitäten kommen immer mehr Frauen, sie haben andere Vorstellungen davon, wie das Verhältnis von Arbeit und Freizeit aussehen soll“, sagt Klett. Umfragen unter Jungmedizinern haben zudem ergeben, dass viele das finanzielle Risiko scheuen. „250 000 Euro für die Übernahme einer Hausarztpraxis will niemand mehr in die Hand nehmen“, sagte Johannes Fechner. Viele junge Ärzte würden sich deshalb für ein Angestelltenverhältnis entscheiden. Die Folge: Waren bundesweit 1993 noch rund 5000 Ärzte angestellt, so sind es heute 22 000, Tendenz auch in Stuttgart steigend.

„Die Einzelpraxis ist ein Auslaufmodell“, lautet Fechners Schlussfolgerung. Stattdessen werde es auch in Stuttgart immer mehr Praxisgemeinschaften und Medizinische Versorgungszentren geben. Um die ambulante Versorgung auf Dauer leisten zu können, sei zudem in den Praxen ein größerer Mix an Professionen notwendig. „Viele bürokratische Aufgaben müssen nicht die Ärzte selbst leisten, sondern können von anderen Berufsgruppen erbracht werden“, erläuterte der stellvertretende KV-Vorsitzende dem Ausschuss.

Ärztliche Versorgung in Stammheim kritisch

In der Diskussion wiesen einige Stadträte auf bereits bestehende Engpässe in der hausärztlichen und kinderärztlichen Versorgung in Stammheim hin. „Wir haben in Stammheim noch drei Hausärzte und eine Kinderarztin, die 50 Prozent arbeitet. Das ist für einen Stadtteil mit 12 000 Einwohnern zu wenig“, erläuterte Heike Keppler, die stellvertretende Stammheimer Bezirksvorsteherin nach der Sitzung. Im vergangenen Jahr habe im Bezirk eine Hausarztpraxis geschlossen, viele Bürger hätten Schwierigkeiten, bei einem anderen Hausarzt unterzukommen. Im Blick auf Stammheim forderte Hans-Otto Tropp, der Leiter des Gesundheitsamtes: „Die Bürger müssen ihren Hausarzt fußläufig erreichen können.“ Diese Forderung wies Johannes Fechner vehement zurück: „Auf dem Land müssen die Menschen auch weit fahren, um zu ihrem Arzt zu kommen. In der Großstadt müssen sie unter Umständen ebenfalls weitere Wege in Kauf nehmen.“