Heute lockt das Hungerland Äthiopien von einst mit mittelalterlicher Kultur und alten Kaiserpalästen.

Addis Abeba - Addis Abeba ist atemberaubend. Die Hauptstadt Äthiopiens liegt auf über 2300 Meter Höhe, ist aber alles andere als ein Luftkurort. Die Abgase von Tausenden Lastwagen und Taxis verschlagen dem Besucher den Atem. Dabei bedeutet der Stadtname auf Amharisch neue Blume. So nannte sie Kaiser Menelik II., der die Stadt vor 120 Jahren um ein paar heiße Quellen gründete.

 

Die einzige Großstadt im Land von der dreifachen Größe der Bundesrepublik wuchert wie ein Geschwür. Durch Landflucht hat sich in zwei Jahrzehnten die Einwohnerzahl auf vier Millionen verdoppelt. Die übrigen 85 Millionen Äthiopier leben meist in Dörfern, die Hälfte von ihnen einen Tagesmarsch von der nächsten Straße entfernt.

Weil in Addis Abeba repräsentative Kolonialgebäude fehlen, prägen heute einige Plattenbauten aus der kommunistischen Mengistu-Zeit und Wellblechhütten das Bild. Dazwischen stehen planlos verteilt ein paar neuere Hochhäuser. „From shabby to chic“ lautet das Versprechen auf einem Bauzaun, hinter dem ohne Kran, nur mit einem fragilen Baugerüst aus Eukalyptusstangen und der Muskelkraft vieler billiger Arbeitskräfte ein Neubau hochgezogen wird. Doch der Sprung von der schäbigen Gegenwart in die Moderne will nicht recht gelingen.

Das Warenangebot reicht für drei Millionen

Wie eine Insel der Schäbigkeit liegt der Mercato im Herzen der Stadt. Arbeiten auf dem größten Freiluftmarkt des Kontinents 30 000 Menschen? Oder sind es 300 000? Das Warenangebot im gigantischen Hüttendorf reicht jedenfalls für drei Millionen. Gemüse, lebende Tiere, Matratzen, Gewürze, Geschirr, Altmetall, leere Motorölkanister. Die Gerüche reichen von würzig bis widerlich. Im Gedränge empfiehlt es sich, das Geld am Körper und den Rucksack vor der Brust zu tragen. Wo 40 Euro der durchschnittliche Monatsverdienst sind, sind Begehrlichkeiten schnell geweckt.

Wie eine Insel der Moderne ragt ein achtstöckiger Glaspalast empor. Wer es an den beiden Wachmännern vorbei schafft, betritt eine andere Welt. Zwei Restaurants mit umfangreicher spanischer Weinkarte, eine weitläufige Spa-Landschaft, eine noble Bar für private Mitglieder, Büros. Hausherr Tadiwos Belete zupft den Leinenanzug zurecht und erzählt seine Geschichte. Als Jugendlicher muss er vor den Kommunisten fliehen. Nach drei schweren Jahren im Sudan bekommt er ein Visum für die USA, wo er 20 Jahre in Boston lebt und zu viel Geld kommt. Seit neun Jahren ist Belete zurück und hat eine Mission. „Ich will helfen, das Land zu entwickeln“, sagt der schlanke Mann, hinter dem ein Bild von Kaiser Haile Selassie hängt, der 1974 von Mengistu gestürzt wurde. Drei Luxus-Resorts am Kuriftu-See und am Tana-See hat Belete inzwischen in Betrieb genommen, zwei weitere sind im Bau. 1500 Angestellte arbeiten für ihn.

Eine knappe Flugstunde nördlich der Hauptstadt liegt der Tana-See. Hier starten viele Studienreisen durchs nördliche Hochland, die den kulturinteressierten Besucher auch zu den Stelen von Aksum, den Felsenkirchen von Lalibela und zum Wasserfall des Blauen Nils bringen.

Nach der Regenzeit stürzt die Brühe 50 Meter in die Tiefe

Am Südostrand des Tana-Sees, der mit einem Durchmesser von etwa 80 Kilometern das drittgrößte Binnengewässer Afrikas bildet, entspringt bei Bahir Dar der gewaltige Strom, der alles andere als blau ist. 40 Kilometer südlich stürzt die nach der Regenzeit braune Brühe fast 50 Meter in die Tiefe und verwandelt sich in „dampfendes Wasser“. Doch inzwischen ist beim Wasserfall oft genug der Dampf raus.

Das bekommt auch Berhanu, der junge Mann aus dem Dorf Tis-Abay, zu spüren. Wenn er morgens in seiner Hütte erwacht, hört er zuerst hinaus ins Dunkle. Er lauscht auf die „Stimme des Nils“. Wenn der Fluss brüllt, weiß Berhanu, dass es ein guter Tag wird. Meist aber lässt der Blaue Nil nichts von sich hören. Das ist, so weiß der Fremdenführer, schlecht fürs Geschäft. Besonders an Wochentagen. Dann rauben zwei Kraftwerke dem Blauen Nil die Energie - und Berhanu sein karges Einkommen. Nur am Sonntag, wenn die Energieerzeugung für ein paar Stunden gedrosselt wird und der Nil donnert, hat er noch die Chance, sich Touristen als Führer anzudienen und 50 Birr, umgerechnet zwei Euro, zu verdienen.

Von Bahir Dar am Tana-See braucht das kleine Motorboot knapp eine Stunde zur Halbinsel Zeghie. Die Fahrt führt zurück ins Mittelalter. Auf Zeghie leben die Menschen barfuß und bescheiden vom Fischfang, vom Gemüsebau und vom Abzupfen der Bohnen wilder Kaffeesträucher. Mitten in der Armut steht wie ein Fremdkörper die mit Bildern reich geschmückte Klosterkirche Uhra Kidane Mehret. Hierher sind im Mittelalter die äthiopisch-orthodoxen Christen vor den aus dem Norden drohenden Moslems geflohen.

Der Traum, anders als der Vater zu sein

„Ich heiße Abram“, sagt der zehnjährige Junge, der mich vor der Klosterkirche am Ärmel zupft. „Ich bin Student.“ Seit einem Jahr geht er dem Priester zur Hand und lernt die alte Kirchensprache Ge’ez. Sein Traum ist es, anders als sein Vater zu leben, der alle paar Tage mit dem Tankwa, dem wackeligen Papyrusboot, fünf Stunden zum Festland paddelt, um einen schweren Sack Holzkohle gegen Reis zu tauschen. Auf dem Rückweg saugt sich das Boot gefährlich voll.

Abram will später als Mönch auf der kleinen Nachbarinsel Bete Kebram Gabriel leben, zu der Frauen keinen Zutritt haben. Der Glaube der dort lebenden zwei Dutzend Mönche ist unerschütterlich. Sie trinken ungereinigtes und nicht abgekochtes Seewasser, scheren sich nicht um die Erreger von Bilharziose. An einem heiligen Ort, so ihre feste Überzeugung, können ihnen die Parasiten nichts anhaben.

Wenn sich 60 Kilometer nördlich des Tana-Sees die Morgennebel über Gondar lichten, glaubt man an eine Halluzination. Aus dem Dunst über der alten Hauptstadt steigt das Neuschwanstein Äthiopiens. Ein Neuschwanstein? Nein, gleich sieben Schlösser sind in einem Park versammelt. Kaiser Fasilides (1632-1667) machte den Anfang, Kaiserin Mentewab (1730-1755) rundete das Ensemble ab, das seit 1979 zum Unesco-Kulturerbe zählt. Die Schlösser waren im Zweiten Weltkrieg Hauptquartier der italienischen Invasionsarmee. 1941 wurde sie von den Engländern bombardiert, aber kaum beschädigt.

Ein Privileg der Kaiser war der Honigwein Tedj (gesprochen Tedsch). Heute wird das im Vergleich zum Bier sehr teure Getränk in Gondar in einigen Kneipen, den Tedj-Bets, ausgeschenkt. Die Zecher sitzen allein an Tischen und trinken schweigend das intensiv gelbe Getränk. Für Unterhaltung sorgt ein Musiker, der zur einsaitigen Laute Masinko-Bänkellieder singt und auf Trinkgeld hofft. So war es vielleicht auch am Kaiserhof. Der Blick der Zecher trübt sich, geht nach innen - und zurück in die Vergangenheit.

Infos zu Addis Abeba

Anreise
Direktflüge nach Addis Abeba bietet Ethiopian Airlines in Kooperation mit Lufthansa von Frankfurt aus ab etwa 600 Euro. Andere Airlines fliegen zum Beispiel über Istanbul oder Abu Dhabi an. www.flyethiopian.com

Sicherheitslage
Vor wenigen Wochen ist in der Danakil-Wüste im Grenzgebiet zu Eritrea eine westliche Touristengruppe von Bewaffneten angegriffen worden. Mehrere Touristen wurden getötet, andere entführt. Das Hochland nördlich von Addis Abeba mit den Kulturstätten am Tana-See, in Gondar, Lalibela und Aksum gilt dagegen als sicher.

Reisezeit
Günstig ist von Oktober bis März. Im Hochland herrscht zwischen Juni bis September Regenzeit.

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall eine Kaffeezeremonie mitmachen, die in Hotels und in Privathaushalten abgehalten wird. Dabei röstet die Frau des Hauses frische Kaffeebohnen und serviert drei Aufgüsse. Die ersten beiden sind nichts für Menschen mit schwachem Herzen.

Auf keinen Fall in Seen und Flüssen baden. Im Uferbereich mit Fäkalien verschmutzter Gewässer besteht die Gefahr der Bilharziose, einer Wurmerkrankung.