Ist der AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon ein Antisemit? Der parteiinterne Streit darüber geht in die Verlängerung.

Stuttgart - Es ist ein leicht zerknirscht wirkender Jörg Meuthen, der sich da am frühen Dienstagmittag in Stuttgart vor die Presse stellt. Der Wirtschaftsprofessor aus Kehl muss verkünden, dass die AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, deren Chef er ist, den Abgeordneten Wolfgang Gedeon erst mal nicht rauswerfen will. Und das trotz der schwerwiegenden Vorwürfe gegen den 69-jährigen Arzt aus Singen, der sich, um es vorsichtig auszudrücken, in mehreren Büchern empfänglich zeigt für antisemitische Verschwörungstheorien.

 

Meuthen versucht, locker zu bleiben bei seinem Auftritt, er spricht gewohnt schnell und forsch, zwingt sich zu einem Lächeln. Aber sein Mienenspiel kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er soeben eine empfindliche Schlappe erlitten hat – und zugleich die bisher wohl schwerste Niederlage in seiner vergleichsweise noch jungen politischen Karriere. Schließlich hatte er knapp zwei Wochen vorher gedroht, er werde den Fraktionsvorsitz niederlegen und sogar die Fraktion verlassen, wenn es an just diesem 21. Juni die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für den Ausschluss Gedeons nicht geben werde in der Fraktion.

Teilnehmer schildern die Fraktionssitzung in den Räumen des Königin-Olga-Baus des Stuttgarter Landtags als „lebhaft“ und „turbulent“. Alle 23 AfD-Abgeordneten sind anwesend, als sich gegen 11 Uhr die schwere Tür zum Sitzungssaal schließt. Einer sei sogar erschienen, obwohl er sich kurz zuvor die Hand gebrochen habe, berichtet hinterher Bernd Grimmer, Pforzheimer AfD-Abgeordneter mit Direktmandat und Geschäftsführer der Fraktion.

Gedeon selbst geht in die Offensive

Dass es dann letztlich gar nicht zum erwarteten Showdown kommt und die Abstimmung über Gedeon ausfällt, tut der Dramatik des Tages aber gar keinen Abbruch. Und für Meuthen ist es ohnehin besser so. „Die Zwei-Drittel-Mehrheit für den Ausschluss von Herrn Gedeon aus der Fraktion war nicht sicher“, urteilt Grimmer nüchtern, als alles vorbei ist. Etwa ein Drittel der Abgeordneten habe in der Diskussion zu verstehen gegeben, dass sie „die Meinungsfreiheit über die politisch korrekte Ausdrucksweise“ stellen, so der Pforzheimer.

Tatsächlich ist es Gedeon selbst, der in der Sitzung überraschend in die Offensive geht. Er bietet an, seine Mitgliedschaft in der Fraktion bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause im September ruhen zu lassen. In der Zwischenzeit, so schlägt er vor, sollen Gutachter seine Schriften „wissenschaftlich“ untersuchen. Es gehe darum, „auf einer sichereren Grundlage“ über seinen Fall zu entscheiden, sagt Gedeon nach der Sitzung. Aus „Fürsorge für die Fraktion“, der eine Spaltung gedroht habe, biete er dies an.

Gedeon macht sein kurzes Statement vor dem Sitzungssaal, unmittelbar nach der Abstimmung in der Fraktion, bei der bis auf zwei Abgeordnete, die sich enthalten, alle seinem Vorschlag folgen, wie später zu hören ist. Meuthen befindet sich in diesem Moment auf dem Weg zum Kopiererraum. Er möchte die kurze Erklärung, die er in wenigen Minuten verlesen wird, noch rasch vervielfältigen. Der Arzt und Hobby-Philosoph lässt die Katze aus dem Sack – und stiehlt seinem AfD-Fraktions-, Landes- und Bundeschef einfach die Show.

Doch dann hat Jörg Meuthen selbst das Wort. Der Fraktionschef gibt sich alle Mühe, das Ergebnis als Erfolg für sich selbst darzustellen. „Wolfgang Gedeon lässt seine Rechte und Pflichten in der Fraktion ruhen“, liest er von seinem Sprechzettel ab. Er werde in dieser Zeit auch seinen angestammten Fraktionsplatz im Parlament nicht einnehmen, sondern an anderer Stelle Aufnahme finden. Zudem werde die Fraktion ihn nicht in Arbeitskreise und Ausschüsse entsenden, so Meuthen. Und er fügt hinzu: „Ich werde bis auf weiteres nicht mehr mit Wolfgang Gedeon in der Fraktion zusammenarbeiten.“

Gutachten soll jetzt Klarheit bringen

Er oder ich? Gedeon oder Meuthen? Auf diese Art und Weise also beantwortet Meuthen vorerst die Frage, die er selbst vor knapp zwei Wochen stellte. In der AfD müsse eine Null-Toleranz-Politik gegenüber antisemitischem Denken gelten, hatte er da gefordert. Und seinen Verbleib an der Fraktionsspitze ultimativ an den Rauswurf Gedeons geknüpft. Auch an diesem Dienstag bekräftigt er, dass Gedeon seiner Auffassung nach antisemitisches Gedankengut verbreite. „Wir werden jetzt sehen, was das Gutachten bringt“, so Meuthen. Auf „Basis der gewonnenen Erkenntnisse“ werde man den Antrag auf Ausschluss Gedeons „neu beraten und final entscheiden“. Wenn die Vorwürfe nicht entkräftet würden, sei der Rauswurf unvermeidlich. Und wenn sie entkräftet würden? Das würde ihn verblüffen, antwortet Meuthen. Und eiert rum: Er müsse sich eben unter Umständen revidieren. Es könne dann sein, dass er doch weiter mit Gedeon zusammenarbeite.

Zur Form des von ihm angekündigten „unabhängigen Gutachterverfahrens“ verliert Meuthen nicht viele Worte. Man wolle drei Gutachter einschalten, darunter einen Religionswissenschaftler und einen Experten jüdischen Glaubens, so der 54-jährige Hochschullehrer auf Nachfrage.

Während Meuthen sich in der improvisierten Pressekonferenz vor laufenden Kameras erklärt, stehen seine drei Mitstreiter an der Fraktionsspitze hinter ihm. Es sind die beiden Fraktionsvizechefs Emil Sänze und Rainer Balzer sowie Bernd Grimmer, der Fraktionsgeschäftsführer. Sie verziehen keine Miene, wirken aber wie die Schießhunde. Bei seinem Auftritt vor zwei Wochen, als Meuthen stolz die erfolgreiche Annahme des Ausschlussantrags gegen Gedeon durch die Fraktion verkündete, hatte der bisher so erfolgsverwöhnte Professor dies noch allein gedurft, ohne Unterstützung.

Meuthen nimmt nichts zurück

Wird es solche Alleingänge des Fraktionschefs, der in seiner Partei als gemäßigt gilt, als letzter Vertreter gar des wirtschaftsliberalen Flügels um den inzwischen ausgeschiedenen Parteigründer Bernd Lucke, künftig demnach so nicht mehr geben? Die Szene vom Dienstag spricht dafür.

Meuthen räumt auf Nachfrage ein, dass er nach seiner Ankündigung, gegebenenfalls den Fraktionsvorsitz abzugeben und die Fraktion zu verlassen, viel Kritik von den Fraktionskollegen geerntet habe. Und ja, auch die verbale Breitseite seiner Ko-Parteichefin Frauke Petry habe er zur Kenntnis genommen. Er wolle sie aber nicht weiter kommentieren. Petry hatte Meuthen am Wochenende, ähnlich wie kurz darauf Sänze, Balzer und Grimmer, vorgeworfen, durch sein selbstherrliches Verhalten im Fall Gedeon die Partei zu spalten.

Er selbst, sagt Meuthen, habe aber nichts zurückzunehmen. Er oder ich? So lautet die Frage also weiterhin. Nur die Entscheidung ist vertagt. Auf Herbst.