Wenn es um das Thema Rassismus geht, bleibt die Diskriminierung von asiatischen Menschen oft außen vor. Ein Vortrag im Zuge der Stuttgarter Aktionswochen gegen Rassismus zeigt, warum das ein Problem ist.

Volontäre: Annika Mayer (may)

Wenn Menschen sie mit „Nihao“ begrüßen, macht das Naomi Tashiro wütend. Die amerikanische Doktorandin, die in Stuttgart lebt, ist keine Chinesin, sondern hat japanische Wurzeln, ihre Familie lebt seit einigen Generationen in den USA. „Die Menschen sehen mich nicht als Person, sondern als Asien als Ganzes“, erklärt sie in der staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart.

 

Dort besucht Tashiro einen Vortrag zum Thema antiasiatischer Rassismus im Rahmen der Aktionswochen gegen Rassismus in Stuttgart. Auch ihr Nebensitzer Kosmas Dinh hat einen persönlichen Bezug zum Thema. Er ist Deutsch-Vietnamese und erzählt wie Naomi Tashiro, dass er oft Mikroagressionen erlebe, also alltägliche unsensible, herabsetzende Kommentare oder Verhaltensweisen aufgrund seiner Wurzeln – und manchmal sogar offene Feindseligkeit.

Während Rassismus gegen schwarze Menschen, auch dank der Black Lives Matter Bewegung, stärker in das öffentliches Bewusstsein gerückt ist, bleibt antiasiatischer Rassismus oft unsichtbar. Bei den Aktionswochen gegen Rassismus gibt es dieses Jahr zum ersten Mal dazu Programmpunkte: Einen Workshop für Betroffene und den Vortrag von Kultur- und Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha von der Universität Tübingen.

Rassismus gegen asiatische Menschen während der Pandemie

„Wenn man etwas nicht beim Namen nennen kann, existiert das soziale Phänomen in unserer Vorstellung nicht“, sagt er den Zuhörern mit Blick auf die fehlende Wahrnehmung des Themas. Vor 2020 hätten viele den Begriff ‚antiasiatischer Rassismus’ noch nie gehört. Der Ausbruch des Coronavirus im chinesischen Wuhan führte dazu, dass Menschen mit asiatischen Wurzeln weltweit Anfeindungen erlebten, in den Medien wurde vermehrt über das Thema berichtet. Doch antiasiatischer Rassismus habe auch in Deutschland eine deutlich längere Geschichte, so Kien Nghi Ha: „Wir können die heutige Moderne nicht ohne die koloniale Geschichte denken.“ Im Laufe der Jahrhunderte wurden immer größere Teile Asiens von europäischen Ländern kolonialisiert. Auch Deutschland hatte eine Kolonie namens Kiautschou an der chinesischen Ostküste – das sei heute in der Gesellschaft jedoch nur wenig bewusst, erklärt Kien Nghi Ha. Rassentheorien, die chinesische Menschen und ihre Kultur abwerteten, und die koloniale Außenpolitik Deutschlands hinterließen ihre Spuren darin, wie die deutsche Gesellschaft Menschen mit asiatischen Wurzeln wahrnehme.

Es fehlt an gesellschaftlicher und politischer Anerkennung

Welche Auswirkungen hat das? Kien Nghi Ha konzentriert sich im Vortrag auf institutionellen Rassismus: Dabei geht es nicht um Verhalten von Einzelpersonen, sondern um Diskriminierung, die von Institutionen der Gesellschaft – wie Polizei, Behörden oder Universitäten – ausgehen und durch ihre Strukturen und Normen entstehen.

Ein Ausdruck dessen sei der Umgang mit rassistischen Gewalttaten gegen asiatische Menschen: Sie würden unsichtbar gemacht , erklärt Kien Nghi Ha dem Publikum. Der Brandanschlag von Rechtsextremisten in Hamburg 1980, bei dem zwei Vietnamesen getötet wurden, sei in der öffentlichen Wahrnehmung und den Medien kaum präsent gewesen – erst 2012 wurde wieder darüber berichtet. Für das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992, bei dem die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für Vietnamesen angegriffen wurden, gebe es erst seit 2017 Mahnmale. Die rund 20 Teilnehmer hören dem Vortrag interessiert zu. Wie finden Naomi Tashiro und Kosmas Dinh die Veranstaltung? „Hilfreich“, betonen sie. „Es hat mein Interesse befeuert, mich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen“, sagt Dinh. Tashiro meint, die Ursprünge des anti-asiatischen Rassismus zu kennen, helfe ihr, ihn besser zu verstehen.