Dieser Müll steht ihr gut! Alice Francis, die man „First Lady des Electroswings“ nennt, protestiert mit Mode aus Abfall gegen die Verschwendung von Ressourcen. Sarah Tröster hat die Sängerin in Stuttgart voller Erotik in Szene gesetzt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Plastik, alte Handys, Elektroschrott, Kronkorken, Zigarettenkippen, Verpackungswahnsinn. Die Menschheit müllt sich zu.

 

Wann geht uns darin die Luft aus? Die abwechselnd in Köln und Berlin lebende Sängerin Alice Francis, Tochter einer Rumänin und eines Tansaniers, leidet unter der Wegwerferitis und Selbstzerstörung von viel zu vielen. Mit der Stuttgarter Fotografin Sarah Tröster hat sie einen Protestkalender gemacht, der nicht aufs Schockieren setzt. Die beiden Frauen sind viel raffinierter und deshalb zu Recht für den Gregor Award nominiert, der am 23. Januar bei der Stuttgarter Kalenderschau im Haus der Wirtschaft verliehen wird. Mit Erotik und Glamour ziehen die charismatische Musikerin und die Fotokünstlerin, die ihre Werke wie Gemälde inszeniert, die Betrachter in ihre großartigen Bilder hinein.

Vor 100 Jahren stand Stuttgart an der Spitze des Aufbruchs

Fast schon zu schön, um Müll zu sein, sind die Kleider, die sich an extravagante Vorbilder der Frauenbewegung anlehnen, etwa an das Bananenröckchen von Josephine Baker in den 1920ern. Die 1975 in Paris verstorbene Sängerin und Tänzerin war eine Ikone der Befreiung. Kraftvoll und selbstbewusst hat sie ihren fast nackten Körper voller Stolz und Lebensfreude präsentiert.

Im alten Friedrichsbau-Varieté ist die gebürtige Amerikanerin mit französischer Staatsangehörigkeit oft aufgetreten. Vor 100 Jahren stand Stuttgart an der Spitze des Aufbruchs, war als liberale und tolerante Stadt bei Künstlerinnen und Künstlern sehr beliebt. Hier konnte Josephine Baker mehr zeigen als anderswo und musste nicht fürchten, mitsamt ihrem Bananenröckchen aus der Stadt gejagt zu werden.

Einwegbecher aus Plastik statt Bananen

Bei Alice Francis, die ein Faible für Vintage-Kleider der 1920er hat und die Musik der goldenen Ära mit dem heutigen Elektro- und Hip-Hop-Sound mischt, sind die Bananen des Vorbilds gelbe Einwegbecher aus Plastik. Ihre Arme schmückt sie als „Disposphine“ (so der Kalendername) mit Armbändern aus Strohhalmen. Um den Hals hängen Ketten aus Einwegbesteck und Einwegdosen. Nagelneu sieht vieles davon aus, nicht wie aus der Mülltonne gezogen. „Die Becher hatte ich daheim, sie waren unbenutzt“, sagt die Sängerin.

Was Alice Francis damit zugibt: Nicht immer hat sie sich umweltbewusst verhalten. Wer macht das schon? Altlasten befinden sich in vielen Haushalten. Doch jetzt gilt es, beim Einkauf an die Umwelt zu denken. Mit ihrem Kalender im Rahmen ihres Projekts „#zerowaste PinArt“ wirbt die in Rumänien geborene Musikerin nicht dafür, Plastik und anderes klimafeindliches Material für die Mode zu recyceln, sie geht viel weiter. All das, was die Umwelt zerstört, so ihre Forderung, sollte gar nicht erst produziert werden.

Die Urmutter des Pinups trägt Joghurtbecher

Kaum eine Musikrichtung erlebt momentan so viel Zulauf wie Electroswing. Alice Francis, eine führende Vertreterin dieses Stils, sagt über sich: „Ich habe einen Hang zum Nostalgischen, sammle alte Radios, interessiere mich für Art déco – und die Filme von damals anzuschauen ist für mich fast wie eine Sucht.“ Das, was ihr viel bedeutet, muss erhalten werden. So ist die Sängerin zur Umweltaktivistin geworden.

Angefangen hat es, als sie am Rheinufer Unmengen von Kronkorken sah. Daraus bastelte sie Kleider für ein Musikvideo. Für den Kalender (der Erlös geht an eine ZeroWaste-Organisation) sind Kippen vom Neckar dazugekommen. In der Fotoserie darf Marilyn Monroe, die Urmutter des Pin-ups, nicht fehlen. Ihr weißes Kleid besteht aus Joghurt-, Butter-, Buttermilchbecher, Milchverpackungen, Zahnbürsten, Duschgelverpackungen und Wattestäbchen. Alice Francis schlüpfte für die Fotoserie außerdem in die Rollen von Audrey Hepburn, Kleopatra, Marie Antoinette, Marlene Dietrich, Mata Hari und anderen. Perfekt spielt die Sängerin deren Posen.

Entstanden ist erotisch aufgeladene Fotokunst, die man sich gern daheim aufhängt. Diese Schönheit ist eine Ermahnung. Täglich sollen sich die Betrachter fragen: Was macht ihr dafür, um die Welt zu retten, damit unser Leben voller Liebe schön bleibt?