In seinem neuen Film zeigt Woody Allen Paris von seiner schönsten Seite. "Midnight in Paris" wirkt wie mit der Reisekamera geknipst.

Stuttgart - Woody Allen mag Europa, Regen, schöne Frauen, unentwegtes Filmemachen und die Idee, dazu eingeladen zu werden, geldgeberisch, nach London, Barcelona, Paris, derzeit Rom, demnächst Stockholm. Was Woody Allen nicht mag, auch nicht kennt, sind Schreibblockaden (die er seinen Filmfiguren aber ständig andichtet). Neuerdings hat man den Eindruck, ein kleiner "Writer's Block" könnte ihm selber aber nur guttun.

 

Der versierte Schmunzelfilmemacher produziert mit verlässlicher Hurtigkeit, geradezu manisch, und seine Routine verrät sich auch im Arrangement der Szenen, im Plot. Allmählich kann jeder Kinofan sie durchbuchstabieren, die Beziehungstroubles und Verbandelungswirren typischer Allen-Komödien, in denen meist mehrere Pärchen so lange mit-, gegen- und durcheinander techteln, bis niemand mehr weiß, wer mit wem fremdging und wer wem warum die Treue halten sollte. Dieses sein Amouren-Kaleidoskop schüttelt Woody Allen immerfort aufs Neue, und wer hineinsieht in die Filme, entdeckt darin eine Fülle verblüffender, lustiger Szenen.

Am Ende war er mit diesem Kaleidoskop sogar auf Reisen gegangen, er, der Ostküsten-Ami mit dem Faible für Europas Hauptstädte und deren kulturelle Vergangenheit inklusive ihrer Literatur- und Kunstheroen. So ist aus Woody Allen mehr und mehr ein Retromaniker geworden, ein Reisender und Zeitreisender, der sich aus seiner amerikanischen Gegenwart scheinbar immerfort wegwünscht. "Wenn ich nicht in New York leben würde, wäre Paris die Stadt, wo ich wohnen wollte", erklärt er passend zum neuen Film und stimmt im Presseheft sogleich die ultimative Lobhudelei an, preist Paris als die romantischste aller Städte, deren Buntbildprospekt er aufblättert wie ein Info-Faltblatt, von Notre Dame bis Moulin Rouge, vom Eiffelturm bis zu den Buchläden an der Seine, womit der Tatbestand unverhohlener Städtewerbung klar belegt ist. Gleich die ersten Filmbilder reihen vertraute Postkarten aneinander; und nur deren Urheber kann annehmen, er zeige nicht Touristenimpressionen, sondern Paris "in my way".

Die Sonne lacht nur gelegentlich

Er würde gern mal einen Film drehen, in dem es die ganze Zeit regnet, hat Allen bemerkt. Voilá: hier erfüllt er sich den Wunsch, zumindest partiell. Zur Pariser Midnight sieht man's deutlich regnen, und die Sonne lacht nur sehr gelegentlich, genau wie unsereiner. Der Grund? Vielleicht war der Ursprungsgedanke - der Titel - zu wenig tragend. Allen hatte zuerst nichts als den Titel; dann bewegte er das Pärchenkaleidoskop, gab einem zauseligen jungen Drehbuchschreiber aus Hollywood (Owen Wilson) eine patente Blondine plus deren teapartynah-konservative Eltern zur Seite und rührte rasch ein zweites Paar hinein, einen akademischen Langweiler plus Gesponsin, was automatisch viel Geplapper und Querbeetflirts erzeugt.

Dann aber kam dem Regisseur, inspiriert vom Titel, doch noch ein echter Geisterstundeneinfall: Wie, wenn der kalifornische Studio-Writer im Suff seinen verratenen literarischen Idealen wiederbegegnete, inkorporiert durch Scott Fitzgerald, Hemingway, Gertrude Stein? Gedacht, getan: Eines Nachts tappt der Guy durch die Gassen unterm Montmartre, da lädt ihn ein ausgelassener Zechertrupp ein, eine Oldtimer-Droschke zu besteigen - und der Erste, der sich ihm vorstellt, ist schon Scott Fitzgerald!

Perplex, ungläubig staunend lernt der Kalifornier rasch weitere Idole kennen, Hemingway in einer Whisky-Bar, die Stein, die seinen Roman rühmen wird, und eine rauchende Schöne mit Zigarettenspitze und Stirnschleierband, die ihm die Sinne vollends verwirrt: Waren die zwanziger Jahre das Goldene Zeitalter? War's die Belle Epoque, war es die Renaissance? Oder war es die Surrealistenclique um Bunuel, Man Ray, Dalâ, welche er in der Gesellschaft der Schönen beseligt kennenlernt?

Mehr prominente Stars als Pointen.

Wirklichkeitswelten durcheinanderzuschieben, war schon immer eine Spezialität des Regisseurs Woody Allen. Seine Städteporträts sind Liebeserklärungen und deren unverzügliche Demontage, lustig und lustlos in einem, oberflächlich gewissermaßen aus Vorsatz, wobei sein Witz brave Dollar-Touristen ebenso kauzig verhohnepiepelt wie deren kulturstrotzende Gegenstücke, Europas olle Intellektuelle.

Dass es in der Renaissance noch keine Duschen gab, diesen Hinweis lässt im Film der oberschlaue Langweilerfreund fallen, bei einem Bummel durch Versailles, kurz bevor eine Museumsführerin den Schwätzern in den Weg tritt, um ihnen die Wahrheit über Rodin beizubringen (Carla Bruni, adrett, in einem Nebenröllchen, welches ihr Woody Allen artig antrug, als er mal bei Sarkozys zum Frühstück eingeladen war). Aber dass die Belle Epoque noch kein Air Conditioning kannte, diesen Einwand trägt Woody Allen im Ernst vor, bei fast jedem Interview. Die Vergangenheit, ruft er entschieden, sei eine Falle - sein Schluss daher: Leute, nutzet die Gegenwart!

So lässt sich ahnen, wie der Verbleib seines amerikanischen Helden aussieht: Nicht an das Belle-Epoque-Groupie verliert der sein Herz, sondern an eine Pariser Trödel-Mademoiselle, deren Cole-Porter-Leidenschaft er teilt, auf dass das nostalgische Fühlen nicht vollends auf der Strecke bleibe. Das Geisterrencontre, war es nicht ohnehin eher kurios als umwerfend lustig? Letztlich enthält der Film mehr prominente Stars als Pointen. Aber fotografiert ist er, wie man es von einem Prospektlichtspiel erwarten darf: "very, very warm".

Midnight in Paris. USA 2011. Regie: Woody Allen. Mit: Owen Wilson, Kathy Bates, Adrien Brody, Marion Cotillard, Michael Shee. Ab 12 Jahren. Cinemaxx Mitte, Gloria, Bollwerk