Im deutschen Rentensystem gibt es eine Besonderheit: Für den gleichen Rentenbeitrag erhalten Beschäftigte in den neuen Ländern höhere Renten. Ist das noch vertretbar?

Würzburg - Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall sind die Rentensysteme im Osten und im Westen Deutschlands immer noch unterschiedlich. Die Bundesregierung hat sich – wie schon ihre Vorgängerin – zum Ziel gesetzt, die Rentenwerte in Ost und West anzugleichen. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Axel Reimann, fordert die Politik jetzt auf, sich ans Werk zu machen.

 

Nach wie vor hält sich in der Öffentlichkeit das Bild, die Rentner im Osten kämen zu kurz. Tatsächlich sorgt sich Reimann, dass die Kluft in der Rentenversicherung zu Lasten der Beitragszahler und Rentner im Westen zunimmt. Bisher ist wenig bekannt, dass die Schere in den vergangenen Jahren weiter auseinander gegangen ist – zu Lasten der Menschen in den alten Ländern. Grund dafür sind Sonderregelungen bei den Renten, von denen die Beschäftigten in den neuen Ländern profitieren. „Mein Anliegen ist es nicht, eine Neiddebatte zu führen“, sagte Reimann am Mittwoch vor Journalisten in Würzburg. Die Politik müsse sich klar darüber werden, wohin sie steuert.

Die Privilegien für Arbeitnehmer im Osten gewinnen an Bedeutung. Für einen Euro Beitrag bekommt der Beschäftigte in den neuen Ländern rund zehn Prozent mehr Rente als der Arbeitnehmer im Osten. Die Spreizung hat in den vergangenen Jahren in dem komplizierten System sogar zugenommen. Aus Sicht der Rentenversicherung sollte die Politik handeln. Schließlich könnten eines Tages Gerichte die Frage klären, warum der Rentenbeitrag des Ost-Arbeitnehmers mehr wert sein soll. Grund für die Unterschiede ist das nach wie vor bestehende Lohngefälle. Im Schnitt liegen die Löhne im Osten um 15 Prozent unter dem Westniveau. Um zu einer Angleichung zu kommen, werden im Rentenrecht die Rentenansprüche im Osten aufgewertet. Ein Beispiel macht dies klar: In diesem Jahr liegt das Durchschnittseinkommen im Westen bei knapp 35 000 Euro. Vergleicht man zwei Beschäftigte in Ost und West, die jeweils 35 000 Euro verdienen, erwirbt der Ost-Arbeitnehmer einen höheren Rentenanspruch. Arbeitnehmer im Westen erhalten bei diesem Durchschnittsverdienst einen Entgeltpunkt gutgeschrieben. Die spätere Monatsrente ergibt sich aus der Summe von Entgeltpunkten mit den jeweiligen Rentenwerten. Der Rentenwert liegt im Westen zwar höher, er beträgt zurzeit 28,61 Euro. Im Osten sind es 26,39 Euro. Ein ganz anderes Bild ergibt sich aber nach der Höherbewertung: Dann stellt sich der Ost-Rentner besser, denn sein Anspruch wird aufgewertet: In dem Beispiel bekommt der Ost-Beschäftigte für 2014 einen Wert von 31,33 Euro gutgeschrieben. Der West-Verdiener dagegen nur 28,61 Euro. Auf Dauer entsteht dadurch ein deutliches Gefälle.

Weil in den vergangenen Jahren die Unterschiede geringer waren, konnte die Höherbewertung auch als Ausgleich dafür gesehen werden, dass die private und betriebliche Altersvorsorge im Osten weniger verbreitet ist als im Westen. Mit der wachsenden Kluft ist die ungleiche Behandlung aber nur noch schwer vertretbar. Die Rentenversicherung fordert von der Politik, einen Plan zum Umsteuern zu entwickeln. Von heute auf morgen wird sich dies schwer ändern lassen, da ein abrupter Wegfall der Höherbewertung im Osten zu einem Aufschrei führen dürfte.

Die Diskrepanz zu Lasten der Beschäftigten im Westen wird sichtbar, wenn die Regierung in den nächsten Wochen ihren Rentenversicherungsbericht vorlegt. Daraus geht hervor, dass die Rentenversicherung für den Westen in diesem Jahr einen Überschuss von 18 Milliarden Euro ausweist, während das Defizit im Osten bei 16 Milliarden Euro liegt. Die Rentenversicherung weist zwar darauf hin, dass sich Ausgaben und Einnahmen nur schwer nach Ost und West trennen lassen. Doch die Zahlen deuten auf eine Unwucht hin.