„Ich habe die Bombe weder erfunden noch gebaut“, sagt Einstein auf der Bühne im Alten Schauspielhaus in Stuttgart. Dort feiert das Stück „Einsteins Verrat“ Premiere und zeigt eine Freundschaft im Spiegel der Historie.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Da arbeitet einer Jahre lang, um dann nur eine schlichte, knappe Formel herauszubringen? E = mc². „Mehr nicht?“, fragt der Mann abschätzig, „da hat er sich aber kein Bein ausgerissen.“ Von wegen. Die Formel war extrem folgenreich, nicht nur, weil sich Schüler bis heute damit abmühen müssen, sondern weil sie Weltgeschichte schrieb. Mit der Relativitätstheorie schaffte Albert Einstein die entscheidende theoretische Voraussetzung für die Entwicklung der Atombombe.

 

„Ich habe die Bombe weder erfunden noch gebaut“, sagt Einstein nun auf der Bühne des Alten Schauspielhauses – nicht, um sich herauszureden, sondern um sein schlechtes Gewissen in Schach zu halten. Denn hätte er den amerikanischen Präsidenten nicht gewarnt, dass die Deutschen eine Atombombe bauen, hätten die Amerikaner nicht nachgezogen. Vielleicht wäre die Weltgeschichte anders verlaufen und Hiroshima nicht von der Atombombe getroffen worden. „Ich werde mir nie verzeihen können“, sagt Einstein.

Er war ein glühender Pazifist, er war selbstkritisch und ein richtig sympathischer Typ. Das zumindest vermittelt Eric-Emmanuel Schmitt in „Einsteins Verrat“. Der französische Autor hat dem legendären Wissenschaftler ein Stück gewidmet, das nun im Alten Schauspielhaus zu sehen ist und von einer besonderen Männerfreundschaft handelt: Einstein lernt einen Obdachlosen kennen – eben jenen Mann, der an einer schlichten Formel wie E = mc² nichts Bemerkenswertes finden kann. „Sie imponieren mir überhaupt nicht“, sagt der Vagabund ohne jeden Respekt. „Das trifft sich gut“, erwidert Einstein, „ich imponiere mir auch nicht.“

Ein Vagabund am Ufer

Ein hölzerner Steg zieht sich quer über die Bühne und verweist auf den Schauplatz: ein Seeufer, an dem der Vagabund seine Tage fristet, während Einstein zum Segeln kommt. „Über das Wasser zu gleiten, entspannt mich“, sagt er, dabei ist er ein lausiger Segler. Regelmäßig schaut Einstein bei dem unrasierten Kauz vorbei, den es aus dem Leben geschleudert hat. Zwanzig Jahre lang sitzen sie immer wieder gemeinsam am Ufer und schauen in den Mond.

Aber die Freundschaft zwischen diesen ungleichen Kerlen ist nur der Kitt für dieses Stück, das Weltgeschichte verhandelt. Schmitts Drama beginnt 1934 in Princeton, wo Einstein, der emigrierte deutsche Jude, lehrt. Der Vagabund hat seinen Sohn im Ersten Weltkrieg verloren, nun steht der Zweite vor der Tür – und mit den Treffen der Männer vergehen die Jahre, Nationalsozialismus, Kriegsende, Hiroshima und schließlich Einsteins Tod 1955.

Politik und Weltgeschichte schleichen sich ganz unmittelbar in diese Männerfreundschaft ein: Einstein wird vom FBI beobachtet. 22 Jahre wurde der Wissenschaftler bespitzelt, weil man ihn für einen Kommunisten, sogar für einen Spion hielt. Auf der Bühne wird der Vagabund vom FBI erpresst, den Wissenschaftler auszuhorchen – ein dunkler Schatten liegt über den Treffen der Männer.

Textlastige Konversation

Mit großem Schnauzer und wirrer Mähne hockt Ernst Wilhelm Lenik nun neben Andreas Klaue – und auch wenn sie sich Kaffee teilen oder aus Blechnäpfen ein karges Mahl löffeln, so ist „Einsteins Verrat“ doch ein textlastiges Konversationsstück, das nicht zwingend die große Bühne bräuchte, weil es sich fast ausschließlich auf der verbalen Ebene bewegt. Schmitt hat zahllose Bonmots von Einstein eingearbeitet und die Gespräche zu geistreichen Rededuelle zugespitzt. „Zur Gleichgültigkeit habe ich keine Begabung“, sagt Einstein da oder „Ich schlafe nicht lange, aber dafür schnell.“ Aber auch der Vagabund scheint sich dieser elaborierten Diktion des Wissenschaftlers anzugleichen. „Fortschritt ist zum Vater des Todes geworden“, erklärt er pathetisch, „wir taumeln in den Abgrund.“

Der Regisseur Stephan Bruckmeier hat Schmitts versiert konstruiertes Stück schnörkellos und spannend inszeniert. Auch wenn Ernst Wilhelm Lenik als Einstein bei den enormen Textmassen immer wieder ins Strudeln gerät, sind er und Andreas Klaue ein gutes Team und schaffen es, die Konzentration durchgängig zu halten. Selten gelingt es einer Inszenierung, Politik und Geschichte so kurzweilig wie hier zu vermitteln und lehrreich zu sein, ganz ohne zu belehren.

Vorstellungen bis zum 7. Juni täglich außer sonntags.