Die USA wollen mit einer Justizreform die Zahl der Inhaftierten reduzieren. Schon jetzt sollen 6000 wegen Bagatelldelikten verurteilte Strafgefangene entlassen werden.

Washington - Als US-Präsident Barack Obama jetzt in einer Rede in seiner Heimatstadt Chicago wieder einmal nach Reformen verlangte, wusste er die Zuhörerschaft ausnahmsweise hinter sich. Im Saal saßen Polizeichefs aus dem ganzen Land, die – wie Obama – eine Modernisierung des Strafrechts fordern. Das soll die in absurde Höhen gestiegene Zahl von Häftlingen in den USA verringern. Ein Anfang ist gemacht, in diesen Tagen kommen 6000 Menschen frei, die wegen Bagatelldelikten zum Teil jahrelang im Gefängnis saßen.

 

Die Häftlingszahlen in den USA sind in den letzten 30 Jahren um 400 Prozent gestiegen. Heute sitzen mehr als 2,4 Millionen Menschen in US-Gefängnissen. Das ist ein Viertel aller Inhaftierten weltweit, obwohl die USA nur fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen. Auf 100 000 Einwohner kommen in Amerika statistisch gesehen knapp 700 Strafgefangene. Nicht einmal China hat solche Zahlen. Deutschland liegt nach Angaben des Londoner Forschungsinstituts International Centre for Prison Studies weit zurück mit im Schnitt 78 von 100 000 Einwohnern hinter Gittern.

Das Ausmaß der Inhaftierung ist „kritisch“ geworden

„Das Ausmaß der Inhaftierung hat einen kritischen Punkt erreicht“, schrieben kürzlich 130 Polizeichefs und Staatsanwälte in den USA in einem öffentlichen Aufruf. Es säßen zu viele Menschen im Gefängnis, die dort nicht hingehörten. Das war im Sinne Obamas, der eine Justizreform zu einer Priorität seines letzten Amtsjahres gemacht hat. Sie soll das Vermächtnis des ersten schwarzen Präsidenten in der US-Geschichte sichern. Denn die hohen Gefangenenzahlen sind auch Ausdruck eines Justizwesens, das nach Ansicht von Bürgerrechtlern den Rassismus fördert. So sind etwa 40 Prozent der Häftlinge Afro-Amerikaner. Zusammen mit den Hispanics machen sie fast zwei Drittel der Gefängnisinsassen aus, obwohl Afro-Amerikaner und Latinos gemeinsam nur etwa ein Viertel der US-Bevölkerung stellen. Schwarze werden in den USA zehnmal häufiger als Weiße für dasselbe Delikt ins Gefängnis gesteckt.

Der Grund für die „Masseninhaftierungen“, wie das System von Kritikern genannt wird, liegt in früheren Gesetzesverschärfungen. In den 80er und 90er Jahren hatten die Befürworter eines erbarmungslosen Null-Toleranz-System das Sagen. Die US-Behörden führten einen „Krieg gegen die Drogen“, wie das Vorgehen martialisch genannt wurde. Selbst für den Besitz kleiner Mengen an Rauschgift wurden hohe Mindeststrafen verhängt. Das führte zu überfüllten Gefängnissen und einem Gefängnisapparat, der heute mehr als 80 Milliarden US-Dollar pro Jahr verschlingt.

Texas und Kalifornien gehen neue Wege

Damit soll mittelfristig Schluss sein. Obama erklärte in Chicago, es sei möglich, Strategien zu finden, um den Schaden aus dem Drogenhandel zu reduzieren, ohne sich nur auf das Mittel von Gefängnisstrafen zu stützen. Einige Bundesstaaten wie Texas und Kalifornien hätten es in den vergangenen Jahren bereits geschafft, die Zahl der Inhaftierten zu senken. Entgegen den Prognosen der „Law and Order“-Fraktion seien die Kriminalitätsraten dort nicht gestiegen, sagte Obama. Für US-Verhältnisse hat sich eine bemerkenswerte Koalition gebildet, die eine Veränderung des Strafrechts fordert. Manche wollen Geld einsparen, andere wollen, dass Gerechtigkeit einzieht. Dabei sind konservative, weiße Industrielle wie die Koch-Brüder, afro-amerikanische Bürgerrechtler, weiße Polizeichefs und schwarze Staatsanwälte. Selbst Abgeordnete von Republikanern und Demokraten im US-Kongress sind sich einig, dass etwas geschehen muss.

Vor Monaten beschloss der Kongress die vorzeitige Entlassung der 6000 Männern und Frauen, die für Kleindelikte einsitzen. Sollte sich das Parlament auf einen anderen Gesetzentwurf einigen, könnten bald mehrere zehntausend Häftlinge folgen. Nach Ansicht von Wissenschaftlern ist ein Anfang gemacht – mehr aber auch nicht. Zum einen gebe es noch viel zu wenig Geld für Resozialisierungsmaßnahmen der Entlassenen. Zum anderen reichten einige Zehntausend Entlassungen nicht aus, die USA vom Spitzenplatz im weltweiten Inhaftierungsranking zu verdrängen