Die lokale AMSEL-Kontaktgruppe für MS-Erkrankte feiert ihr 40-jähriges Bestehen.

Leonberg - Multiple Sklerose, kurz MS, ist eine heimtückische Krankheit, die schleichend beginnt und nie gut endet, denn sie ist unheilbar. Bis heute kennt die Medizin weder Ursache noch Heilmittel für diese chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet.

 

„Das stört uns aber nicht“, sagt Dr. Waltraud Schweikhardt bei der Jubiläumsfeier der Leonberger AMSEL-Kontaktgruppe. „Wir überlegen lieber, wie wir uns selbst helfen können“, erklärt sie gut gelaunt in Richtung der Gäste. Schweikhardt führt zusammen mit der Steuerfachfrau Manuela Müller seit neun Jahren den Vorsitz der Leonberger Kontaktgruppe, die am Samstag ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert hat. Rund 40 Mitglieder sind gekommen, um sich auszutauschen und den gemeinsamen Nachmittag zu genießen.

Rat und Tat bei Multipler Sklerose

Die Leonberger Kontaktgruppe gehört zum Verein AMSEL, der Aktion Multiple Sklerose Erkrankter Landesverband Baden-Württemberg. 60 Kontaktgruppen zählt der Verband, darunter auch die Leonberger AMSEL mit ihren rund 100 Mitgliedern. Die hat am Jubiläum auch an die Anfänge erinnert.

1979 gründete Ursula Schilling die Leonberger AMSEL-Kontaktgruppe. Es war die 21. Gruppe im 1974 gegründeten Landesverband. Helmut Geiger, Mitglied der AMSEL-Geschäftsleitung, spricht bei der Jubiläumsfeier von einem Urgestein des Landesverbandes. Geiger ist mit Annemarie Kreß aus Stuttgart angereist, sie ist die Ansprechpartnerin beim Verband für die Leonberger Gruppe. Sie steht allen MS-Erkrankten, auch wenn sie nicht Mitglied der Kontaktgruppe sind, mit Rat und Tat zur Seite.

Sie singen und malen

Eine der ersten Aktivitäten von Ursula Schilling war die Gründung eines Chores. Sie entdeckte, dass das richtige Atmen den MS-Erkrankten buchstäblich Luft verschafft. „Über die damals populäre Radiosendung ‚Von Telefon zu Mikrofon‘ suchte sie einen Chorleiter und hatte das große Glück, einen Profi, der bei den Regensburger Domspatzen gesungen hat, für ihr Projekt zu gewinnen“, erzählt Schweikhardt. Sie ist ein begeisterter Verfechter des „heilsamen Singens“, wie sie es nennt.

„Aber nicht alle singen gerne“, weiß die 70-jährige Informatikerin. Deshalb hat sie ein zweites kreatives Standbein ins Leben gerufen. Regelmäßig treffen sich Betroffene im Leonberger Haus der Begegnung, um unter professioneller Anleitung zu malen. „Ein Mitglied hat mir einmal gesagt: ‚Dafür vergesse ich meine Krankheit‘“, erzählt Waltraud Schweikhardt, das hat sie sehr berührt und ist ein Ansporn für ihr unablässiges Engagement.

Großes Engagement von Ursula Späth

1982 übernahm Ursula Späth, die Frau des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Lothar Späth, die Schirmherrschaft des Landesverbandes. Ihrer Tatkraft und ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass die AMSEL, die damals vor dem finanziellen Aus stand, die Arbeit fortsetzen konnte. „Ursula Späth hat die Flügel über uns gebreitet“, sagt Waltraud Schweikhardt.

Nach wie vor besteht ein großer Teil ihrer Verbandsarbeit im Sammeln von Spenden und dem Aufspüren und Abrufen von Fördergeld. „Unsere Krankheit geht einher mit depressiven Stimmungen. Aber es ist so wichtig, dass wir uns nicht isolieren, dass wir trotz Schmerzen und Einschränkungen aus dem Haus gehen, miteinander lachen, zuhören, reden und schöne Dinge machen“, weiß die Vorsitzende der Kontaktgruppe.

Und das tun sie: Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder zum Kaffeetrinken im Hotel Amber, einmal zum abendlichen Stammtisch in Weissach, viermal im Jahr zu Spielenachmittagen im Haus der Begegnung. Der Verband organisiert die Teilnahme an Fachvorträgen und informiert über Medikamente und medizinische Erkenntnisse. Auch der Chor singt nach wie vor, wenn auch unter neuer Leitung.

Viele Helfer aus der Kontaktgruppe sorgen dafür, dass all diese Aktivitäten stattfinden können, und sind dafür am Samstag durch den Landesverband geehrt worden. Bärbel Augustin, Brigitte Burmester, Christa Beising, Heidi Linder und Horst Handrich bekamen begeisterten Applaus für ihr unermüdliches Engagement für die Kontaktgruppe, obwohl ihnen die Krankheit zu schaffen macht.

„Kleine Schwelle, große Hürde“

Das beeindruckt auch den Ersten Bürgermeister von Leonberg, Ulrich Vonderheid, der gerne der Einladung zum Jubiläum gefolgt ist. Er spricht über Mobilität und Barrierefreiheit – ein Thema, das für die Betroffenen ganz wesentlich ist. „Kleine Schwelle, große Hürde“, weiß er. Sein Augenmerk legt er auf den öffentlichen Nahverkehr und erklärt: „Wir haben das auf dem Schirm. In Leonberg gibt es 120 Bushaltestellen. Davon ist ein Drittel barrierefrei, am zweiten Drittel sind wir dran. Aber ein Drittel kann nicht umgebaut werden, weil die Gegebenheiten nicht passen, zum Beispiel die Straßen zu eng sind.“ Da ist noch Luft für Kreativität, um die UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2002 umzusetzen.

Aber Barrierefreiheit, weiß der Erste Bürgermeister, beschränkt sich nicht nur auf Mobilität. Die Digitalisierung und das Bereitstellen von Informationen in leicht verständlicher Sprache sind weitere Barrieren, die es zu überwinden gilt. Denn die Digitalisierung geht nur schleppend voran, Informationen in einfacher Sprache gibt es viel zu selten.

2,5 Millionen Erkrankte weltweit

Dem Zentralinstitut der Kassenärztlichen Versorgung zufolge leben in Deutschland mehr als 240 000 Menschen mit Multipler Sklerose (Daten von 2015), weltweit sind es geschätzt 2,5 Millionen Erkrankte. Wegen der vielen unterschiedlichen Verlaufsformen ist MS schwer zu diagnostizieren und heißt auch „Die Krankheit mit tausend Gesichtern“. MS ist nicht ansteckend und nicht tödlich.

Der Verein AMSEL (Aktion Multiple Sklerose Erkrankter Landesverband Baden-Württemberg) hat rund 8600 Mitglieder und ist Fachverband, Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung für MS-Kranke in Baden-Württemberg mit dem Ziel, MS-Kranke zu informieren und die Lebenssituation der Erkrankten und ihrer Angehörigen nachhaltig zu verbessern. In Leonberg gibt es inzwischen auch die „Heckengäuamseln“, die junge Leonberger Initiative, deren Angebot sich an jüngere Erkrankte richtet.