Stefka Panagiotidou hat über drei Jahrzehnte den Otto-Shop in S-Süd betrieben, jetzt wird er dicht gemacht. Der Hamburger Konzern betrachtet die Läden als Auslaufmodell und baut sie bundesweit ab. Panagiotidous Stammkundschaft bedauert das sehr.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-Süd - Stefka Panagiotidou wirkt gelangweilt, wie sie hinter ihrem Schreibtisch sitzt, ins Handy tippt. Es ist nicht viel los am vorletzten Tag in ihrem Laden, die Regale sind längst abgebaut, einige Kisten und Aktenordner stehen noch herum und Sachen, die sie noch braucht – Rechner, Drucker, Putzzeug. 33 Jahre lang hat Panagiotidou den Otto-Shop in der Böblinger Straße geführt, zuletzt mit Hermes-Paketshop, doch jetzt ist Schluss, Otto braucht sie nicht mehr, und der Geschäftsfrau ist mulmig in Anbetracht der Leere, die droht, wenn sie nicht mehr täglich in ihren Laden geht.

 

Es ist auch kein Trost, dass der Versandriese nicht allein auf ihre Mitarbeit verzichten will: Seit etwa drei Jahren baut Otto bundesweit seine Shops ab – möglichst sozial verträglich, wie man bei der Pressestelle versichert: Die meisten der selbstständigen Ladenbetreiber hätten inzwischen das Rentenalter erreicht. Man suche eben keine neuen Vertragspartner mehr, die den Shop weiterführen. Doch bei einigen wird der Vertrag gekündigt wie bei Stefka Panagiotidou, obwohl der Umsatz zuletzt während der Pandemie nochmals gestiegen sei, wie sie sagt. „Ich bin zwar auch schon 77 Jahre, aber ich hätte gerne noch weitergemacht.“ Ihre Stammkundschaft hätte das auch gewollt. Manche haben Sekt, Kekse, Blumen zum Abschied vorbeigebracht, manche haben eine Protestliste unterschrieben und ein paar haben sich bei der Zeitung gemeldet. „Ich hatte ja nicht bloß den Laden, ich war ja auch Mutter von Nationen!“, sagt Panagiotidou mit Schalk und Stolz.

Als gebürtige Bulgarin sei sie in allen slawischen Sprachen ein bisschen zuhause, zudem spricht sie fließend Russisch, Deutsch sowieso und Griechisch, weil ihr verstorbener Mann Grieche war. Mit diesen Kenntnissen habe sie einer Menge Leute helfen können – mal ein Schreiben vom Amt übersetzen, ein Formular ausfüllen, einen Brief verfassen – solche Sachen.

Ladeninhaberin mit Fangemeinde

Manches Mal hat Panagiotidou auch Menschen vor Unglück bewahrt. Die Stammkundin Linda Brechler berichtet von einer jungen Auszubildenden, die sich vom ersten Lohn bei Otto ein Luxushandy geordert hatte und nun bei der Ratenzahlung ins Stottern geriet. Um dem Mädchen nicht eine Inkassofirma auf den Hals hetzen zu müssen, setzte sich Panagiotidou vertrauensvoll mit der Mutter ins Benehmen, man fand eine Lösung.

Auch das gehörte zu den Aufgaben der Otto-Shop-Betreiber: Die Überprüfung der Personalien bei Ratenkäufen, der Versand von Mahnungen und schlimmstenfalls die Beauftragung eines Inkassounternehmens. Bei der Finanzbuchhaltung kam Panagiotidou ihr Studium der Ökonomie vor langer Zeit im sozialistischen Sofia zupass.

Im Grunde war der Laden lange Zeit eine Art Familienunternehmen gewesen. Als sie ihn 1988 von ihrer Vorgängerin übernahm, waren sie und ihr Mann zu zweit, später halfen auch die drei Söhne aus, die um die Ecke zur Schule gingen. Stammkundin Brechler kennt die komplette Familiengeschichte, „wir unterhalten uns ja immer, wenn ich komme“. Der Shop wird ihr fehlen: „Ich fand das immer sehr bequem, die Waren dorthin zu bestellen. Man hatte dann 14 Tage Zeit, sie abzuholen. Wenn ich Sachen bestelle und DHL die Sendung ankündigt, muss ich den ganzen Tag zuhause bleiben und darauf warten. Und wehe, ich mache kurz den Staubsauger an und überhöre, dass der Paketbote klingelt! Dann ist der im Nu weg, und ich muss extra zur Post.“ Auch die Retourenabwicklung sei im Shop bequem und kostenlos. „Ich weiß nicht, ob sich Otto mit der Schließung seiner Shops einen Gefallen tut“, so Brechler, „die werden dadurch Stammkunden verlieren“.

Katalog und Shop sind Auslaufmodelle

Das hat der Konzern eingepreist. Die Otto-Shops seien einst eine clevere Vermarktungsstrategie gewesen, die eine enge Kundenbindung geschaffen hätten, sagt Pressesprecher Frank Surholt. „Aber die Digitalisierung hat dieses Geschäftsmodell überholt.“ Ebenso seien die Sammelbesteller ein Auslaufmodell. Das sind Selbstständige, die wegen großer Bestellmengen Rabatte bekamen und die Retouren der Besteller erledigten, erklärt Surholt, „oft saßen die irgendwo auf dem Land. Die Sammelbesteller waren zugleich kommunikative Anlaufstellen. Die wussten immer, was im Dorf läuft, wer geheiratet hat, wer ein Kind erwartet oder, wer gestorben ist“. Doch 99,9 Prozent des Umsatzes fänden heute online statt. „Deshalb lassen wir die Shops seit etwa drei Jahren vorsichtig einschlafen.“ Aus demselben Grund habe man vor zwei Jahren den Otto-Katalog eingestellt.

Man wisse, dass man auf diesem Weg einige treue Kunden verlieren werde, sagt Pressesprecher Surholt. „Aber wir sind der Meinung, das wird durch parallel entstandene Serviceleistungen wieder wett gemacht.“ Es gebe viele Shops des Paketdienstes Hermes, einer Otto-Tochter, die kostenlose Retouren annehme, weiße Ware werde im Zwei-Mann-Handling bis in die Wohnung getragen, und es gebe einen telefonischen Rund-um-die-Uhr-Service sowie einen stets erreichbaren E-Mail-Chat. Aus Sicht des Konzerns sprechen keine vernünftigen Gründe mehr für Shops wie der von Stefka Panagiotidou.