Das Schwergewichts-Duell zwischen den Boxern Andy Ruiz jr. gegen Anthony Joshua in Riad wird mit Spannung erwartet – aber vor allem geht es ums Geld.

Riad - Es empfiehlt sich im Sport, mit Superlativen sorgsam umzugehen. Doch was am 1. Juni im altehrwürdigen Madison Square Garden in New York passiert ist, war völlig ohne Zweifel eine Sensation. Anthony Joshua, Schwergewichts-Weltmeister der Verbände WBA, WBO, IBF und IBO und nach 22 Siegen in 22 Kämpfen (davon 21 durch K.o.) auf dem besten Weg in die Ruhmeshalle des Boxens, kämpfte gegen den kurzfristig als Ersatzmann eingesprungenen Andy Ruiz jr. – dagegen war das Treffen von David und Goliath ein Duell auf Augenhöhe. Und dennoch zwang Ruiz, wegen seiner Körperfülle (121 kg/1,88 m) „Dickerchen“ und wegen seiner Vorliebe für Schokoriegel „Snickers-Mann“ genannt, den britischen Adonis auf die Knie. Viermal, um genau zu sein. Nach dem vierten Niederschlag erlöste der Ringrichter den bedauernswerten Titelverteidiger in Runde sieben. An diesem Samstag (21.45 Uhr/DAZN) gibt es die Revanche – die nicht nur sportlich ein wüstes Spektakel werden dürfte.

 

Der Kampf findet in Diriyya statt, einem Vorort der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Dort haben die Gastgeber für einen Abend ein 15 000 Zuschauer fassendes Stadion errichten lassen, und sie investieren auch sonst ziemlich viel Geld in den „Clash on the Dunes“ (Kampf in den Dünen). Die Rede ist von 90 Millionen Euro, die Gagen der Beteiligten sind entsprechend gewaltig. Joshua erhält 54 Millionen Euro, Ruiz neun – und Joshuas Promoter Eddie Hearn kassierte allein für den Verkauf des WM-Duells nach Saudi-Arabien stolze 36 Millionen Euro. „Das Land wollte verdammt viel Kohle ausgeben“, sagt er, „man konnte es entweder annehmen oder der ganzen Sache den Rücken kehren und der Idiot sein.“ Was zumindest moralisch wertvoll gewesen wäre.

Missachtung von Menschenrechten

Katar versucht ja schon länger, seine Missachtung von Menschenrechten zu überspielen, indem es hochkarätige Sportveranstaltungen ausrichtet. Nun will Nachbar Saudi-Arabien auf Initiative von Kronprinz Mohammed bin Salman einen ähnlichen Weg gehen – das Duell Joshua vs. Ruiz ist der größte Wettkampf, der in dem Wüstenstaat bisher stattgefunden hat. „Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist katastrophal“, erklärt Felix Jakens von der Organisation Amnesty International, „dieser Kampf ist eine weitere Gelegenheit für die saudischen Herrscher, ihr stark angeschlagenes Image über den Sport reinzuwaschen.“ Kommerz schlägt Moral, Geld triumphiert über Werte. Es ist freilich eine Haltung, die dem Boxsport schon länger nicht gänzlich fremd ist.

Dementsprechend ist weder von Weltmeister Ruiz (30), der sich nach seinem sensationellen Sieg im Juni schnell mal unter anderem eine Luxusvilla und einen Rolls-Royce gönnte („Ich habe das Leben genossen“), noch von Ex-Weltmeister Joshua (30) ein kritisches Wort zu Saudi-Arabien zu hören. Im Gegenteil. Der Brite meinte nach seiner Ankunft in Riad lediglich: „Ich habe mich hier umgesehen. Jeder sah glücklich und gelassen aus.“

Es könnte allerdings sein, dass diese Worte nur ein weiterer Beleg für die unzulängliche Menschenkenntnis von Joshua sind. Auch Ruiz hatte er vor dem ersten Treffen völlig falsch beurteilt, er unterschätzte den Mann, der sich selbst „The little fat kid“ (Das kleine dicke Kind) nennt, komplett. Das wird ihm sicher nicht noch mal passieren, und doch stellt sich die Frage, ob Joshua sich tatsächlich „neu erfunden“ hat, wie er behauptet. Klar besitzt er einen Körper, der aussieht, als hätte ihn Michelangelo persönlich aus Marmor gemeißelt. Nehmerqualitäten, Willenskraft und taktisches Geschick lassen sich aber nur bedingt trainieren. Trotzdem sagt Joshua: „Ausgeknockt zu werden, war eine gute Erfahrung. Die Angst, zu verlieren, treibt mich an.“

Schwere Kindheit

Die Motivation von Ruiz war seit jeher eine andere. Der US-Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln musste sich schon als Kind durchboxen, weil er wegen seiner pummeligen Figur gehänselt wurde. Er nutzte die Chance, sich nach oben zu kämpfen, und nun will er von dort nicht wieder weg. „Ich werde diese wunderschönen Gürtel nicht mehr abgeben“, sagt er und muss doch erst beweisen, dass er auch dann gewinnen kann, wenn er etwas zu verlieren hat. Das kennt Ruiz nicht. „Er wird es schaffen“, sagt Promoter-Legende Bob Arum, „Joshua ist überbewertet.“

Das sehen nicht alle Experten in dieser Deutlichkeit. Klar ist aber auch: Egal, wer das Wüsten-Spektakel am Ende gewinnt – ein Sensationssieger wird er nicht sein.