Bundeskanzlerin Angela Merkel reist durch die Hochwassergebiete der Republik. Sie verspricht den Geschädigten unbürokratische Soforthilfe und mindestens 100 Millionen Euro. Der StZ-Redakteur Armin Käfer hat Merkel auf ihrer Hochwasser-Tour begleitet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Pirna - In Pirna herrscht noch Optimismus. Obwohl weite Bereiche der Altstadt am Dienstag gegen Mittag nur noch in Gummistiefeln zu betreten sind. Das Weiße Ross, ältestes Gasthaus in der sächsischen Kreisstadt, wirbt mit einem Plakat, auf das nachträglich ein Zettel aufgeklebt wurde. „Noch haben wir geöffnet“, ist darauf zu lesen.

 

„Es nützt natürlich nichts“, meint Peter Schwerg. Er sitzt hier in Pirna für die CDU im Stadtrat und spielt auf den hohen Besuch an, der sich unvermittelt angekündigt hat. Die Kanzlerin nutzt die Ungunst der Stunde für eine Tour quer durch die Republik in Städte, die vom Hochwasser besonders schlimm betroffen sind. Pirna gehört dazu. In der Nacht zuvor ist die Elbe in die gepflasterten Altstadtgassen geschwappt. „Sie kommt einen Tag zu früh“, sagt ein Passant ungerührt. Der so genannte Kulminationspunkt der Flut wird erst für heute erwartet.

Erinnerungen an Gerhard Schröder werden wach

Doch für Angela Merkel ist es wichtig, den Kulminationspunkt der Aufmerksamkeit nicht zu verpassen. So war es vor elf Jahren während der letzten verheerenden Hochwasserkatastrophe dem CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber ergangen. Während der damalige Regierungschef Gerhard Schröder (SPD) bereits in Gummistiefeln durch die überschwemmten Städte watete und als Krisenkanzler einen guten Eindruck hinterließ, schwadronierte Edmund Stoiber noch über Hochwassertourismus und moralisierte: Er wolle aus dem Desaster im Wahlkampf kein Kapital schlagen. Gerhard Schröder plagten solcherlei Bedenken nicht. Er hat seinen bayerischen Konkurrenten Stoiber damals buchstäblich im Hochwasser versenkt.

Über handgreifliche Absichten dieser Art spricht die Kanzlerin nicht, als sie mit einer Stunde Verspätung in der überschwemmten Stadt erscheint. Inzwischen haben sich einige hundert Schaulustige am Dohnaischen Platz versammelt, der in Pirna so etwas wie der Charlottenplatz in Stuttgart ist: das Tor zum Stadtzentrum. Merkel trägt einen schwarzen Anorak. Es bleibt ihr erspart, die Kapuze überzuziehen. Als ihre Dienstlimousine vorfährt, hört es auf zu regnen. Aus dem Publikum wird sie mit Sprüchen begrüßt, die einen weiten Horizont verraten. „Mal gucken, ob die Griechen uns jetzt helfen, was Spenden angeht“, ruft einer. Merkel schüttelt den zivilisierteren unter den Zaungästen die Hände. Ihre schwarze Hose ist bereits mit Schlamm bespritzt. Sie war zuvor ja schon im bayerischen Passau. Von dort eilt Merkel die Nachricht voraus, dass die Bundesregierung hundert Millionen Euro an Soforthilfe für Hochwasserschäden bereitstellen wolle. Das sei „so gut wie gar nichts“, meint der CDU-Mann Peter Schwerg, der selbst ein Opfer der Flut geworden ist.

Schröder hat die Latte hochgelegt

„Dampfschiff“ steht auf einem weißen Blechschild, das in die Richtung weist, in die Angela Merkel nun marschiert. Von Dampfern ist dort nichts zu sehen. Am Horizont wälzt sich die Elbe nordwärts. Sie hat das Niveau erreicht, auf dem sonst die Schiffsschlote vorbeiziehen. Eine Bahnunterführung an der Uferstraße steht schon zur Hälfte unter Wasser. Die Läden an der Dohnaischen Straße, durch die Merkel geht, sind leergeräumt. Zwischen den Türgewänden stapeln sich hüfthoch die Sandsäcke. Das wird im Katastrophenfall wenig helfen. Stündlich steigt die Flut um zehn Zentimeter. Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke zeigt Merkel, wie hoch sie im Jahr 2002 stand: Er berührt mit der rechten Hand seine Haarspitzen.

„Wir werden alles tun, um denen, die das zu erleiden haben, zur Seite zu stehen“, sagt die Kanzlerin, als sie die Wasserkante erreicht hat. Sie trägt Wanderschuhe, keine Gummistiefel – weil das vermutlich wenig vorteilhaft aussehen würde. Vor der Hochwasserkulisse gibt es dann Gerangel unter den mitgereisten Fotografen. Merkel mischt sich mit eigenen Regieanweisungen ein. Wie stets ist es der Kanzlerin ein Anliegen, die Bilder, die von ihr kursieren, zu kontrollieren. Es sind die Bilder, um die es hier geht. Bilder und Gesten haben sie schließlich zu diesem Ausflug veranlasst.

16 Minuten dauert diese Visite

„Wir geben für so viele Dinge Geld aus“, sagt sie noch. „Deshalb müssen wir helfen.“ Sie wolle sich „wirklich kümmern“. Dann macht sie sich auf den Rückmarsch. 16 Minute dauert die Stippvisite.

Der Parteifreund Schwerg erinnert sich: Gerhard Schröder habe 2002 versprochen, alle Hochwasserschäden würden den Opfern ersetzt. So sei es auch gekommen. „Mich hat das verblüfft“, sagt der CDU-Mann. „Damit liegt die Latte für Frau Merkel hoch.“