Die erste Auslandsreise als britische Premierministerin führt Theresa May am Mittwoch zu Angela Merkel. Für Europa hängt viel daran, ob die beiden politisch und persönlich miteinander können werden.

Berlin - Beschwingt nimmt die eine die sechs Stufen hinauf zum Eingang des Regierungssitzes, wo die andere lächelnd wartet. Händeschütteln, ein kurzer Blick hinüber zu den Fernsehkameras, kein großes Brimborium, schnell gehen die beiden Frauen hinein und zum ernsten Teil über. Es ist dennoch ein großer Moment, auch für die Beteiligten selbst – so weit ist es mit der Gleichheit eben doch nicht her, als dass es nur noch bloße Routine wäre, wenn sich zwei Regierungschefinnen begegnen. Eine der beiden Frauen wird kurz darauf das entsprechende Foto auf Twitter verbreiten und schreiben: „Die politischen Unterschiede einmal beiseite gelassen – ich hoffe, dass überall Mädchen dieses Foto sehen und daran glauben, dass nichts außerhalb ihrer Reichweite liegt.“

 

Der Satz stammt nicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern von Nicola Sturgeon, der Ministerpräsidentin Schottlands, dem Ziel von Theresa Mays erster Dienstreise als neuer Premierministerin am vergangenen Freitag. Schließlich steht mit dem britischen Austritt aus der Europäischen Union, den die neue starke Frau in London nach dem Referendum organisieren soll, auch die politische Einheit ihrer Insel auf dem Spiel. Die europafreundlichen Schotten erwägen, lieber dem Vereinigten Königreich den Rücken zu kehren als der EU. Ihre erste Auslandsreise indes führt Theresa May an diesem Mittwoch zu einer noch mächtigeren Frau, der mächtigsten in Europa –Angela Merkel.

Beide kennen sich noch nicht, haben erst einmal miteinander telefoniert. Während eines Besuchs im zentralasiatischen Kirgistan klingelte Merkel am vergangenen Mittwoch kurz aus der Hauptstadt Bischkek durch, um der Nachfolgerin von David Cameron zu gratulieren und sie nach Berlin einzuladen. Mit militärischen Ehren wird Theresa May am Bundeskanzleramt empfangen werden. Und es werden zwei Politikerinnen über den roten Teppich schreiten, auf die es nun maßgeblich ankommt, damit der geplante „Brexit“ nicht zur Katastrophe und der politische wie wirtschaftliche Flurschaden begrenzt wird. Viel hängt für Europa also davon ab, ob May und Merkel miteinander können werden.

Viel Verbindendes in der Vita

Gemeinsamkeiten, die einer politischen Freundschaft in schwieriger Zeit den Weg ebnen könnten, gibt es genug. Das fängt beim Alter an - die Deutsche hat gerade ihren 62. Geburtstag gefeiert, die Britin wird am 1. Oktober 60 Jahre alt. Beide sind sie auf dem Lande aufgewachsen, beide als Pastorentöchter und weniger mit einem ideologischen, denn einem moralischen Kompass ausgestattet. Merkel kam als Quereinsteigerin aus der Physik in die Politik, May aus der Finanzwelt. Beide dienten lange als Ministerinnen und wurden in die vorderste Reihe gespült, als hinter dem Chaos aufgeräumt werden musste, dass die Jungs vor ihnen angerichtet hatten – in der deutschen CDU Anfang 2000 nach der Parteispendenaffäre, bei den britischen Tories ganz aktuell nach dem Brexit-Votum. „Fast übernatürlich ruhig“ habe Theresa May auf das Gewitter in Großbritannien reagiert, schrieb der linksliberale „Guardian“ – eine Beschreibung, die auch auf Merkel zutreffen könnte. Als „sehr gut vorbereitet und sehr sachkundig“ beschreiben Mitarbeiter von Innenminister Thomas de Maizière Mays Brüsseler Auftritte als Innenministerin. Auch Merkel gilt dort im Kreise der EU-Kollegen als diejenige, die noch das kleinste Detail des zu besprechenden Themas kennt.

Dass sie beide Frauen sind, wir eine größere Rolle spielen, als manch einer denkt. Und das nicht nur im Sinne zweier „Eiserner Ladys“, die nun aufeinandertreffen, da 26 Jahre nach Maggie Thatchers Abgang wieder eine Frau in 10, Downing Street eingezogen ist. Theresa May hat in ihrer Bewerbungsrede von der „schreienden Ungerechtigkeit“ gesprochen, dass Frauen immer noch weniger verdienen als Männer. Aber auch Angela Merkel hat eine wenig beachtete feministische Seite, wenn auch keine kämpferische. „Im entscheidenden Moment kann ich mich immer auf die Frauenpolitikerin Angela Merkel verlassen“, sagt die Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der Frauenunion, „sie geht pragmatisch vor, hat aber immer die Geschlechtergerechtigkeit im Auge.“

Als Anfang des Monats in Berlin 30 Jahre Bundesfrauenministerium gefeiert wurden, sprach die Kanzlerin darüber, was in der „Frauenpolitik“ erreicht wurde, auch in ihren Jahren als Ministerin nach der Wiedervereinigung, und was nicht: „Deshalb ist es gut, wenn wir möglichst viele Verbündete haben.“ Ein interessantes „wir“. Allerdings passt es ihr gar nicht, wenn alle Frauen über einen Kamm geschert werden: „Es ist auch eine Art von Diskriminierung, wenn man sagt, Frauen müssten immer alles gleich denken.“

Mit weiblichen Regierungschefs geht es besser

Mit Frauen kann die deutsche Kanzlerin gleichwohl am besten. „Sie hat ein in der Regel besonders gutes Verhältnis zu weiblichen Regierungschefs oder Frauen in einer ähnlich hohen Position, die ähnlich ticken wie sie“, heißt es im Kanzleramt. Genannt werden in diesem Zusammenhang die amerikanische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und Condoleezza Rice als deren Vorgängerin als US-Außenministerin, aber auch Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg, Chiles Präsidentin Michelle Bachelet oder Liberias Staatschefin Ellen Johnson Sirleaf. Über Merkels Freundschaft mit IWF-Chefin Christine Lagarde ist – trotz aller Differenzen in der Griechenland-Politik – schon viel geschrieben worden.

Wohl hat die Kanzlerin über die Jahre im Machtapparat einige „männliche Attitüden annehmen müssen“, wie eine CDU-Bundestagsabgeordnete erzählt, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will: „Sie kommt dennoch immer noch besser mit Frauen zurecht, weil sie nicht wie Männer à la Seehofer mit ihren Erfolgen hausieren gehen müssen. Für einen Gockel wie Boris Johnson hat sie überhaupt kein Verständnis.“ Manche Beobachter meinen, ein ruhiger sachlicher Politikstil sei für die Kanzlerin das viel entscheidendere Kriterium. Weil der aber eher bei Frauen anzutreffen ist, wird aber eben doch wieder ein Schuh daraus. Nur ein einziges Mal, erinnert sich die Abgeordnete, sei die Parteivorsitzende in einer Fraktionssitzung mit einer Frau aneinander geraten, als diese ihr kürzlich vorgehalten haben, dass ihre Flüchtlingspolitik einer der Gründe für das Brexit-Votum gewesen sei – Merkel reagierte „richtig sauer“.

Eine Anekdote aus dem Herbst verdeutlicht, dass die Frauen in der Union ihr eigenes Netzwerk haben. Wochenlang hätten „ausnahmslos Männer“ in den Fraktionssitzungen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin attackiert, berichtet die Parlamentarierin rückblickend, bis sie mit anderen Kolleginnen Widerstand organisierte und in einer Sitzung zahlreiche Frauen die Angriffe auf Merkel konterten. Ein „P.S.“ auf der vorgedruckten Weihnachtskarte war das Ergebnis. „Ich weiß, dass ich mich zu wenig bedanke“, schrieb Angela Merkel dort an die Abgeordnete, die ihr über die größte Krise ihrer Kanzlerschaft hinweghalf.

Nun soll der Brexit nicht die allergrößte werden. Erst am Montag hat Merkel wieder im CDU-Präsidium dafür geworben, den Briten Zeit zu lassen, bis sie sich sortiert haben – erzwingen können die übrigen Europäer den formalen Austrittsantrag ohnehin nicht. Theresa May hat diese moderaten weiblichen Töne, die sich von denen in Paris oder Brüssel klar unterscheiden, wohl vernommen. Ihre Ansage, in den Brexit-Verhandlungen bei Bedarf auch „eine „verdammt anstrengende Frau“ sein zu können, münzte sie denn auch auf die EU-Kommission und nicht auf Merkel. Trotz deren Ansage, auch in Zukunft ein freundschaftlich-enges Verhältnis mit den Briten pflegen zu wollen, darf sie jedoch nicht zulassen, dass ein EU-Austritt so attraktiv wird, dass auch andere auf den Geschmack kommen.

Ein ganz neues Spiel könnte sich jedoch ergeben, wenn nach der US-Wahlen im November in Gestalt von Hillary Clinton eine dritte Frau die Brexit-Bühne betritt. In der CDU geht die Sorge um, dass das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP scheitern könnte, London aber einen solchen Vertrag mit den USA schließen und die EU ins Hintertreffen geraten könnte. Aber wie schon erwähnt: Hillary Clinton gehört zu den wichtigsten Mitgliedern in Angela Merkels Frauenbund.