Harald Giessen von der Uni Stuttgart entwickelt optische Systeme, die Informationen aus der Umwelt direkt an die Augen liefern können. Hier können Sie sich für die Vorlesung der nächsten Kinder-Uni anmelden.

Stuttgart - Für Harald Giessen ist es der wahre Luxus, nicht ständig auf ein Smartphone blicken zu müssen. Der Stuttgarter Physiker will nicht dauernd erfahren, wer wann was gegessen hat und wer sich wann, wo und warum mit wem trifft. Klar ist aber: Sehr viele Menschen, vor allem jüngere, interessiert dies. Auf Facebook, Instagram und Snapchat holt man sich die Infos über Freunde und Verwandte und postet gleichzeitig, was man selbst gerade macht, und sei es noch so banal.

 

Doch dabei wird es in Zukunft nicht bleiben, die Entwicklung geht weiter. Daran sind Harald Giessen und sein Team maßgeblich beteiligt. Der Leiter des 4. Physikalischen Instituts der Uni Stuttgart entwickelt zusammen mit seinen Kollegen und Mitarbeitern aus anderen Fachbereichen winzige optische Systeme, die, an Brillen montiert, Infos direkt ans Auge liefern können – und zwar so, dass dieses optische System weder stört noch zu sehen ist. Es ist nicht größer als ein Haar und sitzt seitlich an der Brille, die man etwa wegen einer Fehlsichtigkeit immer trägt, oder auch an der Sonnenbrille in der Freizeit. Die klobigen Google-Brillen sehen dagegen aus wie aus dem tiefsten Mittelalter.

„Ganz vorne bei der Datenübermittlung steht natürlich die Navigation beim Autofahren oder auch zu Fuß“, erklärt der 51-jährige Physiker. Winzige Pfeile in verschiedenen Farben zeigen am Wahrnehmungsrand des Auges, wo es hingehen soll. Auch wenn das Auge in die Ferne blickt oder man sich beim Spazierengehen plaudernd auf die Begleitung konzentriert, werden die Navigationsdaten mehr oder weniger unbewusst verarbeitet. Das ist mittlerweile nicht mehr visionär – im Bereich der Navigation ist vieles möglich. Auch in der Arbeitswelt verändern digitale Bauanleitungen die industrielle Fertigung und künftig wohl auch das mühsame Aufbauen eines Regals im heimischen Arbeitszimmer.

Stets verfügbares Wissen über Konferenzteilnehmer

Doch Giessen denkt weiter. Mithilfe der winzigen optischen Systeme könnten auch andere Daten eingeblendet werden. Vorstellbar wäre folgendes Szenario: Man trifft sich auf einer Konferenz, kennt sich aber nicht. Man stellt sich vor, doch wer kann sich schon Namen und andere personenbezogene Details eines jeden Einzelnen sofort merken? Kein Problem mit der Datenbrille: Zu jeder Person, die am Konferenztisch sitzt, erscheinen über dessen Kopf Namen, Alter, beruflicher Werdegang, vielleicht sogar persönliche Vorlieben. Und Giessens Vorstellungen gehen noch viel weiter: Zusätzlich zu diesen Daten könnte gleichzeitig der E-Mail-Verkehr oder die jüngste SMS- oder Whatsapp-Nachricht oder der letzte Facebook-Eintrag eingeblendet werden.

Möglich wird dies mit Miniobjektiven, die im 3-D-Druckverfahren hergestellt werden. In den vergangenen Jahren hat sich die Technik des dreidimensionalen Druckens immens weiterentwickelt. So lassen sich mittlerweile auch komplizierte Formen realisieren – Punkt für Punkt und Linie für Linie werden auch sehr komplexe Bauteile aufgetragen. Dafür hat man in Stuttgart einen Kurzpulslaser in Kombination mit optischem Fotolack benutzt, um optische Linsen herzustellen, die kaum größer als ein menschliches Haar sind.

Dabei wird ein Femtosekundenlaser verwendet, der eine Pulsdauer von weniger als 100 Femtosekunden besitzt. Eine Femtosekunde ist eine unfassbar kurze Zeiteinheit: In dieser kurzen Zeit bewegt sich der Lichtstrahl des Lasers etwa 0,001 Millimeter von der Lichtquelle weg – das ist etwa ein Hundertstel eines menschlichen Haares. Kurz: Mit einem Femtosekundenlaser kann man äußerst exakt arbeiten.

Laserstrahlen erzeugen winzige Strukturen

Mithilfe eines Mikroskops wird dieser Strahl in einen flüssigen Fotolack fokussiert, der vorher zum Beispiel auf ein Glasplättchen oder eine Glasfaser geträufelt wurde. Durch den Laserstrahl wird der Lack hart. Der Laserstrahl kann in alle drei Raumrichtungen die gewünschte Form abfahren, die hergestellt werden soll. Und damit können winzige Strukturen, etwa kugelförmige Linsen, hergestellt werden. Auch mehrlinsige Objektive für Abbildungen in höchster Qualität sind möglich. Solche Linsensysteme braucht man, um das Sehen mit dem menschlichen Auge mit starker Vergrößerung oder starkem Weitwinkel zu unterstützen.

Momentan geht es darum, wie die Optik ins Auge kommt. Und wie das Display die nötige Helligkeit bekommt, so dass es auch bei Tage noch gut sichtbar ist. Das Display an der Uni Stuttgart ist ziemlich groß, etwa so groß wie eine Gewürzdose. Bei einem Expertentreffen hat Giessen kürzlich erfahren, dass der Stuttgarter Technologiekonzern Bosch ein sehr viel kleineres Lasermodul für Laptop, Tablets oder Smartphones entwickelt hat. Dieses Modul ist nur ein mal zwei Zentimeter groß. Verbunden mit der Glasfasertechnologie der Stuttgarter Physiker lässt sich dies mit dem Chip an der Brille verbinden.

Für den Physiker ist klar, dass mit all diesen aus dem Netz abgerufenen Infos vor Augen der Schutz der eigenen Daten eigentlich unmöglich wird. Doch diese Entwicklungen werden in Asien und den USA anders gesehen. „In China gehört es fast schon zum Alltag, Echtzeitvideos über das eigene Leben zu posten“, weiß Giessen. Für ihn selbst bleibt es zwar rätselhaft, warum dies interessieren sollte. Aber dass es immer mehr Menschen gibt, die über andere Menschen alles erfahren wollen und gerne auch alles über sich selbst teilen, da ist er sich sicher.

Anmeldung zur Kinder-Uni

Vorlesung „Kann man Tarnkappen bauen?“ ist der Titel der Vorlesung der nächsten Kinder-Uni. Am Freitag, den 15. Juni 2018, um 16 Uhr im Hörsaal 47.01 auf dem Vaihinger Campus (Pfaffenwaldring 47) zeigt der Physiker Harald Giessen von der Uni Stuttgart, wie man Dinge unsichtbar machen kann.

Dabei müssen Lichtstrahlen um einen Gegenstand herumgelenkt werden, damit man ihn nicht mehr sieht. Das ist zum Beispiel notwendig, wenn man eine Tarnkappe bauen und wie Harry Potter unter einem Umhang verschwinden will.

Auch wenn sich dies alles nach einem Märchen und völlig unglaubwürdig anhört, ist es doch möglich. Denn Harald Giessen kann diese Tarnkappen tatsächlich bauen. Er wird den Nachwuchsstudenten erklären, wie die Lichtbrechung den Weg des Lichts verändern kann. Und dass es Material gibt, das Licht um sich herumlenkt.

Anmeldung Hier kannst du dich anmelden. Zwei Plätze können gebucht werden. Wer einen Platz erhalten hat, bekommt per E-Mail eine Bestätigung und einen Link, unter dem die Eintrittskarte heruntergeladen werden kann.