Mit „A Space For Lost Time“ hat Anna Ternheim ein wunderbar melancholisches Folk-Album amerikanischer Prägung veröffentlicht. Bei ihrem Auftritt im Wizemann wird die Schwedin zeigen, warum sie ihre Herkunft dennoch nicht verleugnen kann.

Stuttgart - Man kann Anna Ternheimaus Schweden holen. Aber man wird niemals Schweden aus Anna Ternheim holen. Jüngster Beweis: ihr neues Studioalbum „A Space for lost Time“. Es mag überwiegend in der flirrenden Hitze von Los Angeles entstanden sein, es mag gelenkt sein von Bob Dylan, Leonard Cohen und den anderen Kapazitäten der uramerikanischen Liedermacherei; den ruhigen, streichelnden Folk-Stücken entströmt dennoch eine tiefe, nahezu sakrale Melancholie, die sofort in die dunklen Wälder ihrer Heimat führt.

 

„Unterbewusst“, sagt sie, „wollte ich wohl nach Los Angeles, weil ich noch nie dort war. Alle gehen immer nach L. A., als sei es das Normalste auf der Welt, und ich dachte irgendwann nur noch: Mann, ich will da auch hin!“ Strände, Palmen, die abgründige Anziehungskraft der Hollywood Hills, sie alle blieben ohne Wirkung auf die Schwedin. „Jetzt habe ich dort ein Album aufgenommen – und es klingt einfach immer noch düster und skandinavisch“, lacht sie. „Vielleicht nehme ich mein nächstes Album einfach mal in Schweden auf und schaue, was passiert. Vielleicht wird es dann ein Schlageralbum.“

Daraus wird nichts. Sie bevorzugt die leisen Töne, die behutsamen, die bittersüßen Melodien, die auch auf „A Space for lost Time“ perlen wie ein Herbstregen. „Wenn man ein halbes Jahr in Dunkelheit und Kälte lebt, dann bleibt das nicht ohne Folgen“, sagt die Sängerin über ihre Heimat. „Schon der alten schwedischen Folklore wohnt diese Melancholie inne, sie ist sozusagen Tradition. Selbst unsere Popmusik ist nicht sicher davor. Dieses musikalische Erbe ist ein Teil von mir. Ich glaube“, lächelt sie, „ich habe eine alte Seele.“ Sie ist 41, dies ist ihr siebtes Album. Es ist anzunehmen, dass sich an dieser Grundhaltung nichts ändern wird.

Im hektischen New York führt sie ein ruhiges Leben

Eine frühe Band in Atlanta, ein Jahr in Lausanne, seit elf Jahren New York: Anna Ternheim ist eine Getriebene. Sie ist rastlos – und weiß doch gar nicht so genau, woher diese Rastlosigkeit eigentlich kommt. „Wahrscheinlich muss ich meinen Sinnen stetig neue Eindrücke verfüttern, weil sie sonst verkümmern“, mutmaßt sie nach einiger Überlegung. „Neue Eindrücke, neue Gerüche, neue Geräusche. Ich mag das, denn in diesen Momenten des Unterwegsseins kommen mir Ideen, die mir zu Hause verwehrt bleiben.“ Dennoch liebe sie es, zu Hause zu sein: „Ich führe ein sehr ruhiges Leben in New York. Ich liebe es, dort zu wohnen, doch die Stadt ist unglaublich schnell und gibt dir pausenlos das Gefühl, nicht genug Zeit zu haben. Man hat ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Also lasse ich es extra ruhig angehen, fahre mit dem Fahrrad durch den Park oder breche auf in die Natur in Upstate New York.“

Dort unternimmt sie viele Wanderungen. Auch die Alpen hat sie schon zu Fuß durchwandert, sie war in den Dolomiten unterwegs, am Montblanc. „Wenn Musik dein Lebensunterhalt ist“, schlussfolgert sie, „musst du regelmäßig deine Kreativität triggern können. Einfach aufzubrechen, unterwegs zu sein, zu wandern, ist eine Möglichkeit, das zu tun.“ Das funktioniert bisher ganz gut. Sie spielt Gitarre und singt, seit sie zehn ist, platziert ihre Alben vor allem in Schweden in den Charts, heimst Preise ein und verbreitet den melancholischen Zauber ihrer Musik vermehrt auf internationalen Bühnen.

Vor dem Packen graut es ihr allerdings immer noch, verrät sie ein wenig beschämt: „Es ist wirklich furchtbar“, klagt sie, „ich bin seit so vielen Jahren auf Reisen und kann immer noch nicht nicht packen! Was ist mein Problem? Ich gerate in Stress, schmeiße dann innerhalb von fünf Minuten alles in einen Koffer, was ich dann am Ende gar nicht brauche. Eines habe ich aber gelernt: Je weniger man mitnimmt, desto weniger lässt man dort liegen. Doch wenn ich auf Tour bin, brauche ich nun mal ordentliche Klamotten für die Bühne, für Fotoshootings . . .“ Sie seufzt. „Es ist ein Albtraum, das alles.“

Wie sie versunken in ihre melancholischen Melodien auf einer Bühne steht, in den Händen die alte Gibson-Gitarre, merkt man ihr das nicht an. Dann ist alles ganz weit weg, die Rastlosigkeit, das hohe Tempo New Yorks. „Ich lebe seit elf Jahren in dieser Stadt, doch es fühlt sich immer noch so an wie eine lange Reise. Als wäre ich ein Besucher. New York sorgt dafür“, sagt sie, „dass ich Schweden mehr zu schätzen weiß. Und ganz gleich, wo ich bin und wie weit ich auch wegfahre: Schweden wird immer meine Heimat sein.“ Man hört es ihrem neuen Album an.