Annette Schavan hat ihr Amt räumen müssen. Damit geht eine Ausnahmekarriere zu Ende. Die Politik-Redakteurin Bärbel Krauß blickt auf die Karriere von Schavan zurück, die im Mai 1995 in Stuttgart die große politische Bühne betrat.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Bleich, gefasst und ohne eine Spur von Unrechtsbewusstsein absolviert Annette Schavan ihren letzten Großauftritt im Scheinwerferlicht. Ihre Stimme ist fest. Sie strahlt Entschlossenheit aus, und sie hat augenscheinlich keinen Zweifel an dem Schritt, den sie jetzt macht. Sie tritt ab und lächelt sogar, als die sichtlich mitgenommene Kanzlerin an ihrer Seite sie lobt, als wolle sie einer neuen Ministerin den Weg ins Amt ebnen.

 

Wie soll man zurückblicken auf diese Karriere? Soll man es überhaupt tun? Doch gerade bei ihr lohnt es sich, noch einmal den Bogen zu spannen und die Zeit in den Blick zu nehmen, seit sie im Mai 1995 in Stuttgart an der Seite des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel die große politische Bühne betrat. Eine Bühne, die sie aus freien Stücken nicht verlassen hätte, wenn nicht gravierende Fehler in ihrer Doktorarbeit sie dazu gezwungen hätten.

Annette Schavan muss gehen. Nicht nur, weil ihre Partei und ihre Freundin, die Kanzlerin, die Belastung nicht tragen wollen, mit einer von ihrer Universität des Plagiats überführten Forschungsministerin in den Wahlkampf zu ziehen. Tatsächlich kann sie nach dem Titelentzug die Aufgaben in diesem Ressort nicht mehr erfüllen. Hinzu kommt, dass sie wie jeder Bürger zwar das Recht hat, gegen die Entscheidung zu klagen; als Ministerin aber gerät sie damit in Konflikt mit der Forschungsfreiheit, die zu hüten doch ihre Aufgaben ist.

Vorreiterin für das achtjährige Gymnasium

So unausweichlich der Rücktritt war, so brutal ist der Absturz, der den Schlusspunkt einer außergewöhnlichen und gerade vom Ende her in neuem Licht erscheinenden Politikerkarriere markiert. Annette Schavans Geschichte ist eine mit vielen Superlativen. Das fängt damit an, dass sie in sechs Kabinetten saß. Fast 18 Jahre lang hat sie, zunächst als Kultusministerin in Baden-Württemberg, dann auch als CDU-Vizechefin und seit 2005 als Bundesforschungsministerin, Schul- und Wissenschaftspolitik betrieben. Das macht sie zu einem Solitär. Es gibt keinen Politiker in Deutschland, der ein einzelnes Themenfeld so lange aus Spitzenpositionen heraus prägen konnte. Und Annette Schavan hat ihre Chance genutzt, seit Erwin Teufel die damals 39-Jährige aus dem rheinischen Neuss zur Überraschung aller Partner und Gegner zur Kultusministerin machte.

Manches ist vergessen, manches wird heute kritisch gesehen, und zudem ist der erste Teil ihrer Karriere strahlender verlaufen als der zweite. Aber als Kultusministerin hat Schavan ehrgeizig, beherzt und konsequent Innovationen auf den Weg gebracht, die bundesweit Schule machten.

Sie war Vorreiterin, als sie das achtjährige Gymnasium im Südwesten einführte. Sie hat als erste die Leistungskurse in der Oberstufe abgeschafft und Kernfächer wieder eingeführt. Sie hat, als es noch eine Illusion zu sein schien, ein Zentralabitur für ganz Deutschland angeregt; heute gibt es länderübergreifende Absprachen über gemeinsame Abituraufgaben. Auch Schavan ist zu verdanken, dass die baden-württembergischen Schüler bei den Pisa-Tests anfangs sehr und später immer noch ziemlich gut abgeschnitten haben. Sie hat erreicht, dass Jahr um Jahr neue Lehrer eingestellt wurden, als die Schülerzahlen längst im Sinkflug waren. Sie hat der Muslimin Fereshda Ludin, die auf ihrem Kopftuch bestand, ihr Referendariat gestattet, sie aber nicht in den Schuldienst übernommen.

Etat von 7,6 auf 13,7 Milliarden Euro gesteigert

Schavan ist die Architektin von Angela Merkels groß ausgerufener Bildungsrepublik. Man kann darüber streiten, ob das Projekt schon wegen der Eurorettung unterging oder ob es zerrieben wurde, weil es auch Merkels Bildungs-Sherpa nicht gelang, die auseinander strebenden Interessen von Bund und Ländern zusammen zu bringen. Schavans größte Leistung als Forschungsministerin bemisst sich in Geld. 2005 hat sie einen Etat mit 7,6 Milliarden Euro übernommen. 2013 stehen 13,7 Milliarden Euro in den Büchern. Es ist zu bezweifeln, dass die Forschungsorganisationen jemals zuvor in der bundesrepublikanischen Geschichte so goldene Zeiten erlebt haben. Es gab zwar einen Milliardenpakt für die Hochschulen; aber man kann trotzdem der Ansicht sein, dass ein größerer Teil der Zuwächse an die Universitäten oder sogar an die Schulen hätte fließen müssen. Der Föderalismus steht dem entgegen, das ist wahr. Aber es hätte Annette Schavan gut angestanden, die Kreativität und den Ehrgeiz, mit denen sie früher Schulreformen durchboxte, auch auf die Suche nach dem Königsweg zu einer adäquaten Finanzausstattung der Länder unter Achtung ihrer Bildungshoheit zu verwenden.

Misserfolge gab es natürlich auch: Französisch wurde nicht erste Fremdsprache an der Rheinschiene. Der Islamunterricht kam nicht voran. Die Bedeutung der Ganztagsschule erkannte sie zu spät. Hightechstrategie und Deutschlandstipendien entfalteten nicht die gewünschte Wirkung. In der Zeit, als Annette Schavan wie keine Zweite die Bildungsprogrammatik der CDU prägte, war die Union im Aufbruch und drehte mit der Einführung von Studiengebühren und der Verkürzung der Gymnasialzeit große Räder. Aber dem Aufbruch folgte ein Niedergang; unterdessen sind diese Projekte fast wieder in der Rückabwicklung. Trotz der Pisa-Erfolge unionsregierter Länder geriet die CDU mit ihrer Bildungspolitik ins Hintertreffen.

Politik immer von oben gemacht

Als Wissenschaftsministerin in Berlin schaffte Annette Schavan es zu selten, ihre Initiativen ins Scheinwerferlicht zu bugsieren. Nun ist die Vermarktung der sperrigen Forschungsthemen generell ein hartes Brot. Aber Schavan ist eben auch eine spröde, eisern sachorientierte und gewissenhafte Person, der weder das Seichte und Leichte, noch das Populistische und Laute liegen. Es hat sie lange gewurmt, dass ihr der öffentliche Lorbeer für ihre Politik versagt blieb. Auch ihre Parteifreunde nahmen eher achselzuckend zur Kenntnis, dass Forschungspolitik eben auch gemacht wurde. Das Schulterklopfen für sie blieb aus. Aber vielleicht hat sie irgendwann die Einsicht eines Vertrauten übernommen, der einmal über sie sagte, dass ein Mercedes nun einmal ein Mercedes und kein Ferrari sei.

Annette Schavan hat immer Politik von oben gemacht. Ihre Loyalität ist so unverbrüchlich wie selektiv. Ihre Macht bezog sie zu Erwin Teufels wie zu Angela Merkels Zeiten aus einem festen Bund mit ihrem Chef. Als Aufsteigerin aus einer katholischen Mittelschichtsfamilie waren Bildung und Religion ihr seit je Herzensthema. Gescheit, gebildet, beharrlich und ein wenig abgehoben – so stieg sie auf, wurde Dauerministerin, reifte zur Verkörperung des Katholischen in der Union, stand für Werteorientierung und Solidität in einer Zeit, in der die Verpackung in der Politik nicht eben selten mehr zählt als der Inhalt.

Aber auch das wäre wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, wenn ihre Welt sich nicht fundamental verändert hätte, seitdem im Mai 2012 die Plagiatsvorwürfe zu ihrer Dissertation öffentlich wurden. Das hätte sich der zynische Autor einer rabenschwarzen Komödie nicht grausamer ausdenken können: ausgerechnet die Forschungsministerin, die Vorzeigekatholikin, die Inkorporation des Seriösen und multiple Ehrendoktorin eine Plagiatorin? Homerisches Gelächter und eine gnadenlose Hatz von Medien und Opposition wären die übliche Reaktion auf diesen Vorwurf gewesen. So lief die Skandaldynamik in den vergangenen Jahren immer – bei Wulff, bei Guttenberg und anderen. Ist ein Anfangsverdacht erst einmal da, finden sich Indizien, die ihn stützen, dann gibt es bis zum Sturz kein Halten. Verdachtsmomente reichen, um als scharfe Munition im politischen Meinungskampf benutzt zu werden.

Die Lebensleistung wird bleiben

Ausgerechnet bei Annette Schavan war das anders. Neun Monate schwebte des Verfahren – und die Unschuldsvermutung hielt! Manchen wiegt der Glauben an ihre Integrität noch jetzt stärker als das klare und harsche Urteil über systematische Täuschungen von der zuständigen Universität. Noch nach dem Titelentzug, kamen die Rücktrittsforderungen der Opposition verhalten daher. Wann je hätte man den SPD-Chef Sigmar Gabriel sagen hören, es tue ihm leid um einen gestürzten Spitzenpolitiker von der Konkurrenz? Erst in ihrer Krise erfährt die unter ihrer Unscheinbarkeit Leidende, wie sehr ihre Seriosität, Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit Eindruck gemacht haben. Es ist Teil einer Lebensleistung, die bleiben wird, dass gerade die spröden Moralistin bei ihrem Sturz der Skandalisierungsmaschinerie des heutigen Polit- und Medienbetriebs ein Innehalten abzwingen konnte.

Man muss es sich ins Gedächtnis zurückrufen: Guttenberg war 13 Tage nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe nicht mehr Minister – die Universität entzog ihm den Doktortitel erst drei Monate später. Bundespräsident Wulff war zwei Monate,, nachdem die Lawine wegen des Privatkredits für sein Haus ins Rollen kam, Geschichte – und die Staatsanwaltschaft hat heute noch nicht entschieden, ob Anklage gegen ihn erhoben wird.

Dabei hat Annette Schavan nicht nur vor 33 Jahren in ihrer Doktorarbeit sondern auch im Umgang mit den Vorwürfen Fehler gemacht. Sie hat der Universität Düsseldorf einen Maulkorb verpasst und angekündigt zu schweigen – und dieses Schweigen trotzdem zwar selten, aber mit prägnanten Stellungnahmen gebrochen. Nie hätte sie sagen dürfen, sie sei es „der Wissenschaft“ schuldig, gegen die Plagiatsvorwürfe zu kämpfen; der Satz verrät, dass ihr berechtigtes akademisches Selbstbewusstsein zur Hybris geronnen war.

Annette Schavan ist ein Pflichtenmensch. Deshalb tritt sie ab. Aber der schwierigste Schritt steht ihr noch bevor. Sie wird ihn gehen, wenn die Kameras abgeschaltet sind und die Karawane weitergezogen ist. Dann wird die Akademikerin noch einmal vor sich selbst treten und sich ihrer Doktorarbeit wegen einem privaten Rigorosum unterziehen. Wenn sie den Tunnbelblick der vergangenen Monate abgelegt hat, wird Annette Schavan anerkennen, dass in Examina nun einmal die Prüfer entscheiden, während dem Prüfling jedwede Deutungshoheit abgeht. Annette Schavan wird daran festhalten, dass sie damals ehrlich eine wissenschaftliche Qualifikation erwerben und nicht täuschen wollte. Aber sie wird sich eingestehen, dass sie nicht präzise genug gearbeitet hat. Ihre intellektuelle Redlichkeit und ihr Hang zur Rechthaberei werden einen Kampf ausfechten. So wie man Annette Schavan in ihrer langen Laufbahn kennengelernt hat, gibt es keinen Zweifel, wer diesen inneren Kampf am Ende entscheiden wird.