Wie entwickelte sich der moderne Mensch aus den kletternden Affen? Die Knochen der Frühmenschen-Art Australopithecus sediba, die in Südafrika gefunden und nun genauer analysiert worden sind, geben einen Einblick in die Frühgeschichte des Menschen.

Stuttgart - Den Gedanken, der moderne Mensch habe sich zielstrebig von einem kletternden Vorfahren aus dem Kronendach des Regenwaldes zu einem Dauerläufer in den Savannen Afrikas entwickelt, können Forscher getrost zurückweisen. Den Sargnagel für diese Überlegung liefert eine Australopithecus sediba genannte Frühmenschenart, die vor knapp zwei Millionen Jahren 40 Kilometer von der heutigen Stadt Johannesburg entfernt im Süden Afrikas unterwegs war.

 

Diese 1,30 Meter großen Wesen hatten einen für Vormenschen bisher unbekannten Laufstil auf zwei Beinen entwickelt, zeigen Jeremy De Silva von der Universität Boston und Bernhard Zipfel von der Universität in Witwatersrand in Südafrika in der Fachzeitschrift „Science“. Zudem ähnelt Australopithecus sediba einem Mosaik aus Teilen, die sowohl an einen modernen Menschen erinnern als auch an seine Vorfahren, die in den Wipfeln der Bäume zuhause waren. Das demonstriert ein Team um den Entdecker dieser Fossilien Lee Berger von der Universität in Witwatersrand in fünf weiteren „Science“-Artikeln.

Die Forschungsgeschichte begann am 15. August 2008, als der damals neunjährige Matthew Berger seinem Vater Lee ein Schlüsselbein brachte. Es stammte von einem Frühmenschen, der vor recht genau 1,977 Millionen Jahren in die Malapa-Höhle in der Umgebung von Johannesburg gestürzt war. Sehr rasch danach versteinerten seine Überreste im Sediment eines Höhlensees. „Dadurch blieben die Knochen des Skeletts des Individuums dicht beieinander liegen“, erklärt Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main.

Klettern und laufen – beides kein Problem

Genau das ist die eigentliche Sensation: Normalerweise finden Forscher nur wenige Knochen von Frühmenschen, häufig handelt es sich um Schädel, Kiefer und Zähne. In diesem Fall entdeckte das Team um Lee Berger die Überreste von mindestens fünf Individuen. Eine weitere Sensation sind eine ganze Reihe von Knochen verschiedener Körperpartien, die sonst kaum erhalten bleiben. So konnte Peter Schmid von der Universität Zürich die Rippen genau studieren. Sie umhüllten einen Brustkorb, der dem zylinderförmigen Oberkörper eines modernen Menschen kaum und der schmaleren Brust eines Menschenaffen stark ähnelten. Auch die Schulterpartie ähnelt eher Menschenaffen als Großstadtmenschen. „Ein ähnlich guter Langstreckenläufer wie moderne Menschen war Australopithecus sediba daher kaum“, sagt Kullmer. Dieses Wesen konnte seine Arme beim Laufen nicht wie der Mensch nach vorne und hinten schwingen und verzichtete so auf diese Energie sparende Stabilisierung seines Gangs.

Wer zwischen zwei Welten lebt und sich im Geäst und am Boden ähnlich gut fortbewegen will, muss anscheinend solche Kompromisse eingehen. Als Bernhard Zipfel die Fußknochen von Australopithecus sediba untersuchte, entdeckte er eine Ferse, mit der das Wesen gut klettern konnte. Das als Stoßdämpfer wichtige Fußgewölbe aber ist deutlich flacher als beim Menschen. „Beim Auftreten legte sich der Fuß daher flach auf den Boden und das gesamte Bein drehte sich bis zur Hüfte viel stärker als beim modernen Menschen nach innen“, vermutet Zipfel. Dieser Laufstil unterscheidet sich sowohl vom Gang anderer Frühmenschen als auch von heutigen Menschen.

Auch die Hände des Frühmenschen sind ein Mosaik aus Mensch und Affe. Mit ihnen hätte diese Art sowohl recht geschickt mit Werkzeugen hantieren, aber sich auch hervorragend durchs Geäst hangeln können. Der gesamte Rest des Armes aber war für einen Baumkletterer konzipiert. Eine ganze Reihe weiterer Eigenschaften zeigt schließlich, dass Australopithecus sediba etliches aus der Welt der Affen und der Menschen in einem Körper vereinigte. „Der Weg zum modernen Menschen war also viel komplizierter, als wir uns das einst gedacht hatten“, fasst Kullmer zusammen. „So ähneln einige Knochen von Australopithecus sediba verblüffend denen eines Baumbewohners vor fünf Millionen Jahren, während andere sich praktisch nicht von denen eines Menschen im 21. Jahrhundert unterscheiden“, ergänzt der südafrikanische Forscher Bernhard Zipfel.