Wissenschaftler raten zu einem vorsichtigen Umgang mit Antibiotika, denn es gibt immer mehr resistente Keime. Noch fehlen neue Substanzen. Daher sollte mehr Geld in die Forschung investiert werden, meinen Experten.

Stuttgart - Es gehört mittlerweile zum klinischen Alltag, dass man sich um Patienten sorgen muss, die an einer lebensgefährlichen Infektion leiden, obwohl sie eigentlich aus einem ganz anderen Grund in ein Krankenhaus eingeliefert wurden. Wegen lebensgefährlicher multiresistenter Bakterien müssen in Kliniken immer wieder Stationen geschlossen werden: So starben etwa im Bremer Klinikum drei Frühchen an einem multiresistenten Keim namens ESBL, und im Krankenhaus Heilbronn brachte ein Bakterienstamm mit dem Namen Acinetobacter baumannii den Betrieb fast komplett zum Erliegen.

 

Multiresistente Keime bereiten Medizinern schon seit vielen Jahren Kopfzerbrechen. Nun haben sich auch Experten der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina diesem Problem angenommen. „Zum einen gibt es immer mehr resistente Erreger, sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin. Zum anderen hat die Zahl der Neuentwicklungen seit den siebziger Jahren kontinuierlich abgenommen“, begründen die Wissenschaftler die Dringlichkeit des Problems. In ihrem Bericht empfehlen sie einerseits mehr Forschung auf der Suche nach neuen Wirkstoffen und eine effektive und schnelle Umsetzung in die Praxis. Zum anderen sollte der Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin und im Pflanzenschutz eingeschränkt werden: Denn resistente Keime können von Tieren und Pflanzen auf den Menschen übertragen werden.

Die Liste der resistenten Keime wird immer länger

Es ist nicht einfach, multiresistenten Bakterien den Garaus zu machen. Multiresistent bedeutet, dass die Erreger mit gängigen Medikamenten nicht mehr bekämpft werden können. Sie sprechen auf die jahrzehntelang als Allzweckwaffen eingesetzten Mittel, die Antibiotika, nicht mehr an. Diese Resistenzen können sich rasant ausbreiten, wie etwa Staphylococcus aureus zeigt, ein normalerweise harmloser Bewohner der menschlichen Schleimhäute. Zu Beginn der neunziger Jahre konnten diese Erreger noch mit dem Antibiotikum Methicillin behandelt werden. Doch inzwischen haben sich widerstandsfähige Bakterienstämme entwickelt: Man nennt sie MRSA, Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus.

Diese Bakterien werden durch Methicillin nicht abgetötet. Mittlerweile können sich die Bakterien auch gegen andere Mittel wie Cephalosporine oder Penizilline wehren, daher sprechen manche Experten umgangssprachlich von multiresistenten Staphylokokken. Die Resistenzen sind problematisch, da diese Mittel bei Staphylokokken als Standardtherapie eingesetzt werden. Es gibt zwar noch sogenannte Antibiotika der zweiten oder dritten Generation als Notlösung, doch sollten sich gegen diese Substanzen ebenfalls Resistenzen bilden, stünde man vor einem fast unlösbaren Problem. Die Liste der resistenten Keime wird immer länger.

Neue Substanzen sind uninteressant

Lange Zeit dachte man, dass man mit der medizinischen Wunderwaffe Antibiotika die Infektionskrankheiten im Griff haben würde. Viele Pharmafirmen interessierten sich daher nicht mehr für derartige Substanzen. Und obwohl Antibiotika zu den weltweit am häufigsten verschriebenen Medikamenten gehören, lohnt sich die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs nicht sonderlich. Arzneien gegen chronische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Leiden oder Krebs versprechen mehr Gewinn. Außerdem würde man eine Neuentwicklung zurückhalten, damit sie im Notfall eingesetzt werden könnte.

Doch auch mit finanziellem Anreiz wird die Suche nach neuen Medikamenten gegen Bakterien schwierig. Oft ist die Evolution schneller als die Entwicklung eines Mittels. Bakterien können sich sehr schnell veränderten Umweltbedingungen anpassen und vermehren sich mit diesen Veränderungen rasend schnell. Die Bakterien arrangieren sich mit antibiotisch wirkenden Substanzen: Sie schützen sich mit dicken Außenhüllen, pumpen die Wirkstoffe aus dem Inneren der Zelle wieder hinaus oder zerstören sie gleich vor Ort. Hat man sich einen resistenten Keim eingehandelt, wird man ihn kaum wieder los.

Momentan gibt es noch keine neuen Antibiotika. Man ist auf die vorhandenen, noch wirksamen angewiesen. Es ist daher fahrlässig, da sind sich Bakteriologen einig, dass diese Mittel ständig und unüberlegt verordnet werden, sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin. In ihrem aktuellen Bericht raten die Experten deshalb auch: „Antibiotika sollten basierend auf den Ergebnissen von Resistenztests eingesetzt werden.“