Shopping für Fortgeschrittene: Wer will, der kann bei der Antiquariatsmesse in Stuttgart die Heilige Schrift für 850.000 Euro erwerben.

Stuttgart - Wer den mehr als zweihundert Seiten dicken Katalog der diesjährigen Antiquariatsmesse durchblättert, stößt bei fast allen der achtzig Aussteller auf zumeist farbige Abbildungen: von Pflanzen und Tieren, Gebäuden und Landschaften, Illuminationen und Umschlägen, von dekorativen Autografen oder Grafik des 20. Jahrhunderts. Auch die Ufa-Stars blicken einem von einem beinahe ganzseitigen Foto entgegen, aber einmal nicht Schauspielerinnen, sondern die Regisseure, darunter Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau. Die Collage aus Porträts samt kyrillischer Beschriftung und Standfotos war wohl eine Maquette für das russische Avantgarde-Kinomagazin „Teatr-Kino“, entstanden um 1925 wird das Blatt vom Münchner Antiquariat Abeceda für 16.000 Euro angeboten.

 

Bücher und Grafik des zwanzigsten Jahrhunderts sind inzwischen neben den altehrwürdigen Kostbarkeiten gut vertreten, das jüngste Werk ist vermutlich ein Buchstabenmärchen der Buchkünstlerin Claudia Grasse von 2011, das bei Sabine Keune zwischen Andersen, Brentano und Grimm gerutscht ist. Die Duisburger Antiquarin hat auch das vermutlich kleinste Exponat: ein Biedermeier-Nähkästchen mit sechzig Klassikerausgaben im Taschenformat und 99 teils umwickelten Garnrollen. Das dekorative Stück kostet 3600 Euro.

Bologneser Prachtbibel für Karmeliter

Um bei den Besonderheiten zu bleiben, will heißen bei den hochpreisigen Spitzentiteln: Das teuerste Teil bringt wieder einmal Heribert Tenschert, eine Bologneser Prachtbibel für Karmeliter, um 1300/1310 von Magister Cabrinus aus Cremona geschrieben und signiert, in der Werkstatt von Jacopino da Reggio aufwendig illuminiert und mit Blattgold versehen. Kostenpunkt: 850 000 Euro. Eine nur wenige Jahrzehnte jüngere, in Südfrankreich entstandene Pergamenthandschrift, Bernard de Gordons Texte zur Medizin, bietet Inlibris für 185 000 Euro an, am selben Stand kann man Manuskripte der Droste und Günderode, von Karl Kraus und Lichtenberg bewundern und für fünfstellige Summen erstehen. Ein Unikat mit ungewöhnlicher Geschichte findet sich bei Fons Blavus, McPhersons „Ossian“ aus dem Besitz von Napoleon I., in goldgeprägtem, rotem Maroquin im entsprechenden Schuber, aber scheinbar ohne die Gebrauchsspuren, die man bei einem auf den Kriegszügen mitgeschleppten und viel gelesenen Buch vermutet (150 000 Euro).

Zwei andere Luxusexemplare in rotem Maroquin aus der Cranach-Presse gibt es bei Herbert Blank und Tusculum: Vergils „Eclogen“ mit Holzschnitten von Aristide Maillol und Initialen von Eric Gill, erschienen 1926 (24 000 Euro); und Shakespeares „Hamlet“ mit Holzschnitten von Edward Gordon Craig, die Graf Kessler 1930 publiziert hat (29 000 Euro).

Karl Marx kann teurer sein als Friedrich Schiller

47 Kupfertafeln und damit quasi alle enthält die Erstausgabe der gesammelten Werke von Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen, die 1683/84 in Nürnberg gedruckt wurde – Wolfgang Braecklein preist sie für 32 000 Euro an. Karl Marx kann teurer sein als Friedrich Schiller: Zwei Manuskriptseiten aus einem seiner Londoner Hefte, ein Exzerpt zu den Funktionen des Geldes kosten bei Kotte Autographs 68 000 Euro, während Schillers Empfehlungsschreiben für Elise Bürger (das „Schwabenmädchen“) an Gottlieb Hufeland bei Stargardt für 16 000 Euro zu haben ist.

Eine hübsche Preziose hat Eberhard Köstler dabei, ein Freundschaftsalbum-Gästebuch des Schriftstellers und Übersetzers Johannes von Guenther, in dem sich dekorativ geschrieben oder gezeichnete unterschiedlichste Persönlichkeiten verewigt haben (12 000 Euro).

Unter den achtzig Ausstellern sind acht neu in Stuttgart: Aus Modena kommt erstmals der Inkunabel-Spezialist Alberto Govi, der die erste italienische Ausgabe von Sebastian Münsters „Kosmographie“, Basel 1558, für 39 000 Euro und einen der größten Atlanten der Renaissance von Gerhard Mercator, gedruckt 1606 in Amsterdam von Jodocus Hondius, für 55 000 Euro anbietet. Bei beiden Werken ist interessant, wie man schon vor einem halben Jahrtausend mit Blick auf einen internationalen Markt produzierte, indem man Übersetzungen der Texte beigab.

Für 59.000 Euro erwerben

Das Antiquariat Adam Bosze aus Budapest bringt Musikalien, aber auch Kataloge einer berühmten Autografensammlung von Heinrich Hinterberger von 1936/37 (560 Euro) und Alessandro Meda Riquier aus London mit Andreas Vesalius’ „De humani corporis fabrica libri septem“ ein mit zweihundert Holzschnitten illustriertes Werk der frühen Anatomie, 1555 in Basel von Johannes Oporinus gedruckt und für 59 000 Euro zu erwerben. Ihren Premierenauftritt im Kunstgebäude haben außerdem fünf Antiquare aus Deutschland: Dasa Pahor aus München, der Porträts und Grafik, etwa von Maria Sybilla Merian im Angebot hat; aus Berlin Winfried Kuhn mit Exponaten zur Medizin des 16. und 17. Jahrhunderts, Elvira Tasbach mit einer Sammlung von 32 Zeichnungen von Militärflugzeugen, die Ernst Udet zwischen 1917 und 1941 angefertigt hat (30 000 Euro), das Rote Antiquariat, dessen teuerstes Exponat Ernst Barlachs in der Pan-Presse von Paul Cassirer 1912 erschienenes Mappenwerk „Der tote Tag“ (15 000 Euro) ist, und Rainer Schlicht mit einer von Richard Wagner gedichteten und geschriebenen „Neuesten Pudel-Ballade“ als Dank für Geburtstagsgeschenke: ein Leopardenfell und – den Pudel „Putz“ (13 800 Euro).

Auch aus Schwaben findet sich das eine oder andere; so hat Franz Siegle zum 150. Todestag von Justinus Kerner eine Reihe seiner Werke im Angebot: Gedichte, Denkwürdigkeiten der Heil- und Geisterkunde sowie eine „Klecksographie“, wie der Dichter-Arzt seine aus einem Tuscheklecks geformten Fabelwesen nannte.