Iuditha Balint leitet neuerdings das Fritz-Hüser-Institut in Dortmund, das sich um Literatur und Kultur der Arbeitswelt kümmert. Nach dem Ende des Bergbaus im Ruhrgebiet schauen auch die Bücher anders aus – jetzt geht es um neue Formen der Arbeit.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Kaue, Kokerei, Stollen, Strecke? Nee, das sagt keiner mehr im Ruhrgebiet, wo kurz vor Weihnachten auch die letzte Vorzeigezeche namens Prosper Haniel abgewickelt wird. Schreibt dann noch mal jemand so was wie Josef Reding in seinem stur klein buchstabierten Gedicht „zwischenstation tresen“? „wenn ich am tresen schluck/und mir die Welt bekuck/dann seh ich se so wie se iss/mal picobello und meistens beschiss.“ Wahrscheinlich nicht. Dafür steht Reding im Regal im FritzHüser-Institut in Dortmund, und vom Fenster aus schaut man auf die Zeche Zollern, ein schönes Bergbaumuseum. Moment: Fritz Hüser?

 

Gruppe 61 und Gruppe 47

Hüser (1908–1979), aufgewachsen in Dortmund-Dorstfeld, hatte in der Gießerei gelernt und einen Faible für Bücher. Von 1945 an baute er für die Stadt die Volksbüchereien auf. Nebenher sammelte er Arbeiterliteratur und gründete, zusammen mit Max von der Grün und Walter Köpping, die „Dortmunder Gruppe 61“. Nicht so berühmt und nicht so hochmögend wie die 47er-Kollegen Günter Grass, Max Frisch oder Peter Weiss, aber als Schnittstelle eine Menge wert.

Allein 30 000 Monografien stehen im 1988 gegründeten Fritz-Hüser-Institut, wo man nachlesen kann, was kein Museum allein vermittelt: Wie die Gegend das industrielle Rückgrat der jungen Bundesrepublik Deutschland wurde. Und wie sie fertigwurde mit dem, was sie hatte: Probleme des Arbeitslebens, um es mal ganz vorsichtig zu sagen.

Was der Kumpel und seine Familie mit der Literatur anfangen sollten, hat der Arbeiterdichter Gerrit Engelke (1890 bis 1918) erklärt: „Die Kunst hat den einzigen Zweck: den Menschen zu erheben.“ Gerade hier, wo die Leute oft tausend Meter unter Tage steckten. Engelkes Nachlass steht zum Teil im Hüser-Institut. Doch wer denkt, es werde hier nur die Vergangenheit gepflegt, der täuscht sich.

Dann kam der Bär zum Schreiner

Im November hat Iuditha Balint im Haus die Leitung übernommen. Balint ist Schreinertochter aus Siebenbürgen und promovierte 2015 mit einer Arbeit, deren Titel entschieden nach vorne weist: „Erzählte Entgrenzungen. Narrationen von Arbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“ In die Wiege gelegt war ihr das nicht direkt. Bücher gab es bei der Familie Balint keine, und wenn der Vater eine Gutenachtgeschichte erzählte, enthielt sie in einem frühen Stadium regelmäßig die Wendung „Und dann kam der Bär zum Schreiner . . .“, woraufhin der Papa etwas von der Arbeit erzählte, bevor er einschlief, erzählt Iuditha Balint. Vor den Kindern.

Arbeit und Arbeitswelt also waren immer ihr Thema. Deshalb freut sie sich über die „vielen Schätze“, die das Archiv bereithält. Künftig will sie vor allem mit den zahlreichen Vor- und Nachlässen (Max von der Grün) arbeiten, die sie hier findet, ist sich aber auch klar, dass die massiven Änderungen der Arbeitswelt dokumentiert werden wollen: Die Zeit der körperlichen Maloche ist vorbei, aber was ist, fragt Iuditha Balint, „mit den Sekretärinnen und den Menschen in der Verwaltung“? Überhaupt: „Medizin ist Arbeit, Sexarbeit ist Arbeit und Wissenschaft ist selbstverständlich auch Arbeit.“

Pathos eher im HipHop

In der Literatur über Arbeit beobachtet Balint „eine Rückkehr des Dokumentarischen“, zum Beispiel in den Texten von Kathrin Passig, Sascha Lobo oder beim früh verstorbenen Wolfgang Herrndorf. Der Wahrheitsanspruch geht dem literarischen Reiz voraus, der früher häufiger zählte, und auch dem Pathos, das sich in den Texten gerne breitmachte. Manchmal kann man beides heute eher im Hip-Hop finden – und Iuditha Balint hat ein Auge und ein Ohr dafür, was sich da tut vor Ort. „Schaut über euch selbst hinaus“, wünscht sie sich von den Autoren.