Die Archäologen haben vor dem Schweizer Ufer rund 100 Erhebungen im Wasser entdeckt. Sie sind von Menschenhand gemacht, aber deren Zweck erschließt sich den Forschern noch nicht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Uttwil/Langenargen - Stonehenge im Bodensee – so wird ein 16 Kilometer langer Streifen zwischen Romanshorn und Bottighofen mit rund hundert flachen Hügeln im Wasser mittlerweile häufig bezeichnet. Wer immer diesen Namen aufgebracht hat – er erhält den Applaus von Hansjörg Brem, dem zuständigen Archäologen des Schweizer Kantons Thurgau. Allerdings nicht, weil er Bezeichnung für zutreffend hält, denn mit einer Kult- oder Gräberstätte habe der Fund sicherlich nichts zu tun, sagt Brem. Aber Interesse würde man damit wecken, die archäologische Stätte erhielte gar eine gewisse Aura – und dagegen hat Brem rein gar nichts einzuwenden. Allerdings fügt er für alle Esoteriker gleich augenzwinkernd hinzu: „Da wir als Archäologen nur für menschliche Bauwerke zuständig sind, verweise ich für allfällige Klärung außerirdischer Einflüsse auf einschlägige Experten.“

 

Rätselhaft sind diese Bauwerke in der Tat, und auch die Archäologen können sich noch keinen wirklichen Reim darauf machen. Entdeckt wurden die Steinhügel im vergangenen Jahr während des Projektes „Tiefenschärfe“. Drei Jahre lang hatte ein internationales Forscherteam den Grund des Bodensees neu vermessen; die detaillierten Karten zeigen nun die Canyons und Hügel, Flussläufe und Hangrutschungen, die dem menschlichen Auge bislang verborgen geblieben sind. Im vergangenen Winter haben sich dann Taucher bei Uttwil, wo besonders viele Steinhaufen gefunden wurden, aufgemacht, diese Hügel näher zu untersuchen und vor allem die Frage zu klären, ob sie von Menschen errichtet worden sind oder nicht.

Hunderte Kubikmeter Steine

Die „Steinhügli“, das ist auch für Martin Wessels vom Institut für Seenforschung in Langenargen mittlerweile sehr wahrscheinlich, stammen vom Menschen. Die Aufschüttungen haben einen Durchmesser von 15 bis 20 Metern, sind ein bis zwei Meter hoch und beinhalten jeweils mehrere hundert Kubikmeter Steine. „Solche Mengen an Material werden nicht von Wellen und Wind aufgeschüttet“, sagt Wessels. Zudem haben die meisten Steine einer Durchmesser zwischen zehn und 40 Zentimeter.

Es sieht so aus, als sei diese Größe mit Absicht ausgesucht worden. Gefunden wurden bei den Tauchgängen auch einige kleine Holzfragmente, deren Alter jetzt bestimmt werden soll. Richtige Bauhölzer aber kamen nicht zum Vorschein. Und selbst bei den Holzstückchen ist unklar, ob sie überhaupt zu der Konstruktion gehören.

Doch wozu könnten diese Hügel gedient haben die sich etwa 250 Meter vor dem Ufer in etwa acht Metern Tiefe wie eine Perlenkette parallel zum Ufer aufreihen? Zunächst hatten die Forscher die Theorie, dass Schiffe die Steine gezielt verklappten, also Ballast abwarfen, wenn sie diesen nicht mehr benötigten. Doch Nachfragen bei Schifffahrtsunternehmen ergaben dafür keine Anhaltspunkte.

Schweizer Arme unter Verdacht

Dann wurde gerätselt, ob die Schweizer Armee irgendwelche geheimen Aktivitäten im Bodensee unternommen habe, doch diese Vermutung sei nicht mehr zu halten, sagt Hansjörg Brem. Gräber oder eine Kultstätte scheiden wohl deshalb aus, weil das Gebiet nach derzeitigem Wissen seit mindestens 10 000 Jahren kontinuierlich unter Wasser lag.

Die wahrscheinlichste Theorie ist derzeit, dass es sich um einen sogenannten „Treidelweg“ aus der Zeit vor 1850 handelte. An Flüssen und Seen sind Schiffe früher oft von Land aus an langen Seilen gegen die Strömung oder gegen den Wind gezogen worden. Da an dieser Passage bei Uttwil das Ziehen vom Ufer aus vielleicht nicht möglich war, hat man womöglich aus Steinen und Holz – Tannenstämme aus dem Bregenzerwald waren billig, die Steine gab es gratis – einen Weg ins Wasser gebaut, auf dem Menschen oder Pferde die Schiffe ziehen konnten.

Von Plattform zu Plattform

Denkbar ist auch, dass nur einzelne Plattformen im See errichtet wurden, an denen die Seile gut verankert werden konnten; die Männer auf den Schiffen schoben sich und ihr Gefährt dann quasi von Plattform zu Plattform selbst immer weiter vor. „Das war sicher eine langwierige Methode“, sagt Hansjörg Brem, „aber die Menschen hatten Zeit, und fünf Männer konnten auf diese Weise 200 Tonnen bewegen.“ Klare Hinweise auf die Existenz solcher Treidelwege am Schweizer Bodensee-Ufer gab es bisher aber nicht.

Und die vielen „vielleicht“ und „denkbar“ im vorigen Absatz zeigen, dass sich die Forscher selbst nicht sicher sind. „Für mich ist diese Theorie noch nicht zweifelsfrei“, sagt Martin Wessels. Auch Hansjörg Brem räumt ein, dass „alle ein wenig ratlos sind.“ Aufgeben wollen sie aber natürlich nicht. Im Sommer ruhen die Aktivitäten, weil in dieser Zeit zu viele Boote und Menschen auf dem Bodensee unterwegs sind. Im nächsten Winter aber sollen die Taucher des Unternehmens Global Underwater Explorers Switzerland erneut ins Wasser, um einen der Hügel komplett auszugraben. Vielleicht können sie dann Licht ins Dunkel der seltsamen Hügelformationen bringen.

Forschungsobjekt Bodensee

Tiefenschärfe Bei dem mittlerweile abgeschlossenen Forschungsprojekt „Tiefenschärfe“ wurde über drei Jahre hinweg der Bodensee mit einer bis dahin nicht gekannten Genauigkeit vermessen. Während für die Flachwasserzone die Daten über den Seeboden mit Laserhilfe vom Flugzeug aus erfasst wurden, kam ab einer Tiefe von fünf bis acht Metern ein sogenanntes Fächerecholot zum Einsatz, das breit gefächerte Schallwellen zum Seegrund schickt. Die reflektieren Signale liefern die Informationen.

Folgeprojekte Aus dem Tiefenschärfe-Projekt haben sich weitere Forschungsvorhaben ergeben. So wird beim Projekt „Seezeichen“ untersucht, ob Grundwasser in den See gelangt, wozu es bisher kaum Erkenntnisse gibt. Daneben will man erforschen, wie sich Regen- und Flusswasser im See verteilt. Das interdisziplinäre Projekt „Hymobio-Strategie“ will herausfinden, wie sich die Besiedelung der Seeufer auf die Flachwasserzonen auswirkt, etwa im Hinblick auf die Erosion der Unterwasserhänge.