Die ARD setzt die ernsteren Themen am Freitagabend fort: Der Fernsehfilm „Mein Sohn Helen“ erzählt einfühlsam von einem Jungen, der sich als Mädchen fühlt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Du wirst mich nicht verlieren. Versprochen“, sagt Finn zu seinem Vater Tobias, als er ihm eröffnet, ein Jahr in San Francisco verbringen zu wollen. Der verwitwete Koch steht den USA-Plänen erst ablehnend gegenüber, doch als verständnisvoller Vater überwindet er seine Ängste und erfüllt dem Sohn den Wunsch.

 

Finn hält sein Versprechen. Und trotzdem bekommt Tobias seinen Finn nicht zurück: Denn als er ihn nach einem Jahr am Flughafen abholen will, steht ein Mädchen vor ihm, mit geblümtem Rock und langen Haaren. „Ich bin Helen. Finn gibt’s nicht mehr. Das ist keine Verkleidung. Verkleidet war ich die letzten 16 Jahre.“ Finn, großartig gespielt von Jannik Schümann, hat das Auslandsjahr genutzt, um in das Geschlecht hinüberzuwechseln, das er schon als kleines Kind als sein eigentliches empfunden hatte. „Ich war schon immer Transgender“.

Ein Schock für Tobias (Heino Ferch), ein Affront für Freunde, Großeltern, Mitschüler. Trotz der Ablehnung, des Unverständnisses, das Helen entgegenschlägt: Sie ist fest entschlossen, sich auf die geschlechtsangleichende Operation vorzubereiten, der sie sich mit 18 unterziehen will – um endlich aus dem Gefängnis, das ihr Jungenkörper für sie darstellt, auszubrechen. Tobias’ Toleranz wie auch sein Selbstverständnis wird auf eine schwere Probe gestellt, denn er muss nicht nur den Verlust von Finn oder des Bildes, das er von ihm hatte, verkraften, sondern fühlt sich auch von seiner gestorbenen Frau hintergangen. Diese hatte im Gegensatz zu ihm von Finns Gender-Problematik gewusst und ihn bei seiner Identitätsfindung unterstützt.

Schwerer Stoff, leicht bekömmlich serviert

Dass die ARD mit dem Film „Mein Sohn Helen“ das Thema Transgender an diesem Freitagabend auf die Agenda setzt, mag nur auf den ersten Blick überraschen. Denn schon länger ist die ARD im Begriff, die Sehgewohnheiten ihrer Zuschauer umzustellen: Wo freitags früher seichtes, formal überholtes Wohlfühl-Fernsehen stattfand, muten die Programmverantwortlichen und die ARD-Filmfirma Degeto dem Publikum nun immer wieder gesellschaftlich relevante Sujets zu.

Formal sperrig oder düster ist der Film von Gregor Schnitzler und Sarah Schnier aber keineswegs: Er ordnet sich in Sound, Setting und Tonlage klar ins Unterhaltungsfach ein; unübersehbar ist das Bestreben von Regisseur und Autorin, den komplexen Stoff nicht in einem Drama, sondern auf leicht bekömmliche Weise zu vermitteln – ohne dabei freilich oberflächlich sein zu wollen. „Man neigt ja in Deutschland dazu, im Kern dramatische Themen in ihrer ganzen Schwere zu inszenieren“, so der Regisseur Schnitzler, „Ich finde die englische Herangehensweise, tragische Dinge ins Komische zu ziehen, oftmals menschlicher und befreiender.“

So schwankt „Mein Sohn Helen“ zwischen Drama und Komödie ebenso, wie Finn oder Helen zwischen Mann- und Frausein oszilliert. Für diese Gratwanderung zwischen den Geschlechtern findet Schnitzler das eine oder andere symbolträchtige Bild. So sieht man in Auftakt- und Schluss-Szene Füße – erst sind es die von Finn, dann die von Helen – über ein gespanntes Seil balancieren, und vor den Geschlechter-Signets an den Umkleideräumen in der Schule kommt Helen mehrmals ins Grübeln.

Jannik Schüman meistert die Doppelrolle bravourös

Wie Jannik Schümann die Doppelrolle meistert, ist respekteinflößend; sein Verdienst besteht darin, die unumstößliche Gewissheit, eine Frau zu sein, in jeder Filmsekunde aus seinem Blick, seinen Bewegungen sprechen zu lassen. So gelingt es dem Schauspieler, Jahrgang 1992, eben nicht als verkleideter Junge aufzutreten, sondern seine Helen, fern von jeglichen Transvestiten-Klischees, mit weiblicher Natürlichkeit auszustatten. Doch gerade diese Bravourleistung ist zwiespältig: Einerseits erzeugt Schümanns Spiel einen Großteil der Authentizität, die den ganzen Film trägt. Andererseits ist es auch wesentlich für die deutlich positive Grundstimmung verantwortlich, die aber angesichts des konfliktbeladenen Gender-Dilemmas schönfärberisch wirken muss.

Momente der akuten Verzweiflung sind bei Helen rar, und in den wenigen, die gezeigt werden, scheint dem Regisseur und der Autorin die subtile Handhabung ihrer Werkzeuge abhanden zu kommen, etwa dann, wenn Helen, wieder in Finn zurückverwandelt, mit dem Messer in der Hand auf dem Bett sitzt und davor ist, sich selbst zu verstümmeln. Schablonenhaft auch die Nebenfiguren: Die Großeltern sondern angesichts des verwandelten Enkelkindes eine Tirade klischeegetränkter Sätze ab; die Mitschüler münzen ihre Verunsicherung erwartungsgemäß in Mobbing-Aktionen um. Die Stärke des Films liegt hingegen in der nie ins Platte abrutschenden, einfühlsamen Beobachtung der Beziehung zwischen Vater und Sohn; ihre Bindung trägt sie über alle Hürden und Gefühlsschwankungen Tobias’ hinweg. Dies glaubwürdig herauszuarbeiten ist auch Heino Ferchs feinfühliger Darstellung zu verdanken.

Die bedingungslose Liebe zwischen Vater und Kind ist aber auch der Grund für die dramatische Zuspitzung gegen Ende des Films, nachdem das Jugendamt die Einweisung in die Psychiatrie androht.

Doch dann, nach einem Zeitsprung von einem Jahr, schwenkt die Tonlage ins andere Extrem hinüber: Wie im Märchen wird am Ende alles gut. Auf diesen klebrigen Zuckerguss, der die bitteren Töne übertünchen soll, hätte man als Zuschauer gut und gerne verzichtet.