ARD-Serie als Science-Fiction „Charité“ und die schrecklich-schöne Medizin von morgen

Medizin von morgen: In der vierten Staffel wagt die Krankenhausserie „Charité“ einen Blick in das Jahr 2049. Foto: ARD/MDR/BDA/Benno Kraehahn

Zwischen Krebsimpfungen, Klimawandel und Polygamie: „Charité“ ist in der Zukunft angekommen. Am 9. Oktober startet die vierte Staffel der Erfolgsserie im Ersten. Lohnt sich das Einschalten?

Wir schreiben das Jahr 2049. Die Folgen des Klimawandels sind drastisch, sommerliche Temperaturen von 40 Grad sind selbst in Berlin ganz normal. Aber es gibt auch gute Nachrichten, zum Beispiel eine Impfung gegen Krebs. Weil der Staat nach wie vor sparen muss und die Gesundheitskosten enorme Höhen erreicht haben, ist das System reformiert worden: Behandelt wird nur, wer auf regelmäßige Bewegung achtet, sich gesund ernährt und brav zur Vorsorge geht. Alle anderen, also vor allem die sozial Schwächeren, fallen durchs Raster.

 

Faszinierende Serienfortsetzung

Der Operationssaal der Zukunft Foto: ARD/Armanda Claro

Schöne neue Welt? Entsprechende Ansätze gibt es schon heute, und auch sonst ist der utopische Entwurf, wie er sich in der vierten Staffel der im Jahr 2017 gestarteten Serie „Charité“ darbietet, gar nicht so weit von unserem Alltag entfernt. Einige Dinge haben sich geändert, Polygamie zum Beispiel scheint ganz normal zu ein, aber Beziehungen sind den gleichen Belastungen ausgesetzt wie heute.

Der Trailer zu „Charité 4“

Die Idee, die neuen Folgen in der Zukunft anzusiedeln, ist gleichermaßen faszinierend wie verblüffend; Staffel drei spielte zur Zeit des Mauerbaus. Der optische Aufwand ist ähnlich groß wie bei den historischen Erzählungen, doch diesmal standen Kostüm- und Szenenbild vor der Herausforderung, einen Look zu entwerfen, der sichtbar futuristisch, aber nicht Science Fiction ist; 25 Jahre sind ein vergleichsweise überschaubarer Zeitraum. Der medizinische Fortschritt allerdings ist enorm, und das ist angesichts der exponentiellen Entwicklung allein in digitaler Hinsicht durchaus realistisch. Entsprechend groß ist der Einfluss künstlicher Intelligenz auf die Arbeit in der berühmten Klinik: Operationen finden nicht mehr im direkten Kontakt mit dem menschlichen Körper, sondern virtuell statt, den Rest besorgt die Medizinrobotik; Ersatzorgane kommen aus dem 3-D-Drucker.

Uralte Bakterien aus geschmolzenen Gletschern

Klug hat das Drehbuchteam auch die ökologischen Bedingungen integriert: Geschmolzene Gletscher setzen uralte Bakterien frei, denen die Menschheit zuletzt in der Steinzeit ausgesetzt war. Bio-Informatikerin Maral Safadi (Sesede Terziyan), eine Koryphäe in der Erforschung des Mikrobioms im menschlichen Körper, wird als neue Leiterin des Charité-Instituts für Mikrobiologie gleich mit einer existenziellen Herausforderung konfrontiert, als zwei scheinbar unheilbare Fälle eingeliefert werden. Weil der Krankheitserreger gegen alle Antibiotika resistent ist, setzt sich Maral einem lebensgefährlichen Selbstversuch aus. Derweil testet Ehefrau Julia (Angelina Häntsch) als Gynäkologin eine revolutionäre Methode, um das ungeborene Baby einer Frau, deren Körper mit Mikroplastik vergiftet ist, zu retten.

Geschickt kombinieren die Autorinnen Tanja Bubbel und Rebecca Martin die beruflichen Aufgaben mit privaten Problemen: Der Sohn des Paars meldet sich freiwillig zur Europäischen Eingreiftruppe, um für die Demokratie zu kämpfen. Julia ist entsetzt. Ein implantierter Chip, fürchtet sie, werde ihn zur Kampfmaschine machen. Dass die Ehe heftig kriselt, liegt jedoch vor allem an Marals Fixierung auf ihre Forschung. Eine weitere Hauptfigur ist der Leiter der Neurotechnologie (Timur Isik), der sich mit seinen in ihren bewegungslosen Körper eingesperrten „Locked in“-Patienten in einer virtuellen Realität trifft. In einer der bewegendsten Szenen lässt er ein Kind nochmals ein traumatisches Ereignis durchleben.

Ohne Vorsorge keine Behandlung

Marals Mutter (Adriana Altaras) operiert derweil in einem stillgelegten Trakt heimlich Menschen, für die das Gesundheitssystem angeblich keine Kapazitäten mehr hat; darunter ihr Ex-Mann (Jan-Gregor Kremp), der nie zur Vorsorge gegangen ist und an Leberkrebs sterben wird.

Auch dank der Umsetzung durch die Regisseurin Esther Bialas sind die einzelnen Episoden sehr fesselnd. Gerade die Abschlussfolge, wenn das Netzwerk ausfällt, ist enorm spannend, und das nicht nur, weil die beiden Ärztinnen wie in allen „Medicals“ um das Leben ihrer Schutzbefohlenen kämpfen. Als der Gesundheitsminister (Hyun Wanner), gegen dessen Reform vor dem Krankenhaus tagtäglich heftig protestiert wird, ein neues Herz bekommen soll, legt ein Hacker die Stromversorgung lahm.

Portugal ist das Deutschland der Zukunft

Sehr interessant sind zudem die technische und die ästhetische Ebene. Ein Clip im Ohr sorgt für reibungslose Kommunikation in unterschiedlichen Sprachen, Unterhaltungen werden per Hologramm geführt. Die beigefarbene Kleidung ist zweckmäßig und luftig; einzig die in ihren Entscheidungen recht rigorose Klinikchefin (Jenny Schily) tritt stets in Rot auf. Die exotische Umgebung passt ebenfalls: Gedreht wurde in Portugal, weil in 25 Jahren die Natur hierzulande vermutlich anders aussehen wird als heute.

Die Krankenhaus-Serie „Charité und der Thementag „Medizin von morgen“ im Ersten

Serie
 Die ARD-Fernsehserie „Charité“ erzählt seit 2017 die Geschichte der Berliner Charité, die eines der bekanntesten Krankenhäuser der Welt ist. Die erste Staffel spielt im späten 19. Jahrhundert, die, die zweite Ende des 2. Weltkriegs, die dritte beginnt kurz vor dem Mauerbau im Jahr 1961. Die vierte Staffel, die nun in der Zukunft spielt, ist ab 9. April in Doppelfolgen im Ersten zu sehen. Alle vier Staffeln der Serie „Charité“ sind bereits komplett in der ARD Mediathek abrufbar.

Thementag
 Organe aus dem 3-D-Drucker? Telemedizin? KI? Roboter? Begleitend zum Auftakt der neuen „Charité“-Staffel widmet sich das Erste am 9. April bei einem Thementag der „Medizin von morgen“.

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