Die für Unterhaltungsprogramm zuständige ARD-Tochter Degeto will langsam aber sicher weg vom Schmonzetten-Image. Von der Aufbruchstimmung soll vor allem das Publikum profitieren.

Stuttgart - Im Sommer 2000 begann ein düsteres Kapitel in der Geschichte des Ersten Deutschen Fernsehens. In den Jahren zuvor hatte die ARD erhebliche Zuschauerverluste hinnehmen müssen. Nun reagierte sie mit einem „Optimierungspapier“. Das Konzept sah unter anderem vor, dass die ARD-Tochter Degeto nur noch „spannend, heiter-komisch oder emotional anrührend erzählte, alltagsnahe Geschichten“ in Auftrag geben sollte. „Süßstoff-Offensive“ giftete die „Süddeutsche Zeitung“, und „Die Zeit“ diffamierte die ARD-Intendanten als „Quoten-Idioten“. Der Freitagstermin im Ersten war fortan anspruchslosen Schmonzetten vorbehalten.

 

Damit ist nun zwar nicht endgültig Schluss, weil der Übergang nicht allzu abrupt ablaufen soll, aber die Tendenz ist unübersehbar: Es tut sich was am Freitagabend. Der Beginn des Umschwungs war schon im Winter erkennbar, als die ARD die Demenzkomödie „Nichts für Feiglinge“ ausstrahlte. Der kürzlich gezeigte Bodenseefilm „Die Fischerin“, der komplett auf die zu erwartenden Urlaubsbilder verzichtete, steht ebenso für die neue Philosophie der Degeto wie die beiden letzten Premieren vor der Sommerpause.

„Die Kraft, die du mir gibst“ (heute Abend, 20.15 Uhr) ist ein glaubwürdig erzähltes Drama mit Tanja Wedhorn als frisch promovierte Molekularbiologin, die ihre neue Stelle antritt, als sich ihr Mann ausgerechnet im Krankenhaus ihres neuen Arbeitgebers mit gefährlichen Keimen infiziert. „Wir tun es für Geld“ (27. Juni) wiederum ist eine wunderbar gespielte Komödie mit Florian Lukas und Diana Amft als Ex-Pärchen, das aus steuerlichen Gründen eine Zweckehe eingeht. Auf beide Filme trifft zu, was die Degeto-Geschäftsführerin Christine Strobl als neue Leitlinie ausgibt: „Wir wollen mit Themen und Konflikten aus der Lebenswirklichkeit der Zuschauer origineller, wahrhaftiger und auch relevanter werden, als das in der Vergangenheit oft der Fall war.“

Die Filme wirken frischer

In der Produzentenlandschaft findet der frische Wind, für den die frühere Fernsehfilmchefin des SWR seit 2012 sorgt, rundum Zustimmung. Begrüßt wird vor allem die thematische Öffnung. „Eine reine ‚Boy meets Girl‘-Geschichte, die sich auf den Malediven zuträgt, brauchen wir heute gar nicht mehr vorzuschlagen“, sagt Bea Schmidt (Bavaria). Für die Produzenten sei das eine gute Nachricht, „denn wir können vielfältigere Stoffe mit tiefgründigen Figuren anbieten“. Früher, ergänzt Claudia Krebs (Krebs & Krappen, Hamburg), „waren am Freitagabend in der Regel Liebesfilme gefragt, heute kann man auch andere Beziehungsgeschichten erzählen und Themen von gesellschaftlicher Relevanz bearbeiten“. Krebs’ Kompagnon Volker Krappen, der das Drehbuch zu „Kleine Schiffe“ geschrieben hat, spricht gar von „Aufbruchstimmung“.

Die Inhaltsangaben der neuen Degeto-Filme mögen mitunter nach wie vor klassisch klingen, doch der Unterschied liegt laut Schmidt im Detail: „Die Auflösung der Konflikte entspricht überhaupt nicht mehr der konventionellen Form, die Handlung resultiert viel stärker aus inneren Beweggründen. Das war bei der Degeto nicht immer gewünscht.“ Auch optisch sind Veränderungen zu erkennen, selbst wenn Strobl betont, sie halte nichts von stilistischen Vorgaben: „Nur um ein jüngeres Publikum zu erreichen, werden wir keinen forcierten Schnittrhythmus vorgeben. Jeder Film hat seine eigene Erzählhaltung, zu der die jeweils passenden stilistischen Mittel gefunden werden müssen.“

Trotzdem wirken viele Filme frischer. „Man darf auch mal auf ungewöhnliche Erzählelemente zurückgreifen“, bestätigt Krappen. Bea Schmidt führt als Beleg das von ihr produzierte Drama „Die Fischerin“ an: „Die Bilder vermitteln keine schön gefärbte Bilderbuch-Atmosphäre. Statt des Sonnenscheins hängt dichter Nebel über dem See. Aber gerade deshalb haben die Aufnahmen eine hohe Intensität.“ Außerdem sei das Spektrum der Darsteller deutlich größer geworden. Die Titelrolle der Bavaria-Produktion spielt Alwara Höfels. Sie wäre laut Schmidt als Hauptdarstellerin „vor drei Jahren völlig undenkbar gewesen, weil sie der Zielgruppe des Sendeplatzes nicht bekannt genug war. Damals gab es maximal ein Dutzend Schauspieler pro Geschlecht, die wir besetzen durften.“

Realitätsferne gibt es nicht mehr

Die Produzenten verweisen zwar darauf, dass die ARD freitags immer auch mal anspruchsvolle Filme gezeigt habe, aber mittlerweile, sagt Iris Kiefer (Filmpool), könne man „offen über Stoffe sprechen, die vor Kurzem noch undenkbar gewesen wären“. Hauptfigur eines Filmpool-Projekts ist ein 70-jähriger Mann, der seiner Familie gesteht, homosexuell zu sein. Der nächste Film von Krebs & Krappen wird von einem männlichen und einem weiblichen Paar mit Kinderwunsch erzählen. „Noch vor gar nicht langer Zeit wären die Figuren von ihrer Homosexualität ‚geheilt‘ worden und hätten am Schluss über Kreuz zueinandergefunden“, sagt Krappen. „Aber diese Art von Realitätsferne gibt es in unserer Geschichte nicht mehr. Der Film wird auf seriöse und dennoch unterhaltsame Weise erzählen, was es bedeutet, sich als gleichgeschlechtliches Paar ein Kind zu wünschen.“

Kein Wunder, dass die Produzenten die Umwandlung des Sendeplatzes als Chance sehen, auch wenn Schmidt der Degeto empfiehlt, den Übergang „nach und nach zu vollziehen, sonst ist die Gefahr zu groß, die angestammten Zuschauer zu verlieren, ohne entsprechend neue dazuzugewinnen.“ Tatsächlich hat die Vergangenheit gezeigt, wie schmal der Grat ist: Die letzten Filme aus der Reihe „Liebe am Fjord“ waren unüblich erzählt – prompt schauten weniger zu. Strobl betrachtet die Entwicklung deshalb als stetigen Prozess, „der noch einige Jahre brauchen wird“.