Im Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung muss Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf Druck von Kabinettskollegen zentrale Aussagen abschwächen. Die Sozialverbände kritisieren, dass der Bericht geschönt worden ist.

Berlin - Die Ministerin ist um eine Erklärung nicht verlegen. Die öffentliche Debatte drehe sich um die Frage, ob „ein Halbsatz drin oder draußen ist“, sagt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Vorlage des Armuts- und Reichtumsbericht. So einfach ist die Sache nicht. Alle vier Jahre muss die Bundesregierung eine Bestandsaufnahme vorlegen, wie Einkommen und Vermögen in diesem Land verteilt sind. Nie zuvor wurde vor allem darüber diskutiert, ob der Bericht von den Regierenden geschönt worden ist. Das Urteil der Sozialverbände ist eindeutig: Sie werfen der schwarz-gelben Koalition vor, die Augen vor Missständen zu verschließen und den Bericht im positiven Grundton abgefasst zu haben.

 

Tatsächlich machte Ursula von der Leyen durch Ungeschicklichkeiten selbst auf eklatante Widersprüche aufmerksam. Vor einem halben Jahr hatte sie einen Entwurf des Berichts an die Medien gegeben, der sich von der endgültigen Version stark unterscheidet. Auf Druck von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wurde eine kritische Analyse zur Verteilung der Einkommen und Vermögen korrigiert.

Kritische Aussagen wurden in dem Bereich geglättet

Im politischen Betrieb findet seitdem eine Exegese von Zitaten statt, die den Vorwurf der geschönten Darstellung belegt. Dass die Regierung kritische Aussagen in dem Bericht geglättet hat, zeigt sich vor allem an der Frage, ob die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden ist. Vor sechs Monaten kamen von der Leyens Beamte noch zum Schluss: „Die Einkommensspreizung hat damit zugenommen.“ Jetzt soll plötzlich das genaue Gegenteil richtig sein: „Die Einkommensspreizung hat seit 2006 nicht weiter zugenommen.“ Die Ministerin erklärt die 180-Grad-Wende damit, dass der Bericht den Zeitraum zwischen 2007 und 2011 untersucht. Seither habe es neue Erkenntnisse gegeben. Dennoch bestehen kaum Zweifel: Der Abstand ist größer geworden.

Richtig ist sicherlich, dass nach höheren Tarifsteigerungen der vergangenen Jahre die Beschäftigten in vielen Branchen aufgeholt haben. Dennoch ist es vor allem Spitzenverdienern gelungen ist, ihre Einkommen erheblich zu steigern – dies zeigt sich auch an der Debatte über die Höhe von Managergehältern. In der ursprünglichen Version des Armuts- und Reichtumsberichts hieß es, 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten am Rand der unteren Einkommenskala hätten reale Entgeltverluste hinnehmen müssen. Damit ist die Einkommensentwicklung durchaus angreifbar. Im internationalen Vergleich sind die Einkommen in Deutschland zwar weitaus gleichmäßiger verteilt als beispielsweise in Japan, Australien oder den USA, doch die skandinavischen Länder sind Deutschland voraus.

Das Vermögen in Deutschland ist ungleich verteilt

Deutlich werden die Widersprüche der Regierung bei den Vermögensverhältnissen. Ein Faktum ist, dass Vermögen in Deutschland ungleich verteilt ist. In einer Gesellschaft, die sich zur freien Marktwirtschaft bekennt, sind Unterschiede bei privaten Geld- und Immobilienvermögen normal. Die spannende Frage für die Sozial- und Steuerpolitik lautet, ob das Gefälle größer geworden ist. Der schwarz-gelben Koalition ist diese Debatte nicht willkommen, da sie Forderungen nach einer Vermögensteuer ablehnt. Im Bericht finden sich aber klare Hinweise, dass die Vermögensunterschiede größer geworden sind.

Im Jahr 2008 entfiel auf die „oberen“ zehn Prozent der Haushalte 53 Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland (siehe Grafik). Die Reichen sind reicher geworden: Im Jahr 1998 konnten die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte noch 45 Prozent des Privatvermögens auf sich vereinen. Entsprechend hat sich die Vermögensposition auf der anderen Seite verschlechtert. Die Haushalte in der „unteren“ Hälfte der Verteilungsskala besitzen nur ein Prozent des Vermögens. 1998 gehörten ihnen noch drei Prozent.

Auf die Ursachen geht die Politik gar nicht ein

Für die Regierung wäre es eine lohnende Aufgabe, nach den Gründen für diese Entwicklung zu fragen. Doch der Bericht geht darauf nicht ein. Auf knapp 500 Seiten wendet sich die Politik vielen Themen zu. Die spannendsten Fragen werden allenfalls gestreift. Sicherlich besaßen auch frühere Regierungen wenig Ehrgeiz, brisanten Themen auf den Grund zu gehen. Immer schon sahen Regierungen die Armuts- und Reichtumsberichte eher als eine Pflichtübung an.

Mit ihrem ideologischen Streit hat sich Schwarz-Gelb keinen Gefallen getan. Denn der Armuts- und Reichtumsbericht enthält auch erfreuliche Trends, die jetzt kaum noch wahrgenommen werden. So steht Deutschland bei der Jugendarbeitslosigkeit gut da. Und auch die Langzeitarbeitslosigkeit ist gesunken.