Es geht um gezielte Tötungen und Folter – und um ihre Haltung zur israelischen Politik: Im Oscar-nominierten Film „Töte zuerst“, den Arte zeigt, kommen frühere israelische Geheimdienstchefs zu Wort.

Stuttgart - Den Oscar für den besten Dokumentarfilm hat der israelische Regisseur Dror Moreh nun doch nicht bekommen, das schmälert aber sicher nicht die Bedeutung seines in diesem Jahr in Hollywood nominierten Films „The Gatekeepers“. Gleich sechs ehemalige Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet sind diese „Torwächter“, die in Interviews vor der Kamera Auskunft geben. Über die Methoden von Schin Bet (übersetzt: Sicherheitsdienst), auch über gezielte Tötungen und Folter, und nicht zuletzt über ihre Haltung zur israelischen Politik.

 

Dror Moreh ergänzt die Interviews mit einer Fülle von Bildmaterial, zum Teil mit schockierenden Kriegsbildern. Etwa von Kameras, die Menschen und Autos aus weiter Ferne verfolgen, ehe eine Explosion im Sucher von der Exekution kündet – was an die von Wikileaks veröffentlichten Aufnahmen der US-Armee aus Afghanistan und Irak erinnert. Auch Bilder von Leichen in einem total zerfetzten Bus nach einem palästinensischen Selbstmordanschlag 1994 in Tel Aviv sind darunter. Dass der Regisseur offenbar in der ein oder anderen Szene mit Tricks und inszenierten Einstellungen nachgeholfen hat, um das Gefühl zu verstärken, man sei als Zuschauer mittendrin im Geschehen, trübt etwas den Eindruck. Am inhaltlichen Gehalt, an den politischen und moralischen Fragen, die der Film aufwirft, ändert das freilich wenig.

„The Gatekeepers“ wurde bereits in israelischen Kinos gezeigt, für das dortige Fernsehen schneidet Dror Moreh zurzeit eine ausführlichere Fassung von fünf einstündigen Sendungen, wie er in einem Interview mit der „Jüdischen Allgemeinen“ verriet. Da Arte France und der NDR zu seinen Koproduktionspartnern zählten, ist der Film nun gleich an zwei Tagen kurz hintereinander in Deutschland zu sehen. Und zwar unter dem Titel: „Töte zuerst“ – eine unnötige Zuspitzung, weil damit der Eindruck erweckt wird, hier säßen sechs Falken, die Israels Strategie im Krieg mit den Palästinensern vorbehaltlos verteidigen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Neben der Offenheit, mit der die Geheimdienstchefs bis ins Detail zu – ihrer Ansicht nach notwendigen – Operationen etwa im Gaza-Streifen Auskunft geben, verblüfft vor allem ihre kritische Analyse der Politik Israels. Deshalb fällt auch kaum ins Gewicht, dass Moreh hier auf „Gegenstimmen“ verzichtet, auf Äußerungen von Palästinensern oder Schin-Bet-Gegnern.

Was ist noch legitim im Kampf gegen Selbstmord-Attentäter?

„Wir stellen das Leben von Millionen Menschen auf den Kopf und machen es unerträglich“, sagt Carmi Gillon, Schin-Bet-Direktor von 1994 bis 1996. „Wir gewinnen jede Schlacht, aber den Krieg verlieren wir“, erklärt Ami Ayalon (1996 bis 2000). Und auf das Zitat des Philosophen und Besatzungskritikers Jeschajahu Leibovitz aus dem Jahr 1968, wonach sich ein Staat, der über eine feindliche Bevölkerung mit Millionen Fremden herrsche, notgedrungen zu einem korrupten Geheimdienststaat entwickle, reagiert Yuval Diskin (2005 bis 2011) mit einer erstaunlichen Aussage: „Ich stimme dem Wort für Wort zu.“ Israel sei zwar kein Schin-Bet-Staat, aber „die Zustände ähneln dem, was Leibovitz beschrieben hat“. Dass sie die Siedlungspolitik und die religiöse Rechte für mitverantwortlich am bisherigen Scheitern des Friedensprozesses halten, daran lassen einige von Morehs Gesprächspartnern ebenfalls keinen Zweifel.

Schwer vorstellbar, dass sich ehemalige Geheimdienstchefs aus arabischen Ländern oder palästinensischer Organisationen in ähnlicher Weise öffentlich äußern. Israel ist das einzige der im Nahostkonflikt verwickelten Länder, in dem offene Kritik möglich ist. Laut Moreh musste sein Film zwar die Zensur durchlaufen, wie bei jedem Interview mit einem führenden Kopf des Verteidigungsapparates, doch nur zwei Worte habe er herausschneiden müssen. Moreh nennt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu „eines der größten Sicherheitsrisiken in Israel“. In den vergangenen vier Jahren sei nichts geschehen. „Auch deshalb haben sich die ehemaligen Direktoren des Schin Bet nun in meinem Film so klar öffentlich geäußert“, so Moreh.

Widersprüchlich erscheinen die Direktoren alle, und am widersprüchlichsten der Älteste, Avraham Shalom, Schin-Bet-Chef von 1980 bis 1986. Dieser freundliche Herr mit Hosenträgern verteidigt einerseits seinen persönlichen Befehl, zwei Bus-Entführer zu töten. Andererseits bezeichnet er es als militärisch nutzlos und ganz bestimmt nicht human, dass die spätere Schin-Bet-Führung eine Bombe auf ein Haus mitten im dicht besiedelten Gaza werfen ließ, um führende Hamas-Mitglieder zu treffen.

Was ist noch legitim im Kampf gegen Selbstmord-Attentäter und ihre Hintermänner? Dror Moreh fragt kritisch nach, auch relativiert er durch das Bildmaterial bisweilen die Aussagen der Geheimdienstchefs, aber eine moralische Abrechnung ist sein Film sicher nicht. Eher die schonungslose und ernüchternde Bilanz des Versuchs, Israel von der ständigen Bedrohung durch terroristische Anschläge zu befreien.