Bei der Renovierung alter Wohnungen und Häuser werden oft Asbestfasern freigesetzt – lebensgefährlich für Heimwerker wie für Arbeitende auf dem Bau. Die Gewerkschaft schlägt Alarm und fordert mehr Schutz und mehr Geld vom Staat. Und auch Mieter können sich schützen.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Es ist wie mit dem Amalgam. So lange es im Zahn ruht, passiert nichts. Aber beim Entfernen wird giftiges Quecksilber freigesetzt. Auch in einem Haus zu wohnen, in dem Asbest verbaut wurde, ist ungefährlich. Lebensbedrohlich wird es, mit asbesthaltigen Baumaterialien zu arbeiten. Die Asbestfasern gelangten dann über den Baustaub in die Atemwege und Lungen der Arbeitenden und Heimwerker.

 

„Sich zu schützen hat nichts mit Weicheierei zu tun, sondern es kann Leben retten.“ Carsten Burckhardt, im Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) zuständig für Arbeitsschutz und Bauwirtschaft, formuliert es so drastisch, denn in Wohngebäuden in Deutschland schlummern nach Erkenntnissen der IG Bau Millionen Tonnen krebserregendes Asbest.

Millionen Altbauten voller Asbest

Wegen der absehbar zunehmenden Sanierungstätigkeit in den kommenden Jahren drohten vor allem Bauarbeitern und Handwerkern schwerwiegende gesundheitliche Gefahren, teilt die Gewerkschaft mit. Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts, stellte eine Studie des Instituts im Auftrag der Gewerkschaft vor.

Sie zählt rund 9,4 Millionen Wohngebäude, die in Deutschland zwischen den Jahren 1950 und 1989 errichtet worden seien. Rund 1,3 Millionen Gebäude finden sich in Baden-Württemberg. In dieser Zeit seien Asbest-Baustoffe intensiv zum Einsatz gekommen, so die IG Bau. „Es ist davon auszugehen, dass es in jedem Gebäude, das in diesen vier Jahrzehnten gebaut, modernisiert oder umgebaut wurde, Asbest gibt.“

Asbestfasern schweben 24 Stunden im Raum

In der Konferenz, die vor den Asbest-Gefahren warnte, sagte Arbeitsmediziner Thomas Solbach, heikel sei das Schwebeverhalten der winzigen Fasern: „Ist der Staub aufgewirbelt, bleibt er 24 Stunden im Raum.“ Er gefährdet auch Menschen, die nicht selbst arbeiten, sondern sich in der Nähe aufhalten: „Auch eine niedrige Dosis kann bösartige Krankheiten hervorrufen.“

Dabei hätten Bauarbeiter und Heimwerker kaum eine Chance, diese Gefahr zu erkennen, denn man riecht und sieht sie nicht. Ein fast unsichtbarer Killer. Solbach warnt: „Die Latenzzeit ist lang: Es dauert bis zu 30 Jahre, ehe es zur Diagnose komme.“ Asbestose – mit Lungen-, Bauchfell- oder Kehlkopfkrebs. 80 Prozent der betroffenen überleben den Krebs nicht. Die Berufsgenossenschaft Bau geht davon aus, dass allein im vergangenen Jahr rund 320 Baubeschäftigte aufgrund einer asbestbedingten Berufskrankheit gestorben sind.

Auch Heimwerker sind akut bedroht

Auch Privatleute, die Durchbrüche in Zimmern selbst erledigen, Kabel schlitzen, Böden herausreißen, sollten sich schützen, so Burckhardt. Im Zweifel sei das Bau- oder Gesundheitsamt zu konsultieren und auf jeden Fall Masken und Arbeitsanzüge zu tragen, Vorhänge an der Haustür anzubringen, um auch andere zu schützen. Oder noch besser: die Hände davon lassen: „Ein Mauerdurchbruch ist nichts für Privatpersonen, das gehört in die Hände von Profis mit richtiger Schutzausrüstung“, so Norbert Kluger, Gefahrstoff-Experte der Berufsgenossenschaft Bau.

Für die, die im Berufsleben mit Asbest in Berührung kommen, hat die Bau-Gewerkschaft eine „Asbest-Charta“ mit zentralen Forderungen vorgelegt. „Es geht dabei um bessere Informationen über Asbest-Gefahren bei Gebäuden – auch in den jeweiligen Muttersprachen der Arbeitenden –, um die Förderung von Asbest-Sanierungen und vor allem auch um konsequenten Arbeitsschutz. Denn der bevorstehende Sanierungsboom „darf nicht zu einer Krankheitswelle führen“, warnt Carsten Burckhardt.

Staatliche Hilfen gefordert

Die Gewerkschaft plädiert für einen Asbest-Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen. Eine übergreifende staatliche Kooperation sei notwendig, um das Asbest-Problem und die Finanzierung der Altlasten anzugehen. Burckhardt fordert zudem eine staatliche Sanierungsprämie. Dazu müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbest-Sanierung“ schaffen. „Das hilft, Kosten abzufedern, die bei einer – beispielsweise energetischen oder altersgerechten – Gebäudesanierung in asbestbelasteten Wohnhäusern zusätzlich entstehen“, so Burckhardt.

Die Gewerkschaft fordert deshalb unter anderem einen Schadstoff-Gebäudepass „mit unterschiedlichen Gefahrenstufen für die jeweilige Asbest-Belastung eines Gebäudes“. Im Nachbarland Frankreich sei das längst Standard.

Mehr Kontrollen

Zudem seien intensivere Arbeitsschutzkontrollen durch die Länder unabdingbar. Dazu sei ein Aufstocken des Kontrollpersonals dringend notwendig. „Es kann nicht sein, dass sich ein Kontrolleur im Moment – rein rechnerisch – um den Arbeitsschutz von rund 23 000 Beschäftigten kümmert. Und das, obwohl die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) eine Quote von einem Kontrolleur für maximal 10 000 Beschäftige fordert“, so Burckhardt. Zudem müssten die Länder Baustellen bei ihren Kontrollen stärker in den Fokus nehmen und beim Asbest-Arbeitsschutz einen Schwerpunkt setzen.

Info

Schutz für Mieter
Grundsätzlich müssen Vermieter laut DMB (Deutscher Mieterbund) betroffene Mieter vor den Asbestgefahren warnen. Besteht auch nur der Verdacht auf Asbest, haben Mieter zudem ein Auskunftsrecht. Das bedeutet: Der Vermieter ist zu einer verbindlichen Auskunft verpflichtet. Der Berliner Mieterverein rät: die Anfrage dazu am besten schriftlich schicken. Und stellt dazu ein Musterschreiben auf seiner Internetseite zur Verfügung.