Könnte man Asylverfahren in andere Länder auslagern? Das lässt das Innenministerium prüfen – schon seit einem halben Jahr. Was seitdem passiert ist und wann erste Ergebnisse vorliegen sollen.
Es ist ein sperriger Satz im Koalitionsvertrag, der nun viel Arbeit macht. Er findet sich in einer Passage zum Migrationsabkommen. „Wir werden hierfür prüfen, ob die Feststellung des Schutzstatus in Ausnahmefällen unter Achtung der GFK (Genfer Flüchtlingskonvention) und EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) in Drittstaaten möglich ist“, steht dort.
Mit anderen Worten: Könnte man Menschen, die in Deutschland um Asyl bitten, in andere Länder bringen, um dort feststellen zu lassen, ob ihnen Schutz zusteht? Seit November ist das Bundesinnenministerium beauftragt zu prüfen, ob und wie das rechtlich möglich wäre. Damals machten die Länderchefs Druck, indem sie den Prüfauftrag auch in ihre Migrationsbeschlüsse mit dem Kanzler schrieben. Das ist nun ein halbes Jahr her. Was ist seitdem passiert?
„Sachverständige aus einem breiten Meinungsspektrum“
Die Prüfung habe begonnen, teilt ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage mit. Doch sie ist offenbar komplex. „Wichtig ist es, Sachverständige aus einem breiten Meinungsspektrum einzubeziehen und deren Auffassungen und Ansichten zu hören“, schreibt der Sprecher.
Inzwischen haben zwei Dutzend Sachverständige bei fünf Anhörungen referiert. Die Liste mit den Teilnehmenden ist nicht öffentlich, liegt dieser Redaktion aber vor. Die erste Anhörung fand vor drei Monaten statt, die letzte Mitte Mai. Zu einem der Termine lud das Innenministerium britische und dänische Regierungsvertreter ein, außerdem den Juristen Thomas Gammeltoft-Hansen von der Universität Kopenhagen.
Migrationsforscher, Juristen, Hilfsorganisationen
Zu den anderen Anhörungen waren deutschsprachige Experten eingeladen. Darunter waren verschiedene Migrationsforscher, zum Beispiel Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative oder Ramona Rischke vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Es wurden auch viele Juristen wie Daniel Thym von der Universität Konstanz oder Pauline Endres de Oliveira von der Humboldt-Universität Berlin gehört. Außerdem nahmen Vertreter von Organisationen wie Pro Asyl oder Ärzte ohne Grenzen teil. Auch die Vertreterin des UNHCR in Deutschland war eingeladen, ebenso der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
Nun werden die Anhörungen ausgewertet. Der Ministeriumssprecher schreibt, dass die Bundesregierung am 20. Juni erste Ergebnisse vorstellen wolle. Dann treffen sich die Länderchefs wieder. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass dann ein endgültiges Fazit vorliegt. Es dürfte ein Zwischenstand sein.
Pro Asyl: „Ein Irrweg“
Einige Sachverständige haben sich öffentlich geäußert – mit zum Teil sehr verschiedenen Ansichten. Der Migrationsforscher Gerald Knaus sagte, dass er es für denkbar halte, das EU-Recht so zu ändern, dass Asylverfahren in Drittstaaten möglich wären. Anders sieht das Wiebke Judith von Pro Asyl. Der Ansatz der Auslagerung sei ein „Irrweg“, sagte Judith dieser Redaktion. „Die EU-Reform zur Verschärfung des Asylrechts ist gerade erst beschlossen worden. Es schadet dem Vertrauen in den Rechtsstaat, wenn wir jetzt schon wieder über Änderungen diskutieren.“
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Alexander Throm denkt hingegen schon weiter. Er war kürzlich mit Fraktionskollegen in Ruanda – dem ostafrikanischen Land, in das Großbritannien Asylbewerber abschieben will. Dort soll nicht nur ihr Asylantrag geprüft werden. Die Geflüchteten sollen in Ruanda bleiben.
Ruanda-Modell für die EU
Throm schlägt für die EU ein ähnliches Modell vor, bei dem man hier im Gegenzug ein Kontingent von Geflüchteten aus ruandischen Lagern aufnehmen würde „Wir haben in Ruanda eine große Bereitschaft wahrgenommen, mit Europa zusammenzuarbeiten“, sagte Throm dieser Redaktion. „Diese Chance sollte die Bundesregierung ergreifen.“ Der Zeitpunkt, um das EU-Recht zu ändern, sei günstig, betont Throm: „In den europäischen Ländern nehme ich durchweg eine große Offenheit für Lösungen wie unser Ruanda-Modell wahr. Hier öffnet sich ein Zeitfenster, das wir nutzen sollten. Das einzige Land, das dies ausbremst, ist Deutschland.“ Bei dem Prüfauftrag geht es nun erst um die Frage, ob man Asylverfahren rechtlich betrachtet auslagern könnte. Ob das gewollt ist, muss dann die Bundesregierung entscheiden.