Athletin-Präsidentin Karla Borger sorgt sich vor Peking 2022 „Es wird falsch-positive Coronatests geben

Sammelte in Tokio Erfahrungen bei den ersten Olympischen Corona-Spielen: Beachvolleyballerin Karla Borger. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Athleten-Sprecherin Karla Borger kritisiert die Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Peking und erklärt, warum sie es nicht riskieren würde, sich in China politisch zu äußern.

Stuttgart - Karla Borger war immer eine Athletin, die sagte, was sie gedacht hat. Seit fast drei Monaten ist die Beachvolleyballerin aus Stuttgart Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland, was ihrer Stimme noch mehr Gewicht verleiht. Umso bemerkenswerter ist, dass sie sich, wenn sie eine Wintersportlerin wäre, während der Olympischen Spiele in China nicht zu politischen Themen äußern würde: „Ich hätte Bedenken, dass mir etwas zustößt.“

 

Frau Borger, die Vorbereitung läuft, das erste Trainingslager steht bevor. Wie fühlt es sich an, wieder am Ball zu sein?

Nach der längeren Pause war ich schon etwas aufgeregt und habe mich gefragt, ob ich es noch kann.

Und?

Es hat erstaunlich gut geklappt. Eine gewisse Erfahrung verhindert offenbar, etwas komplett verlernen zu können (lacht).

Die größten Erfolge haben Sie und Julia Sude zuletzt ohne Trainer geholt. Bleibt es bei diesem Konstrukt?

Unser Team ist absolut professionell aufgestellt, es fehlt an nichts. Es stimmt aber, dass wir gemerkt haben, keinen festangestellten Coach zu benötigen. Wir nehmen unsere Entwicklung nun lieber selbst in die Hand.

Mit welchen Zielen?

2022 gibt es die WM in Rom und die EM in München, das sind die Höhepunkte. Ansonsten herrscht gerade viel Unsicherheit.

Warum?

Weil der Zustand im Beachvolleyball katastrophal ist, der Weltverband Rätsel aufgibt. Noch weiß niemand, wer wann wo spielen wird. Das ist eine total blöde Situation – aber irgendetwas wird schon stattfinden. So lange trainieren wir eben ins Ungewisse hinein.

„Es ist schon krass, was auf die Sportler einprasselt“

Ein gutes Stichwort. Auch die Olympiamannschaft steht vor einer Reise ins Ungewisse. Was geben Sie als neue Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland dem Team D mit auf den Weg?

Im Leistungssport ist es wichtig, sich auf sich selbst konzentrieren zu können, sich auf den Wettkampf zu fokussieren, Störfeuer auszublenden. Ich hoffe, dass dies allen Athleten und Athletinnen auch jetzt gelingt.

Einfach wird das nicht.

Das ist richtig. Es ist schon krass, was diesmal auf die Sportler einprasselt.

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Fangen wir vorne an.

Gut. Meiner Meinung nach hätten die Winterspiele nicht nach China vergeben werden dürfen. Denn schon nach den Sommerspielen 2008 war deutlich zu sehen, dass sich die Hoffnung, durch so eine Veranstaltung im Land etwas verändern zu können, nicht erfüllt hat. Wenn ich an die Uiguren, an Hongkong oder Tibet denke, würde ich sagen: Vieles ist definitiv schlimmer geworden.

Zur Auswahl stand bei der Vergabe im Jahr 2015 neben Peking nur noch Almaty in Kasachstan.

Das stimmt. Das Problem ist doch, dass sich im IOC viel zu lange niemand gefragt hat, warum so viele Orte keine Olympischen Spiele mehr ausrichten wollen. Und zugleich wird die politische Lage in möglichen Ausrichterländern einfach ignoriert. Aktuell wundert mich das allerdings nicht – viele IOC-Sponsoren und -Partner verknüpfen mit China große wirtschaftliche Interessen.

„Ich hätte Bedenken, dass mir etwas zustößt“

Hätte der Sport mit einem Boykott reagieren können – oder hätte er es sogar müssen?

Fakt ist, dass die Athletinnen und Athleten zu Olympischen Spielen wollen, sich teilweise ein Leben lang darauf vorbereiten. Es wäre ihnen gegenüber schlicht unfair, sie nun in die Verantwortung zu nehmen. Natürlich sind die Winterspiele in China moralisch zu hinterfragen, aber niemand aus dem Athletenkreis hatte etwas mit der Vergabe zu tun.

Es gibt die Befürchtung, dass Leute, die während der Spiele Kritik am Regime äußern, sanktioniert werden könnten. Was raten Sie den deutschen Athleten?

Da es nun schon offizielle „Drohungen“ vonseiten der Organisatoren gab und das IOC dazu schweigt, würde ich persönlich nichts sagen.

Warum? Das passt gar nicht zu Ihnen.

Ich würde mich nicht positiv äußern, weder über die Sportstätten, das Wetter oder die Organisation, weil solche Aussagen sofort für Propagandazwecke missbraucht würden. Und bei Kritik hätte ich Bedenken, dass mir etwas zustößt. Das würde ich mich nicht trauen, das Risiko wäre mir zu groß.

„Manipulationen würde ich nicht ausschließen“

Als gäbe es nicht schon genug schwierige Themen, werden es auch noch die ersten Corona-Winterspiele.

Das verschärft in der Tat alles noch einmal. Die Chinesen werden die sehr scharfen und strikten Regeln unnachgiebig durchziehen. Die Athletinnen und Athleten sind in ihrer Blase total abgeschirmt – und haben dennoch eine große Sorge.

Welche?

Es wird vor und während der Spiele definitiv falsch-positive Coronatests geben.

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Absichtlich?

Ich würde Manipulationen nicht ausschließen. Vor den Winterspielen 2014 in Sotschi hätte auch niemand gedacht, dass es möglich ist, Dopingproben auszutauschen.

Wie schwer ist es, unter diesen Umständen um Medaillen zu kämpfen?

Sehr schwer. Aber den Athletinnen und Athleten bleibt nichts anderes übrig, als nach China zu reisen, dort alles wegzudrücken, abzuliefern und dann wieder nach Hause zu fliegen. Spaß wird das niemandem machen.

„Vieles erledige ich auf dem Fahrrad“

Sie sind seit fast drei Monaten Präsidentin von Athleten Deutschland. Wie viel Vergnügen bereitet Ihnen dieser Job?

Bisher war es vor allem viel Arbeit, die Zeit ist schon sehr intensiv gewesen.

Beachvolleyballerin und Funktionärin – wie ist das zu schaffen?

Ich habe noch nie so effektiv und effizient gearbeitet wie zuletzt. Mein Terminplan ist nun optimiert, die Struktur viel klarer. Vieles erledige ich auf dem Fahrrad.

Auf dem Fahrrad?

Ja. Während ich zum Training oder wieder nach Hause radle, lässt es sich sehr gut telefonieren und konferieren.

Und wenn es mal länger dauern sollte?

Fahre ich eben einen Umweg.

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Gibt es Punkte von Ihrer Prioritätenliste, die Sie bereits umgesetzt haben?

Nein, das war bisher nicht möglich. Die Rahmenbedingungen sind nicht ganz einfach. Zum Beispiel konnte sich das Präsidium, das ja komplett neu ist, bisher noch kein einziges Mal in Präsenz treffen.

Was steht auf Ihrer Agenda ganz oben?

Ein tieferes Kennenlernen innerhalb des Präsidiums und der Geschäftsführung. Und inhaltlich die Bereiche Safe Sports, also der Kampf gegen sexualisierte Gewalt und Missbrauch mit einer eigenen Anlaufstelle, sowie Integrität. Jeder Tag, an dem hier nichts passiert, ist ein verlorener Tag.

„Es ist eine geniale Idee“

Was fällt unter den Begriff Integrität?

Unser Verein hat ein 21-seitiges Dokument erarbeitet, macht darin Vorschläge zu einer Nationalen Integritätsagentur und einem unabhängigen Melde-, Untersuchungs- und Sanktionsmechanismus. Wir skizzieren darin ein ganzheitliches und aufeinander abgestimmtes Integritätssystem, das Präventionsmaßnahmen überprüfbar umsetzt und Missstände im Sport konsequent aufklärt. Es ist eine geniale Idee.

Warum?

Weil sie einen wichtigen Beitrag zur Unabhängigkeit leistet: Missbrauch und Fehler im Verbandswesen könnten endlich unter die Lupe genommen und bestraft werden.

Freunde unter altgedienten Funktionären machen Sie sich damit allerdings eher nicht, oder?

Das stimmt. Doch die neuen Strukturen, die unsere Vorschläge erfordert, sind ohnehin schon längst überfällig.

Gibt es einen weiteren Punkt, der Ihnen besonders wichtig ist?

Das Thema Gleichstellung ist bislang absolut unterrepräsentiert. Bei der Medienpräsenz, den Verdienstmöglichkeiten, der Vereinbarkeit von Familie und Leistungssport oder dem Wissen rund um zyklenbasiertes Training angeht, gibt es viel zu verbessern. In diesem Bereich Fortschritte zu erreichen, ist mir als Frau ein persönliches Anliegen.

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